Skip to main content

Zuwachs dank Migration

Von Wohnraum bis zum Klimawandel: Die größten Herausforderungen für Baden-Württemberg

Wohnraum und Kita-Plätze fehlen, die Region muss sich fit für die Zukunft machen. Doch die größte Herausforderung liegt in einem anderen Bereich, betont der Regionalverband Mittlerer Oberrhein.

Der Bedarf ist groß: In Baden-Württemberg und auch der Region ist ein Anstieg der Einwohnerzahlen auch in Zukunft zu erwarten.
Der Bedarf ist groß: In Baden-Württemberg und auch der Region ist ein Anstieg der Einwohnerzahlen auch in Zukunft zu erwarten. Foto: Jan Woitas/dpa

Die Prognosen sind eindeutig: Die Region wird weiter wachsen. „Und das zieht Folgeentwicklungen nach sich“, sagt Matthias Proske. Der Bedarf an Wohnraum oder Kitaplätzen etwa wird weiter stark sein.

Als Direktor des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein hat Proske die Entwicklung im Blick. Seinen Verband sieht er als „Organisator der Flächen“.

Es geht darum, Freiraum für Wohnen, Gewerbe und Natur zu ermöglichen. Verbandsdirektor Proske erklärt, was die Region attraktiv macht, wo der Schuh drückt – und warum die größte Herausforderung abseits irgendwelcher Flächenpläne liegen wird.

Zudem werfen wir einen Blick auf die Kindertagesstätten und den Mietmarkt, die wichtigsten Fragen und Antworten dazu hat Redaktionsmitglied Sebastian Raviol zusammengestellt.

Wie entwickelt sich die Region?

Ein bundesweiter Trend zeigt sich auch in der Region: Die Sterberate ist höher als die Geburtenrate. Heißt: Die Region wächst, aber nur durch den Zuzug. „Wir sind eine Zuzugsregion“, sagt Proske. „Das waren wir und werden es auch bleiben.“ Oft seien es qualifizierte Arbeitskräfte, die den Weg nach Baden-Württemberg suchen.

Von Bruchsal im Norden über Karlsruhe bis Bühl im Süden erstreckt sich das Gebiet des Regionalverbands mit rund 1,04 Millionen Einwohnern. Im Jahr 2010 waren es noch 1,01 Millionen Einwohner. Der Regionalverband erwartet einen Zuwachs von rund 52.000 Menschen in den kommenden zehn Jahren.

„Die große Unbekannte ist die Migration“, sagt Proske. Der Krieg in der Ukraine etwa hat zuletzt für einen starken Zuzug von Geflüchteten gesorgt. Es gibt natürlich auch Abwanderung aus der Region. Die meisten Menschen zieht es in andere Bundesländer, in die Pfalz (2021: 3.400), nach Bayern (2.200) oder Bremen (1.700).

Wie unterscheiden sich die Kommunen?

„Karlsruhe wird nicht mehr so stark wachsen wie bislang gedacht“, sagt Proske. Die Stadt habe sich bewusst dafür entschieden, nicht dem gesamten Flächenbedarf gerecht zu werden, den der Zuzug beanspruchen würde. „Wenn Menschen keinen Wohnraum finden, gehen sie ins Umland.“ Vor allem Rastatt, Ettlingen oder Bruchsal würden in dem Fall profitieren.

In einer Prognose bis zum Jahr 2040 sieht der Regionalverband außerdem Bühl und Bretten stärker wachsen. Zurückhaltender ist die voraussichtliche Steigerung der Einwohnerzahlen in Baden-Baden, Ettlingen oder Gernsbach. In der Statistik lassen sich solche Fälle damit begründen, dass der Altersdurchschnitt der Menschen vor Ort höher liegt als anderswo oder Flächen für Zuzug fehlen.

Was spricht für die Region, wo drückt der Schuh?

„Wir sind in einem Wettbewerb mit anderen Regionen“, stellt Proske klar. Man wolle wie andere Regionen auch einen Zuzug an Fachkräften, auch deswegen müsse man attraktiv sein. Absolventen könnten es sich heute mehr denn je aussuchen, wo sie arbeiteten.

„Wir müssen in Baden-Württemberg höllisch aufpassen“, sagt Proske. Für die Transformation der Wirtschaft, in Richtung Künstliche Intelligenz oder Wasserstoff etwa, brauche es mehr Flächen. Sonst verliere man den Anschluss.

Stand heute sei man im Vergleich mit anderen Regionen aber „sehr, sehr attraktiv“. Nur wenige Regionen in Baden-Württemberg könnten eine solche naturräumliche Attraktivität mit der Nähe zum Schwarzwald, der Pfalz und Frankreich bieten. Außerdem sei man mit der A5 und A8 sowie der Güterbahntrasse Rotterdam-Genua gut angebunden.

Wird es noch genügend freie Flächen für Wohnraum geben?

Der Unterschied zwischen 1950 und 2020 ist deutlich: Landwirtschaftsfläche nahm ab, dafür nahm die Fläche für Siedlungen und Verkehr deutlich zu. Insgesamt sieht der Regionalverband einen Bedarf für Wohnbauflächen in Höhe von 810 Hektar.

Dem Bedarf kann man aus Sicht von Proske nur gerecht werden, wenn man die Flächen besser ausnutzt. Wohnraum mit jeweils 800, 900 Quadratmeter großen Grundstücken neu zu bebauen, könne man nicht mehr verantworten. Deswegen arbeitet der Regionalverband an neuen Leitlinien für die Gemeinden und Städte, der alte Regionalplan aus dem Jahr 2003 soll durch den neuen Plan wohl im Jahr 2024 abgelöst werden.

Einfamilienhäuser mit Riesengrundstücken sollen dann nicht mehr möglich sein. „Nur so können wir Fehlentwicklungen vermeiden“, sagt Proske. „Wir werden nicht mehr so verschwenderisch mit Fläche umgehen.“ Es gehe nun eher darum, Mehrfamilienhäuser in die Höhe zu bauen. Das werde auch dem nachgefragten Bedarf der Menschen gerecht.

Müssen wir noch höhere Mietpreise befürchten?

Die Mietpreise in Baden-Württemberg kennen in den vergangenen Jahren nur einen Weg: nach oben. Diese unterscheiden sich selbst innerhalb von Kommunen stark. Die Entwicklung lässt sich aber gut am Mietpreisindex erkennen, der die durchschnittlichen Nettokaltmieten und Nebenkosten Jahr für Jahr miteinander vergleicht. Dieser stieg seit 2012 von 95,6 auf 113,1.

Die Kurve wird weiter nach oben zeigen, glaubt Udo Casper vom Landesverband des Deutschen Mieterbundes. „Der Wohnungsneubau kann die Wohnungsnachfrage nicht annähernd befriedigen“, erklärt Casper. „Zudem ist zu befürchten, dass durch die Energiekrise, die Inflation und wieder steigende Zinsen noch weniger Wohnungen gebaut werden.“ Kurzum: „Der wachsende Wohnungsmangel treibt die Mietpreise weiter an.“

Nachhaltige Besserung gebe es nur, wenn die Neubauleistung verdoppelt werde. Für Karlsruhe bedeute das, dass man statt etwa 530 neu gebauten Wohnungen jährlich 1.000 Wohnungen neu bauen müsste. „Dies ist leider in absehbarer Zeit nicht zu erwarten“, sagt Casper, auch mit Blick auf Baden-Württemberg.

Wie angespannt ist die Situation bei den Kita-Plätzen?

Wer derzeit einen Kita-Platz sucht, kennt das Problem: Es fehlen Plätze. Zwischen 2008 und 2018 wurden in Baden-Württemberg zwar 1.082 neue Kindertageseinrichtungen geschaffen, ein Plus von 13,8 Prozent. „Das ist gut, reicht aber nicht“, betont Marko Kaldewey, Landesvorsitzender des Deutschen Kitaverbands.

Der erwartete Zuzug wird das Problem eher verschärfen. Daher fordert Kaldewey, dass das Betreuungsangebot ausgebaut wird. Aber auch bei den Betreuungszeiten gebe es erheblichen Bedarf. „In Baden-Württemberg könnten gerade einmal 27 Prozent der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt eine Einrichtung mehr als 35 Stunden die Woche besuchen. Das muss verbessert werden“, fordert Kaldewey.

Momentan bremse aber vor allem der massive Fachkräftemangel unter Erzieherinnen die quantitative und qualitative Ausweitung der Betreuungsangebote im Land.

Wie sieht die Zukunft für die Region aus?

Der Umgang mit den Flächen für Wohnen und Gewerbe ist ein sehr großes Thema für die Region. „Die größten Herausforderungen liegen aber im Bereich des Klimawandels“, sagt Proske. Diese würden die Region in Zukunft deutlich stärker beschäftigen. In der Rheinebene sei eine besonders starke Zunahme an Hitzetagen zu erwarten, ebenso würden Starkregenereignisse zunehmen.

Die Energiewende wird sich in der Region vor allem dadurch zeigen, dass Flächen für Tiefengeothermie, Windkraft- und Photvoltaikanlagen gebraucht werden. „Das macht mir Sorgen“, räumt Proske ein. „Die Zustimmung ist derzeit groß – aber sie wird schwinden, wenn es um Projekte vor der eigenen Haustüre geht.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang