Es gibt Dinge, die wollte ich niemals tun. Um sechs Uhr morgens aufstehen beispielsweise, Knöpfe annähen oder Blockflöten-Gepfeife ertragen. Seit ich vor mehr als 20 Jahren Mutter wurde, könnte ich die Liste endlos verlängern – mit Tätigkeiten, für die ich mich niemals freiwillig entschieden hätte. Aber mit der freien Entscheidung hatte es sich nun einmal mit dem ersten zornigen Schrei meines Sohnes.
Drei Jahre später und um viele Vorsätze ärmer (ich werden niemals vor einer Urlaubsfahrt Checklisten abhaken, niemals in großer Mütterrunde Laternen basteln, niemals vor dem Fernseher einschlafen…), also drei Jahre später hatte ich eine neue Aufgabe, an die ich bislang auch noch keinen Gedanken verschwendet hatte: Mein Sohn kam in den Kindergarten, und ich richtete ihm eine Vesperbox.
Ein Zeichen am ersten Kindergartentag
Okay, er hatte mehrfach kundgetan, dass ihm das mit dem Kindergarten nicht goutierte. Nachdruck verlieh der Knilch seinem Standpunkt, indem er die penibel geschälten Karotten – die ihm eigentlich sehr goutierten – aus dem Rucksack fischte und in der Biotonne (immerhin!) versenkte. Danach war er startbereit und ich so überrascht, dass mir erst sehr viel später aufging, was dies war: Ein Zeichen.
Es ist nämlich leider immer mal wieder für die Tonne, was ich kurz nach sechs Uhr morgens (wenn ich eigentlich noch schlafen will!) schäle, schnibble, belege und verpacke. Nicht mal, weil es nicht den Geschmack meiner Brut trifft, sondern weil es aus anderen Gründen gerade nicht passt: „Dieser Babyspeise möchte ich nicht mehr“, erklärte mir mein Vierjähriger mit Blick auf den Zwieback in seiner Box. (Der war super-praktisch, weil er eben nicht in die Tonne musste, wenn der kleine Mann mal keinen Hunger hatte). „Ich durfte das Joghurt in der Kita nicht essen – da ist Schokolade drin“, berichtete meine Tochter mit vorwurfsvollem Unterton.
Vespern oder nicht? Eine Frage der Prioritäten
Auch aus zeitlichen Gründen kamen Butterbrezeln und Gurken-Sticks, Apfelspalten und Melonenwürfel immer mal wieder zurück nach Hause. Man kann eben weder beim Klettern noch beim Ballspielen essen, und manchmal muss man einfach Prioritäten setzen. „Tomaten und Mandarinenschnitze kann man beim Kartenspielen auch mit Maske reinsliden - Brote nicht“, stellte jüngst meine 15-Jährige klar, als sie mehrfach Vollkornbrote mit Salat, Bio-Gurke und Frischkäse wieder mit nach Hause brachte.
Okay, ich habe meinen Kindern weder Haferflocken-Bananen-Kekse noch Frühstücksmuffins gebacken, wie es ein Elternratgeber empfiehlt – bunt und gesund war es aber meistens, was ich in die Boxen füllte. Und offensichtlich genehm: Auch mit Anfang 20 steckt mein Herr Sohn morgens seine Vesperdose ein und knabbert vor dem Bildschirm seine Karotten. Jüngst bedauerte er einem Kollegen, der diesen Service nicht genießt: „Deine Mutter funktioniert also nicht.“ Das berichtete der junge Mann prompt zu Hause - und präsentierte tags darauf feixend seine bestens bestückte Vesperbox.