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Auch in Karlsruhe nicht gleichberechtigt

Tierschützer sind bei der Genehmigung von Tierversuchen in Baden-Württemberg unterrepräsentiert

Ehrenamtliche Kommissionen spielen eine wichtige Rolle im Genehmigungsprozess von Tierversuchen. Tierschützer sollen dabei genauso stark vertreten sein wie Wissenschaftler – sind es aber in Baden-Württemberg nicht.

Wann ist ein Tierversuch so ethisch, dass er genehmigt werden kann? Darüber beraten in Baden-Württemberg ehrenamtliche Kommissionen, in denen Tierschützer aber unterrepräsentiert sind.
Wann ist ein Tierversuch so ethisch, dass er genehmigt werden kann? Darüber beraten in Baden-Württemberg ehrenamtliche Kommissionen, in denen Tierschützer aber unterrepräsentiert sind. Foto: Friso Gentsch

Darf man Mäuse mit Viren infizieren? Vögeln Elektroden ins Hirn setzen? Oder Ratten um ihr Leben schwimmen lassen? Über diese Fragen diskutieren in Baden-Württemberg mehrere ehrenamtliche Kommissionen. Sie beraten die Regierungspräsidien bei deren Entscheidung, welche Tierversuche genehmigt werden. Allerdings: Tierschützer sind in diesen Gremien zahlenmäßig schwächer vertreten als Wissenschaftler.

Laut Ministerium sollen Tierschützer gleichberechtigt vertreten sein

Das sollte eigentlich nicht so sein. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hat die Regierungspräsidien bereits 2013 angewiesen, eine paritätische Besetzung anzustreben.

Zuvor war es üblich, zwei Drittel der Plätze mit Mitgliedern zu besetzen, die von Universitäten sowie von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen vorgeschlagen wurden. Tierschutzorganisationen durften lediglich für das verbleibende Drittel der Plätze Vertreter vorschlagen. Das entspricht der Mindestvorgabe aus der Tierschutz-Versuchstierverordnung. Bei einer üblichen Kommissionsgröße von sechs Mitgliedern saßen also zumeist vier Wissenschaftler und zwei Tierschützer in den Gremien.

Trotzdem erweckten Politiker bisweilen in der Öffentlichkeit den Eindruck, Tierschützer dürften bei der Genehmigung von Tierversuchen gleichberechtigt mitreden. So sagte beispielsweise 2015 der damalige Minister Alexander Bonde einer Pressemitteilung der Landesregierung zufolge, die ehrenamtlichen Kommissionen seien paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Tierschutzorganisationen und aus der Wissenschaft besetzt worden.

Zahlen zeigen: Tierschutzorganisationen sind unterrepräsentiert

Dass dies schon 2015 nicht der Fall war und es bis heute nicht ist, zeigen die Zahlen des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Auf BNN-Anfrage gibt das Ministerium an, dass über alle Regierungspräsidien hinweg zurzeit 24 Menschen in den Kommissionen von Forschungseinrichtungen vorgeschlagen wurden. Ihnen stehen aktuell nur 18 Vertreter von Tierschutzorganisationen gegenüber.

„Das Verhältnis der Mitglieder von Tierschutzorganisationen zu staatlichen Forschungseinrichtungen/ Universitäten/ privatwirtschaftlichen Einrichtungen hat sich seit 2013 von 0,5 zu 0,7 weiterentwickelt”, schreibt das Ministerium als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Thekla Walker (Grüne). „Mehr als sieben Jahre hatten die Regierungspräsidien Zeit, die Tierschutzkommissionen paritätisch zu besetzen – sie sind dieser Aufgabe nicht nachgekommen”, so Walker. „Hier muss dringend nachgebessert werden.”

In Karlsruhe sitzen in zwei Kommissionen insgesamt sieben Vertreter aus der Wissenschaft und fünf vonseiten der Tierschützer. Als einziges Regierungspräsidium hat Freiburg Kommissionen mit insgesamt mehr Tierschützern (7) als Wissenschafltern (5). Allerdings sind alle Tierschutz-Vertreter in Freiburg von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) vorgeschlagen worden. Diese Organisation wird von anderen Tierschützern kritisiert, weil sie nicht grundsätzlich gegen Tierversuche eintritt.

Tierschutzorganisationen sowie verschiedene Wissenschaftler und Politiker wollen sich nun dafür einsetzen, dass zukünftige Neubesetzungen immer paritätisch erfolgen, also je die Hälfte der Sitze an Vertreter aus Wissenschaft und Tierschutz gehen. Beide Seiten dürfen Kandidaten vorschlagen – wer aber schlussendlich berufen wird, entscheiden die Regierungspräsidien. Die Kommissionen haben im Genehmigungsprozess eine wichtige beratende Funktion. Die endgültige Entscheidung über die Genehmigung oder Ablehnung eines Tierversuchsantrags treffen aber stets die Regierungspräsidien selbst.

Tierschützer wollen paritätische Besetzung in Tübingen erreichen

Die nächste Neubesetzung einer Tierversuchskommission steht im September in Tübingen an. Eine der beiden dortigen Kommissionen wird turnusgemäß für drei Jahre neu ernannt. Momentan sitzen in beiden Tübinger Kommissionen doppelt so viele Wissenschaftler wie Tierschützer.

Geht es nach Tierschutzaktivisten, soll sich das nun ändern. Die Tierschutzorganisation Peta hat eine Online-Petition gestartet. Zusammen mit der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht und Wissenschaftlern aus dem Bereich der Bioethik hat sie außerdem einen Offenen Brief an das Regierungspräsidium Tübingen sowie das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz geschrieben.

Darin fordern die Absender, die Tübinger Kommission ab September paritätisch zu besetzen. Man habe dem Regierungspräsidium bereits im März mehrere geeignete Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen. Das Regierungspräsidium antwortete auf den Offenen Brief, dass eine zu geringe Anzahl an Kandidaten in der Vergangenheit der Grund war, warum mit einer kurzen Ausnahme keine paritätische Besetzung erfolgen konnte. Sollte es diesmal gelingen, „würden wir dies durchaus begrüßen”, so das Präsidium.

Warum Tierschützern die paritätische Besetzung wichtig ist

In der Kommission müssen insbesondere zwei Werte abgewogen werden: einerseits der Fortschritt der Wissenschaft, andererseits der Schutz der Tiere. „Die Kommissionsmitglieder führen die Güterabwägung zur Bestimmung der ethischen Vertretbarkeit der Versuche individuell und nach subjektiven Kriterien durch, da es vom Gesetz keine klaren Vorgaben gibt“, erklärt der Tübinger Bioethiker Norbert Alzmann.

Daher spiegelt sich eine ungleiche Besetzung laut Alzmann „in den Voten der Kommissionen wider, die per Mehrheitsbeschluss gefasst werden. Die Frage muss erlaubt sein, ob in einer paritätischen Besetzung zu gleichen Teilen mit drei Vertretern der Wissenschaft und drei Vertretern der Tierschutzorganisationen eine ausgewogenere, gerechtere und angemessenere Interessensberücksichtigung zu sehen ist.”

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