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Land fördert Forschungsprojekt

Wissenschaftlerinnen erforschen Geschichte lesbischer Frauen in Baden-Württemberg

Unter dem Titel „Lesbische Lebenswelten im deutschen Südwesten 1920-1970“ rekonstruieren die Universitäten Heidelberg und Freiburg das Leben lesbischer Frauen in Baden-Württemberg in der NS- und Nachkriegszeit.

ARCHIV - ILLUSTRATION - Zwei lesbische Frauen umarmen sich in einem Park in Frankfurt am Main am 02.07.2016. Schwule und lesbische Paare müssen ab Oktober nicht mehr sprachlich unromantisch ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen, sondern können einfach heiraten. Doch das ist noch lange kein Ende der Diskriminierung. (zu dpa «Wo Homosexuelle trotz Ehe für alle schlechter dastehen» vom 27.09.2017) Foto: Boris Roessler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Historische Aufarbeitung: Lesbischen Frauen wurde in der geschichtlichen Forschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. (Symbolbild) Foto: Boris Roessler picture alliance / Boris Roessler/dpa

Die Lebensumstände frauenliebender Frauen sind noch immer ein blinder Fleck der Geschichtsforschung. Sie wurden nicht wie homosexuelle Männer durch einen Strafrechtsparagraphen verfolgt – gerade deshalb wurde ihnen in der geschichtlichen Aufarbeitung weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

„Bei lesbischen Frauen waren die Formen der Diskriminierung und Verfolgung viel komplexer“, erklärt Professorin Karen Nolte. Als eine von drei Wissenschaftlerinnen der Universitäten Heidelberg und Freiburg führt sie ein Forschungsprojekt über lesbische Frauen in Baden-Württemberg während des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit durch.

Wegen gesellschaftlicher Ausgrenzung und der ökonomischen Abhängigkeit von Männern war es lesbischen Frauen kaum möglich, ihre Sexualität auszuleben.

Anhand von Biografien und Fallakten rekonstruiert das vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg geförderte Projekt die rechtlichen, medizinischen und privaten Lebensumstände lesbischer Frauen in dieser Zeit. So wurden etwa Psychiatrie-Akten, Gerichtsakten und Zeitschriften untersucht. Interviews mit Zeitzeuginnen bieten einen privaten Zugang zu den Lebensgeschichten dieser Frauen.

Forschende auf Spurensuche in den Quellen

Karen Nolte ist innerhalb des Projekts für die medizingeschichtliche Forschung im Universitätsarchiv Heidelberg verantwortlich, bei der insgesamt etwa 1.800 Psychiatrie-Akten untersucht wurden. „Aufgrund der Menge an Akten muss man sich hier sinnvolle Stichproben überlegen“, berichtet Nolte. „Neben Akten aus dem Nationalsozialismus haben wir deshalb Jahrgänge aus der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit hinzugezogen, um eine Vergleichsbasis zu schaffen.“

„Ein interessanter Befund ist, dass das Wort „lesbisch“ oder auch zeitgenössische Fachbegriffe wie „invertiert“ und „konträrsexuell“ nicht explizit genannt werden“, teilte Nolte mit. Auch deshalb müsse man bei der Untersuchung genauer hinsehen, um lesbisches Leben in den Quellen ausfindig zu machen.

Neben Karen Nolte betrachtet Katja Patzel-Mattern an der Universität Heidelberg die rechtlichen und privaten Rahmenbedingungen lesbischer Frauen, während sich Sylvia Paletschek an der Universität Freiburg kulturellen Räumen und lesbischen Akteurinnen widmet.

Das Forschungsprojekt konnte bereits wichtige Erkenntnisse aus den Quellen gewinnen. So wurden in den Psychiatrieakten 75 Belege von Frauen gefunden, die in ihren Lebensentwürfen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprachen, etwa weil sie alleinstehend oder unverheiratet waren und nicht in heterosexuellen Beziehungen lebten.

„In 25 Fällen können Hinweise auf eine Lebensweise jenseits heteronormativer Vorstellungen ausfindig gemacht werden, da die Frauen nach eigener Angabe mit Männern nichts anfangen könnten, sowie sehr selten eindeutige homoerotische und homosexuelle Neigungen“, wie Professorin Nolte als Zwischenfazit mitteilt.

Landesnetzwerk LSBTTIQ regt Forschung an

Auf einem wissenschaftlichen Blog werden die Forschungsergebnisse unter dem Titel Lesbische Lebenswelten im deutschen Südwesten von 1920 bis 1970 veröffentlicht. Die Online-Redaktion des Blogs wird von der Karlsruherin Ute Reisner betreut. Sie gehört zu den Akteurinnen, die sich beim Landtag Baden-Württemberg für die Erforschung dieses Themas stark gemacht und die Entstehung des Forschungsprojekts möglich gemacht haben.

Reisner engagiert sich im Landesnetzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg, das sich mit Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen nicht-heterosexueller Menschen im Land einsetzt. „Forschungen zu lesbischen Frauen haben bisher nur aus Privatinitiative in der autonomen Frauenforschung ihren Platz gehabt. Erst seit ein paar Jahren werden auch staatliche Mittel dafür zur Verfügung gestellt“, erklärt Reisner. Umso erfreulicher war die Zusage des Wissenschaftsministeriums, das Anliegen mit etwa 200.000 Euro zu fördern.

Man könne bei dem Projekt von Grundlagenforschung sprechen:. „Es ist deutlich geworden, dass in den Akten sehr viel wichtiges Material schlummert. Die Arbeit im Archiv gestaltet sich jedoch zeitaufwendig, da die relevanten Quellen meist nicht digitalisiert sind und keine Stichwortsuche möglich ist. Hier ist noch eine riesige Archivarbeit zu leisten“, so die Karlsruherin.

Deshalb hoffen sowohl Reisner als auch Nolte, dass weitere Gelder für diese Forschung eingeworben werden können, da das Themenfeld großes Potenzial für tiefergehende Untersuchungen bietet.

Online-Blog

Die Forschungsergebnisse werden in den nächsten Monaten online unter www.lesbenwelt.hypotheses.org/ veröffentlicht.

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