Alles verändert sich, aber gerade auf dem Dorf bleibt eines dann doch immer gleich. Der Pfarrer, der Polizist, der Bürgermeister – das sind Konstanten. Friedrich Dürrenmatt hat mit dem „Besuch der alten Dame“ eine ganze Tragikomödie um diese Personen gesponnen.
Vor allem der Pfarrer ist als moralische Institution nicht wegzudenken. Er gibt ratsuchenden Menschen eine Richtung, hilft in Krisen oder bei der Beichte. Was aber, wenn ein Pfarrer selbst einmal in der Krise steckt?
Die erhabene Position als Oberhaupt einer religiösen Gemeinde lässt eigene Ängste, Zweifel am Amt oder Versagen kaum zu. Im Erzbistum Freiburg gibt es ein spezielles Angebot.
Redebedarf wird mit jeder Krise größer
„Wer Seelsorger ist, sollte selbst auch Seelsorge in Anspruch nehmen“, sagt Werner Kohler. Der Pfarrer organisiert Seelsorge für Priester, Diakone und Gemeindereferenten.
Der Redebedarf wird mit jeder Krise größer. Und Krisen schaffen, das geht der katholischen Kirche leicht von der Hand. Der Fall Tebartz-van Elst mit einem für über 30 Millionen Euro vergoldeten Dienstsitz etwa, Aussagen des Papstes über homosexuelle Kinder und psychiatrische Möglichkeiten oder die unglaubwürdige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle.
Wer Seelsorger ist, sollte selbst auch Seelsorge in Anspruch nehmen.Werner Kohler, Pfarrer
So etwas kommt in den Gemeinden vor Ort an. Dann müssen sich Ehrenamtliche und Priester nach dem sonntäglichen Gottesdienst Fragen gefallen lassen.
„Wenn es heißt, ob man noch ganz sauber ist, in dem Laden mitzumachen, dann betrifft das alle“, sagt Kohler. „Der Autoritäts- und Vertrauensverlust geht allen an den Nerv – ob man jetzt 40 Jahre lang dabei ist oder nicht.“
Anlaufstelle für Seelsorger soll im Herbst in Karlsruhe hinzukommen
Ihn lasse das auch nicht kalt. Aber Kohler ist überzeugt, dass die Kirche den Menschen noch immer etwas geben kann. Also überzeugt er Ehrenamtliche und Priester, dabei zu bleiben.
Vier Anlaufstellen gibt es verteilt im Erzbistum, im September soll eine weitere in Karlsruhe hinzukommen. Kohler berät Seelsorgende in den Bereichen Ortenau und Breisgau-Schwarzwald-Baar, aber im Prinzip können alle zu ihm kommen.
Nur auf konkrete Tipps darf man bei ihm nicht hoffen. „Ratschläge zu geben, ist eine heikle Kiste“, sagt der 71-Jährige. „Ich lasse den Menschen die Freiheit, ihre Lösung zu finden.“ Auch wenn es nicht immer seine Lösung oder die des Erzbischofs Stephan Burger sei.
Ein Leben lang Zölibat – schaffe ich das?
Manche Priester erleben nach vielen Jahren eine tiefe Krise. Sie spüren nichts mehr, wenn sie Gebete vortragen. „Sie standen viele Jahre in Verbindung mit Jesus Christus und haben das Gefühl, da kommt nichts mehr zurück“, sagt Kohler.
Er zitiert aus der Bibel: „Für dich ist Schweigen ein Lobgesang.“ Das mag verrückt klingen, sagt er, aber Stille öffne einen Raum. Und noch eine Stelle aus der Bibel: In der Wüste würden doch die wesentlichen Erfahrungen gemacht werden.
Der Autoritäts- und Vertrauensverlust geht allen an den Nerv – ob man jetzt 40 Jahre lang dabei ist oder nicht.Werner Kohler, Pfarrer
15 Seelsorgende stehen derzeit auf Kohlers Liste, die Beratungen dauern bis zu zwei Jahre. Manche sind Ende 20, andere 80 Jahre alt. Die Jüngeren treibt auch der Zölibat um. Dieser setzt voraus, ein Leben lang sexuell enthaltsam und ehelos zu leben. Eine Frage, die man in der Priesterausbildung mit Mitte 20 nur schwer beantworten kann.
Ein Priesteranwärter hatte im Gespräch mit unserer Zeitung seinen Zwiespalt erklärt: Er überlege beim Verliebtsein nach, ob es nur eine Schwärmerei ist. „Oder ist es stärker und ich muss mich damit existenziell auseinandersetzen?“ Es geht bei dieser Frage um die eigene berufliche Existenz.
Wie erkläre ich meiner Gemeinde meine Krankheit?
Mit wem darf man sich als Priester eigentlich privat intensiver austauschen? Eine große Frage, sagt Kohler. „Mit Frauen ist freundschaftliche Verbundenheit erlaubt.“ Intimität müsse nicht gleich gelebte Sexualität bedeuten.
„Aber das setzt bei beiden Personen einen klaren Standpunkt voraus.“ Es hilft den jungen Anwärtern, dass über den Zölibat zumindest gesprochen wird.
Für die älteren Geistlichen ist der Ruhestand ein großes Thema. „Es geht um Identität“, sagt Kohler. „Wer bin ich noch, wenn ich nicht mehr Pfarrer bin?“ Auch wer wegen einer Krankheit vorzeitig in den Ruhestand gehen muss, steht vor entscheidenden Fragen.
Wann sage ich es meiner Gemeinde? Wie sage ich es? Lösungen hat er nicht, sagt Kohler. Aber er lässt Menschen die Lösungen finden.