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Digitale Formate

Politischer Aschermittwoch in Baden-Württemberg: Das Stammtisch-Niveau blieb im Bierzelt

Beim politischen Aschermittwoch 2021 ließen es die baden-württembergischen Spitzenpolitiker aufgrund der Corona-Pandemie ruhiger und vorwiegend digital angehen. Platz für Spitzen in Richtung der politischen Konkurrenz gab es dennoch.

Rede im heimischen Wohnzimmer: Diese Atmosphäre wollten die Grünen zum politischen Aschermittwoch schaffen. Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck schalteten den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann für eine Rede zu.
Rede im heimischen Wohnzimmer: Diese Atmosphäre wollten die Grünen zum politischen Aschermittwoch schaffen. Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck schalteten den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann für eine Rede zu. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der politische Aschermittwoch war eine Sache der Bauern. Auf dem Viehmarkt in Vilshofen ging es im 16. Jahrhundert rund, neben den Rindern ging es um Politik. Später prägten die Bayernpartei und die CSU das Bild des politischen Aschermittwoch. Stammtisch-Atmosphäre, Bier, Identität. Die Bilder eines Franz Josef Strauß, schreiend, schwitzend, auf das Rednerpult trommelnd, prägen bis heute das Bild.

Es dürfen Sätze ausgesprochen werden, die in Parlamenten zu Ordnungsrufen führen würden. Ein Freifahrtschein für derbe Analysen, verbale Attacken auf den politischen Gegner und ein bisschen Selbstironie. „Weg mit den roten Deppen“, rief Strauß 1976 in den Saal in Richtung Sozialdemokraten.

Von solchen Attacken war beim politischen Aschermittwoch 2021 von baden-württembergischen Spitzenpolitikern nichts zu hören. Raue Attacken waren nicht angesagt.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann schaltete sich bei den Bundes-Grünen hinzu. Die hatten sich wie bei ihrem digitalen Parteitag wieder ein Wohnzimmer-Studio eingerichtet. Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck moderierten vom Sessel aus, die einzigen witzigen Bemerkungen wollten sie sich zur Einrichtung des Studios leisten – der Couchtisch stammt aus dem gemeinsamen Büro.

Einen klassischen Aschermittwoch wollten die Grünen nicht begehen. „Wir haben ein ernstes Jahr hinter uns“, betonte Habeck, und man habe ein Jahrzehnt der Entscheidung vor sich.

Kretschmann (Grüne): Herzen der Menschen gewinnen

Dementsprechend ernst war auch die eingespielte Sechs-Minuten-Rede des „beliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands“. So kündigte Habeck Kretschmann an.

Die Zeit der Basta-Politik ist glücklicherweise vorbei.
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs

„Politischer Aschermittwoch heißt in normalen Zeiten: deftige Sprüche, derbe Rhetorik und heftige Attacken auf den politischen Gegner“, sagte Kretschmann. „Diese Disziplin gehörte noch nie zu meinen liebsten.“ Angesichts der aktuellen Lage wolle er auf Vereinfachungen und Verunglimpfungen verzichten. Der Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl sprach lieber vom Gemeinwohl und politischer Führung, die das ganze Land durch die Pandemie bringen solle.

Gute politische Führung bedeute nicht, breitbeinig aufzutreten oder durchzuregieren. „Die Zeit der Basta-Politik ist glücklicherweise vorbei.“ Am Ende würden nicht Gesetze entscheiden, ob der Klimawandel bewältigt, die Wirtschaft oder Demokratie gestärkt werde. „All das gelingt nur, wenn wir die Köpfe und Herzen der Menschen gewinnen.“

Eisenmann (CDU): Kinder müssen unterstützt werden

CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann sprach bei der CDU Karlsruhe-Land. „Wir wollen Baden-Württemberg in die Zukunft führen, ohne es im Kern zu verändern“, betonte die Kultusministerin. Politik müsse Entscheidungen treffen und gestalten. Auch in der Corona-Pandemie müsse die Landespolitik achtsam und verhältnismäßig abwägen. Das betreffe den Einzelhandel: Auch Gärtnereien mit saisonaler Ware sollen nach den Friseuren Schritt für Schritt öffnen dürfen, so Eisenmann.

Sie sei froh, dass in Corona-Zeiten die CDU das Bildungsressort besetze – so seien keine Lehrerstellen abgebaut worden. Gerade in der Pandemie habe sich gezeigt, ob die Schulen zukunftsfähig sind, und was verändert werden müsse. „Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen müssen von den Kitas und Schulen ergänzend unterstützt werden“, sagte Eisenmann. Deshalb sei die teilweise Öffnung der Schulen kommende Woche die richtige Entscheidung. Neun Millionen Euro sollen im Haushalt für die Digitalisierung der Schulen integriert werden, sagte Eisenmann.

Gögel (AfD): Schwere Folgen durch das Virus

Die AfD hielt in der Karlsruher Europahalle vor 50 Besuchern ihren „populistischen Aschermittwoch“ ab, wie die Veranstalter schrieben. Vor der Halle demonstrierten etwa 100 Menschen vom antifaschistischen Aktionsbündnis Karlsruhe lautstark.

Drinnen sagte AfD-Spitzenkandidat Bernd Gögel, er sei davon berührt, wieder bei einer Präsenzveranstaltung sein zu können. Eine flammende Aschermittwochsrede wolle er aber nicht halten: „Ich bin nicht bekannt für die lauten und schrillen Töne innerhalb unserer Partei.“

Das Coronavirus hat sehr schwere Folgen für alte und kranke Menschen, betonte Gögel. „Wir müssen das Thema sehr, sehr ernst nehmen. Es nützt nichts, das Coronavirus zu leugnen oder es zu verharmlosen.“ Jedoch würden ein paar Gruppen die Hauptlast tragen. Gögel forderte eine sofortige Öffnung von Kitas und Schulen. „Kinder brauchen sozialen Kontakt“, betonte er und warnte vor dauerhaften Schäden.

Doch die Bundesregierung setze auf „hörige Auftragswissenschaftler“, kritisierte Gögel und befand: „Wir werden von Irren regiert.“ Die Kommunikationsstrategie habe Panik ausgelöst.

Den Inzidenzwert von Null werde man nie erreichen. Das heiße nicht, dass man zwischen Lockdown und Öffnungen wechseln solle. „Wir müssen lernen, mit dem Virus umzugehen.“

Rülke (FDP): Es fehlt eine Wenn-Dann-Strategie

Die baden-württembergische FDP setzte auf eine Veranstaltung im Karlsruher Brauhaus 2.0 in Karlsruhe und einen Livestream. FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke sei „einer, der die Auseinandersetzungen mit anderen Parteien geradezu liebt“, betonte Generalsekretärin Judith Skudelny.

Die Entscheidungen gehören gefälligst ins Parlament und nicht in irgendwelche Hinterzimmer.
Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef

Doch der Spitzenkandidat und verzichtete auf eine rumpelnde Attacke. „Möge der Aschermittwoch im Zeichen einer besseren Zeit stehen“, erklärte Rülke.

Der wohl kraftvollste Aschermittwoch-Satz hätte auch bei einer seiner Landtagsreden fallen können: „Die Entscheidungen gehören gefälligst ins Parlament und nicht in irgendwelche Hinterzimmer.“ Er kritisierte, die Bundes- und Landesregierung würden in der Pandemie zu wenig Perspektive aufzeigen.

„Es fehlt eine Wenn-Dann-Strategie, die den Menschen Hoffnung gibt“, sagte Rülke. „Wir müssen den Menschen Hoffnung geben und ihnen deutlich machen, dass es einen Weg aus der Pandemie gibt und einen Weg zurück in eine funktionierende Wirtschaft.“ Es gehe darum möglichst viele Menschen möglichst rasch zu impfen, und es brauche ein Ausstiegsszenario.

Stoch (SPD): Für Bildungspolitik Eisenmanns schämen

Die SPD wollte den Aschermittwoch nutzen, um in die heiße Phase des Landtagswahlkampfs zu starten. Die grün-schwarze Landesregierung blockiere sich durch Streit zwischen Grünen und CDU, betonte SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch. „Die Bude brennt“, sagte er angesichts der Pandemie. Das Sozialministerium alleine sei damit überfordert.

Vor allem rechnete er mit der Strategie des Kultusministeriums unter Ministerin Eisenmann ab. Es komme keine Hilfe für Kitas und Schulen. Man müsse sich bei der Politik Eisenmanns im ganzen Land schämen. „Baden-Württemberg war das Land, das den Pakt für mehr gute Ganztagesschulen für mehrere Monate blockiert hat“, sagte Stoch.

Die Ministerin höre sich nicht die Probleme der Menschen vor Ort an. „Das Einzige, was sich dank Frau Eisenmann in allen Schulen und Kitas bis unters Dach häuft, das ist ein ganz großer Frust.“ Es brauche eine Landesregierung, die sich nach der Wahl am 14. März wirklich der Probleme der Menschen annehme.

Es war ein anderer politischer Aschermittwoch als gewohnt. Vor Ort hatten die Politiker maximal zweistellige Zuschauerzahlen, bei den Livestreams ebenfalls nicht die gewohnten Zuschauer. Im kommenden Jahr, so die Hoffnung, soll dann wieder vor Publikum live im Saal gepoltert werden, mit ein bisschen mehr Bierzelt-Atmosphäre.

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