Dass eine Grundschule aufgefordert wird, für die Strafarbeit einer Drittklässlerin Rechenschaft abzulegen, dürfte bundesweit Seltenheitswert haben. Aus Sicht des Regierungspräsidiums Freiburg war es aber nötig, nachdem eine Lehrerin im Schwarzwald-Baar-Kreis eine Neunjährige sanktionierte. Das Mädchen hatte auf dem Schulhof mit einer Freundin Türkisch gesprochen und sollte danach aufschreiben, „warum wir in der Schule Deutsch sprechen”.
Nun liegt dem Regierungspräsidium die Stellungnahme vor. Laut einer Sprecherin liegt der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund an dieser Grundschule bei 43 Prozent, das sei ein vergleichsweise hoher Anteil.
„Die Kinder kommen aus 16 Nationen”, so die Sprecherin. „Unter dieser Voraussetzung ist es für die Verständigung untereinander und für die Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule wichtig, dass die Kinder und Lehrkräfte eine Sprache sprechen.”
Die Regel „Wir sprechen alle die deutsche Sprache“ gehöre zu den Klassenregeln, die jedes Jahr neu von Schülern aufgestellt und an Elternabenden vorgestellt werden. Dabei sei vereinbart worden, dass bei einem Verstoß ein Aufsatz zu schreiben ist. „Das ist von der ersten Klasse an so.”
Schüler beschwerten sich bei Lehrerin
Die beiden sanktionierten Schülerinnen hätten in einer Woche mehrmals untereinander Türkisch gesprochen, Schüler hätten sich dann bei der Lehrerin beschwert. „Auf die Abgabe der daraufhin verordneten Strafarbeit hat die Lehrkraft bereits am darauf folgenden Tag bei einem Telefonat mit der Mutter eines der Mädchen verzichtet.” Die Eltern der Neunjährigen hätten mehrere Gesprächsangebote abgelehnt.
Das Mädchen gab die Strafarbeit ohne das Wissen ihrer Eltern ab. Doch der Fall ist für die Familie damit nicht abgeschlossen, wie der beauftragte Heidelberger Anwalt Yalçın Tekinoglu betont: „Die Strafarbeit ist rechtswidrig. Und wenn man speziell Türkisch verbietet, andere Sprachen aber nicht, dann hätte der Fall auch eine diskrimierende Komponente.”
Anwalt will ein Protokoll einfordern
Die Stellungnahme der Schule widerspreche außerdem der Darstellung der Eltern und des Kindes.
Aus seiner Sicht gibt es eine solche Regel in der Klasse nicht. Auf einem Blatt, das er zeigt, sind neun Regeln in kindlicher Schreibschrift festgehalten. „Wir reden in normaler Lautstärke” lautet eine. In welcher Sprache geredet werden muss, steht da nicht.
Von einer Familie, die bei jedem Elternabend gewesen sei, habe er erfahren, dass auch da nicht auf die Regel hingewiesen wurde. „Eine solche Regel hätte die Lehrerkonferenz auch beschließen müssen.” Das Protokoll wolle er nun einfordern.
Das Regierungspräsidium hatte auf BNN-Anfrage mitgeteilt, es gebe „kein generelles Verbot, sich in der Schule oder Pause in einer nicht-deutschen Sprache zu unterhalten”.
Aus Sicht von Tekinoglu ließe sich eine solche Regel auch gar nicht umsetzen. „Wenn eine Mutter ihr Kind zur Schule bringt und sie sich in ihrer Muttersprache verabschieden, kann man das nicht durch ein Verbot regeln.”
Der Kontakt mit der Schule läuft nur noch über den Anwalt. Jedoch sei es zuerst die Schule gewesen, so Tekinoglu, die ein persönliches Gespräch vor Ort verweigert habe.
Ein Fall mit Wirkung für ganz Deutschland?
Nach der Kritik der Föderation der Vereine Türkischer Elternbeiräte in Baden hat sich nun auch deren Bundesverband gemeldet. Dieser kritisiert schulinterne Vereinbarungen wie an der genannten Grundschule, das sei „eine juristisch problematische Regelung”. Darin sieht der Verband einen „Eingriff in das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit”.
Uğur Acar, Bildungsattaché im Türkischen Generalkonsulat Karlsruhe, äußert ebenfalls Unverständnis für die Maßnahme: „Wir fragen uns, auf welchem pädagogischen Verständnis dieser Ansatz beruht. Was wird vermittelt, wenn eine Sprache verboten wird?” Acar betont aber auch: „Wir sind selbstverständlich der Meinung, dass Kinder aus Migrantenfamilien Deutsch lernen müssen, um bessere Bildungserfolge zu erzielen.”
Anwalt Tekinoglu glaubt, dass weitere Schüler und Schulen auf die Entwicklung in diesem Fall achten. „Ich gehe davon aus, dass der Fall eine größere Bedeutung erhält mit Signalwirkung für Baden-Württemberg, vielleicht auch ganz Deutschland.”