Skip to main content

Tourismus

Klimawandel und das Dilemma mit dem Fernweh

Flugreisen stehen aufgrund ihrer CO2-Emissionen stark in der Kritik. Aber rund um den Globus leben Menschen von Besuchern aus dem Ausland, oftmals gilt Tourismus als Schaffer von Arbeitsplätzen.

Ein Flugzeug fliegt vor einem leicht bewölkten Himmel
Trotz Klimawandel in die Ferne fliegen? Die Meinungen gehen auseinander. Foto: dpa

Nie verreisen? Nie fliegen? Würden die Menschen dem Rat von Niko Paech folgen, würden sie ihren Urlaub zu Hause verbringen. Balkonien statt Karibikstrand, der eigene Garten statt afrikanischer Savanne. „Das Überleben der menschlichen Zivilisation hängt davon ab, ob weitgehend sesshafte Lebensstile zur Norm werden“, prophezeit der Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen.

Paech gilt als radikaler Wachstumskritiker. Fliegen – in seinen Augen ökologischer Vandalismus. Und insbesondere dann verantwortungslos, wenn man aus reinem Vergnügen ein Flugzeug nutzt. „Jeder Flug trägt durch Treibhausgase erheblich zum Klimawandel bei“, sagt er und rechnet vor:

Rund 2,5 Tonnen CO2 dürfte heute jeder Mensch jährlich nur verursachen, wenn das internationale Klimaziel eingehalten werden soll, nämlich die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad bis zum Jahr 2100 gegenüber dem Beginn der Industrialisierung zu begrenzen.

Die Realität sieht in den reichen Staaten aber anders aus. „Derzeit liegt der Durchschnitt in Deutschland bei rund zwölf Tonnen“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Und bei einem Flug zum Beispiel von Frankfurt nach New York und wieder zurück würden pro Person rund vier Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen.

Nachfrage nach Flugreisen ist ungebrochen

Also auf Flugreisen verzichten? Und schon gar nicht in die Ferne jetten? Trotz der aktuellen Klimadebatte: Die Lust am Fliegen ist offenbar ungebrochen. „Ich stelle kein Umdenken fest“, sagt Stephanie Schütte, die in Leopoldshafen das Reisebüro „Yakee Travel“ betreibt und sich auf Asien spezialisiert hat.

Und auch der internationale Airline-Verband IATA spricht keineswegs von Zurückhaltung. Im Gegenteil: Er schätzt, dass dieses Jahr weltweit mehr Menschen in ein Flugzeug steigen denn je. Die Organisation geht für 2019 von rund 4,6 Milliarden Passagieren aus und damit von einer Zahl, die sich innerhalb von nur zwei Jahrzehnten verdreifacht hat.

In Südafrika ist Tourismus ein Jobmotor

Was aber wäre die Konsequenz, wenn es anders wäre? Michael Lutzeyer macht sich darüber inzwischen häufig Gedanken. Er lebt am anderen Ende der Welt, in Südafrika, und verfolgt die Flugscham-Diskussion mit Sorge. „Für mein Land ist der Tourismus ein Segen“, betont er. Vor allem dann, wenn er nachhaltig sei.

Lutzeyer zählt zu den Pionieren des Ökotourismus in Südafrika. Er errichtete in der Walker Bay, rund 160 Kilometer südöstlich von Kapstadt, ein kleines Luxusresort und verwandelte das einstige Farmland in ein botanisch artenreiches Naturreservat. Die meisten Gäste von Grootbos stammen aus Europa und Nordamerika. Würden sie nicht mehr kommen, hätte nicht nur der Hotelchef ein ernsthaftes Problem.

Die Arbeitslosenquote liegt in Südafrika offiziell bei 27 Prozent, ist in einigen Regionen aber weit höher. Auch in der Walker Bay gibt es nur wenige Jobs. Und selbst die Busanbindung an die städtischen Zentren fehlt. „Die Menschen sind sehr arm und auf Projekte wie Grootbos angewiesen“, meint Lutzeyer. 210 Frauen und Männer arbeiten für ihn – in der Lodge sowie in der angeschlossenen Stiftung, in die ein großer Teil der Einnahmen fließt und die sich Ausbildungsförderung, Naturschutz sowie Ökolandbau auf die Fahnen geschrieben hat.

Fernreisende sind ein wichtiges Standbein

Rund 1.200 Kilometer Luftlinie weiter nordöstlich, in Johannesburg, zeigt Bheki Dube Touristen das angesagte Viertel Maboneng. Seine Führungen sind gefragt, und auch sein Hostel in der südafrikanischen Millionen-Metropole sowie die Backpacker-Unterkunft in der Küstenstadt Durban haben bei Reisenden einen guten Ruf.

Ohne Urlauber aus Übersee allerdings würde der Chef von Curiocity wohl nicht auf diesen eher ungewöhnlichen Erfolg blicken: Der erst 28-jährige Geschäftsmann hat es nicht nur geschafft, jeden Monat rund 4.000 Fernreisende anzulocken. Es gelang ihm auch, sich in einer von Weißen dominierten Industrie durchzusetzen. Dube gehört zur schwarzen Bevölkerung Südafrikas. Nur selten kommt es vor, dass jemand mit seiner Hautfarbe eine touristische Firma leitet und 45 Arbeitsplätze schafft.

Weniger Gäste aus Europa oder Amerika – „das wäre sehr schlecht fürs Geschäft“, sagt der junge Mann und ergänzt: „Ich müsste dann versuchen, noch mehr Südafrikaner als Kunden zu gewinnen.“ Momentan buchen sie vor allem die Unterkunft in Durban, im Curiocity in Johannesburg stellen sie dagegen die Minderheit.

Die Menschen am Kap reisen zwar. Doch insbesondere die schwarzen Südafrikaner sind fast nur beruflich unterwegs oder um die Familie zu besuchen. Die derzeit jährlich rund 2,7 Millionen Touristen, die das Fernweh in Afrikas Süden bringt, gelten daher als wichtiges Standbein des Tourismus.

Ägypten hängt am Tropf des Tourismus

Was es bedeuten kann, wenn plötzlich kein ausländischer Tourist mehr durch die Straßen schlendert, hat Mansur leidvoll erfahren. Der Ägypter arbeitete auf einem kleinen Nilschiff, als Anfang 2011 der Arabische Frühling seinen Lauf nahm.

Er kümmerte sich damals um deutsche Urlauber – nicht ahnend, dass dies für lange Zeit seine letzte Kreuzfahrt als Hotelmanager sein wird. Politische Unruhen und Anschläge sorgten dafür, dass der Tourismus in Oberägypten komplett einbrach und sich erst im vergangenen Jahr eine Wende abzeichnete. Eine Tragödie für die Menschen am Nil: Die Region hängt am Tropf des Tourismus.

Wer auf einem Flusskreuzfahrtschiff einen Job hatte, als Reiseleiter tätig war oder als Händler an den Fremden aus dem Ausland verdiente, ernährte mit seinem Einkommen meist eine Großfamilie.

So auch Mansur, der im Nil-Städtchen Karnak wohnt und nicht nur für die eigenen drei Kinder sorgt, sondern auch für den verstorbenen Bruder eingesprungen ist. Die Ersparnisse sind inzwischen aufgebraucht, der Ägypter hält sich mit Aushilfsjobs über Wasser.

In Sri Lanka kehren alte Ängste zurück

Die Angst vor einer solchen Situation hat Nishantha de Silva schon häufiger umgetrieben. Zuletzt im April, als eine Anschlagsserie Sri Lanka erschütterte und Deutschland vor Reisen auf die Insel im Indischen Ozean warnte.

Der Reiseleiter und Inhaber einer kleinen Pension in der Küstenstadt Beruwela kontaktierte sofort einstige deutsche Gäste. In der Hoffnung, dass diese in ihrem Umfeld erzählen, dass Urlauber nicht vor Reisen nach Sri Lanka zurückschrecken müssten.

Der Tourismus des Landes erlebte in der Vergangenheit ein Auf und Ab. Der Bürgerkrieg im Norden der Insel sorgte bis 2009 immer wieder für ein Fernbleiben von Besuchern. Reiseleiter wie De Silva, der für Veranstalter deutschen Gruppen die Insel zeigt, erhielten dadurch oft keine Aufträge. Und die Hotels hatten kaum Gäste.

Tourism Watch: „Weniger häufig fliegen, dafür länger bleiben.“

Von Urlaubern aus dem Ausland abhängig zu sein – „das ist problematisch“, sagt Antje Monshausen. Die Leiterin von Tourism Watch, einer Fachstelle des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, steht der Reiseindustrie kritisch gegenüber. Wie viel Geld kommt tatsächlich bei den Menschen eines Landes an? Sind die Jobs im Tourismus wirklich erstrebenswert?

Und wäre es für die Bevölkerung nicht besser, den Fokus auf andere, die regionale Wirtschaft fördernde Einkommensquellen zu legen? Fragen, die sich sicher nicht pauschal beantworten lassen. Doch Monshausen würde sich wünschen, dass Destinationen verstärkt auf Reisende aus dem eigenen Land setzen. „Ihr ökologischer Fußabdruck ist wesentlich kleiner“, betont sie. Und an Fernreisende appelliert sie: „Weniger häufig fliegen, dafür länger bleiben.“

Davon könnten beide Seiten profitieren – die Urlaubsländer, weil das Geld der Touristen dann mehr wirtschaftliche Impulse auslöse. Die Reisenden, weil das Erlebnis dann oft intensiver sei.

Vielleicht beherzigen Urlauber künftig vermehrt diesen Wunsch. Eines hat die Klimadebatte jedenfalls bewirkt: Die Bereitschaft, zu kompensieren, steigt. Die Klimaschutzorganisation Atmosfair fordert Reisende auf, für jeden Flug einen Obolus zu zahlen, der dann in erneuerbare Energien investiert wird. Dies geschieht zwar nicht einmal für ein Prozent der Abflüge in Deutschland. Im vergangenen Jahr kamen aber immerhin 9,5 Millionen Euro zusammen – 40 Prozent mehr als 2017.

Und noch etwas hat sich verändert: „Nachhaltiges Reisen in den Urlaubsländern ist sehr gefragt“, sagt Reisebürochefin Stephanie Schütte. Fernflüge ja, aber einmal am Ziel wollen ihre Kunden möglichst nicht abheben. „Einige fahren dort sogar am liebsten Rad.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang