Wer zwei Monate vor der Landtagswahl Landtagspolitiker verschiedener Parteien zusammen auf eine Bühne setzt, darf Wahlkampf erwarten. Dann verweisen Politiker auf Erfolge, die ihre Partei angestoßen habe und auf wichtige Projekte, die die anderen Parteien leider verhindert hätten.
Für die vier Landespolitiker gab es beim digital übertragenen Kongress Gesundheit Baden-Württemberg aber eine Schwierigkeit: Der Bereich wird durch die Corona-Pandemie von den Bürgern strenger beäugt denn je.
Bevor die Gesundheitsexperten von Grünen, CDU, SPD und FDP auf der Bühne der Messe in Stuttgart in den verbalen Spagat gingen, hörten sie Hendrik Streeck zu. Manche Menschen bezeichnen ihn als einer der Top-Virologen, andere kritisieren ihn für seine Haltung in der Corona-Pandemie.
Der 43-Jährige hatte Ende 2020 Fehler eingestanden – so sei er anfangs nicht vom Nutzen der Masken überzeugt gewesen und hätte gedacht, das Coronavirus sei nicht schlimmer als das Grippevirus. Zweifelsohne aber ist Streeck einer der meist gehörten Virologen des Landes. Beim Landeskongress Gesundheit warb er bei den Politikern für ein vorausschauendes Management.
Es wird zu viel ohne Wissen entschieden.Hendrik Streeck, Virologe
„Die Politik sollte ihr Krisenmanagement nicht länger darauf beschränken, situativ auf die aktuelle Entwicklung zu reagieren und Neuinfektionszahlen zu verwalten“, betonte er.
Streeck: Labor-Phase im Sommer hätte gut getan
Die Politik agiere unspezifisch mit dem Hammer und berufe sich dabei auf die Wissenschaft. „Und das, wo es noch gar kein Wissen gibt“, sagte Streeck. Aus seiner Sicht wurden durch den Lockdown „bemerkenswerte Erfolg durch eine gewaltige gemeinsame Kraftanstrengung“ erreicht.
„Aber es wird zu viel ohne Wissen entschieden“, so Streeck. So gebe es keine empirischen oder wissenschaftlichen Daten, wie gut Hygienekonzepte wirken, wo sich die Menschen besonders häufig anstecken.
Im Sommer hätte man das genauer erforschen müssen, sagt Streeck. „Da hätte man laborartig arbeiten können.“ Dann, so seine Theorie, müssten nun weniger Bereiche geschlossen werden.
Um nun politische Konsequenzen besser abschätzen zu können, müsse man testen und repräsentative Stichproben erheben, sagt der Virologe. Dass ab bestimmten Inzidenzwerten (Fälle pro Einwohner) Maßnahmen greifen, ist aus seiner Sicht keine gute Lösung. „Man muss von einer enormen Dunkelziffer ausgehen, es fehlt die Zuverlässigkeit in der Messung.“
Was sind die Folgen für die Landespolitik?
Auch angesichts möglicher Mutationen des Virus rechnet Streeck damit, „dass uns das Virus die nächsten Jahre begleitet“. Er erklärte: „Angesichts der Erfahrungen mit anderen Coronaviren werden wir auch mit diesem Coronavirus leben können.“
Umso mehr stellte sich für die zuhörenden Landespolitiker die Frage: Wie sollen die Parteien mit dem womöglich langfristigen Problem umgehen? Schließlich hat es Stärken und Schwächen des Gesundheitssystems schonungslos offenbart.
„In der nächsten Legislatur geht es um die gesundheitliche Substanz für die Zukunft“, betonte Jochen Haußmann (FDP). So seien in Baden-Württemberg ein Drittel der Hausärzte 60 Jahre oder älter. „Wir haben noch wenige Jahre, dann kommt diese Thematik heftig“, warnte Haußmann. „Da gibt es nicht die eine Lösung mit Einzelpraxen.“
Rainer Hinderer (SPD) sprach von Ärztehäusern oder davon, dass Gemeinden Zweitpraxen fördern sollten. „Kommunen haben da Handlungsspielraum“, sagte Hinderer.
Eigenes Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg
Wie viele Kliniken sich das Land leisten soll, ist generell ein großes Streitthema. „Es waren vor allem die großen Kliniken, die die Pandemie bewältigt haben“, betonte Hinderer. „Wir stehen dazu, dass es da eine Konzentration und Spezialisierung gibt.“ Doch die finanzielle Unterstützung für Kliniken, die die regionale Basisversorgung zusichern, könne man verstärken.
Wie weit reicht das Geld in einem Landeshaushalt, der sich der Corona-Krise anpassen muss? „Noch nie war Gesundheit so in aller Munde“, sagte Petra Krebs (Grüne). „Das muss sich auch in den Landeshaushalten niederschlagen, alles andere wäre eine Katastrophe.“
Die nächsten fünf Jahre sind enorm wichtig.Jochen Haußmann, FDP-Gesundheitsexperte
Krebs erklärte: „Wir kämpfen dafür, dass die notwendigen Investitionen in Krankenhäusern übernommen werden.“ Zugleich müsse man Doppelstrukturen vermeiden.
Claudia Martin (CDU) hielt sich mit ihren Ausführungen sehr zurück, regte aber an: „Wir müssen Gesundheit im Allgemeinen zur Chefsache machen.“ So brauche es ein eigenes Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg.
Wer am Ende am liebsten mit welchem Kooperationspartner seine gesundheitspolitischen Ziele umsetzen würde, ließen die Politiker offen. Auch das gehört zum Wahlkampf. FDP-Politiker Haußmann betonte aber: „Die nächsten fünf Jahre sind enorm wichtig.“