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Meinung

von Martin Ferber

Opfer der NS-Gewaltherrschaft

Das Gedenken an den Holocaust droht zum bloßen Ritual zu werden

Noch können Überlebende der nationalsozialistischen Diktatur aus eigener Anschauung von der Verfolgung und Vernichtung nationaler oder religiöser Minderheiten berichten. Doch es werden immer weniger. Der Gedenktag für die Opfer droht zu einem Ritual zu werden. Dabei ist die Botschaft aktueller denn je.

27.01.2022, Berlin: Die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher zeigt während ihrer Rede bei der Gedenkstunde zum «Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus» im Deutschen Bundestag einen Schmetterling, den sie am Revers trägt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Überlebte den Holocaust: Die in Kippenheim im Ortenaukreis geborene Inge Auerbacher warb vor dem Deutschen Bundestag für Versöhnung und Verständigung. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Noch gibt es Zeitzeugen, die den menschenverachtenden Rassenwahn der Nationalsozialisten erlebt und den generalstabsmäßig geplanten sowie industriell durchgeführten Massenmord des NS-Regimes an den Juden Europas, den Sinti, Roma und anderen Angehörigen von Minderheiten überlebt haben.

Aus eigener Anschauung können sie berichten, wie extremer Nationalismus und Antisemitismus erst die Gesellschaft vergifteten und dann alle Hemmschwellen beseitigten, bis ein Menschenleben nichts mehr wert war. Wie die in Kippenheim im Ortenaukreis geborene Inge Auerbacher, die als Siebenjährige 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde.

Ein unschuldiges Kind, das nur deshalb verfolgt wurde, weil es einer jüdischen Familie angehörte. Ihre ergreifende Rede prägte die Gedenkstunde des Deutschen Bundestags für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Erinnerung schwindet im Bewusstsein der Menschen

Noch können sie erzählen, noch wird ihnen zugehört und geglaubt. Aber es werden von Jahr zu Jahr weniger. Die Verbrechen der Hitler-Diktatur, so unfassbar und unglaublich sie auch sind, beginnen sich allmählich im großen Meer der Vergangenheit aufzulösen und im Bewusstsein der Menschheit zu schwinden. Und das Gedenken droht zu einem bloßen Ritual, zu einer Hülle ohne Inhalt zu werden.

Dabei ist die Botschaft des Tages, den der frühere Bundespräsident Roman Herzog ins Leben gerufen hat, aktueller denn je. Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus erleben weltweit eine Renaissance. Auch in Deutschland.

Menschen werden auf offener Straße angegriffen oder in den sozialen Netzwerken mit Hasstiraden übersät, nur weil sie anders aussehen, anders denken, einen anderen biografischen Hintergrund oder einen anderen Glauben haben.

Extremisten von links und rechts verbreiten gefährliches Gedankengut

Die Corona-Pandemie spült erneut antijüdische Ressentiments und Vorurteile an die Oberfläche, die in den sozialen Medien tausendfach geteilt werden. Und Extremisten links wie rechts verbreiten ein gefährliches Gedankengut, das auf die Überhöhung der eigenen Gruppe und Ausgrenzung aller anderen setzt.

Der Gedenktag für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert daran, mahnt und warnt. Aber das ist zu wenig. Die Botschaft muss die restlichen 364 Tage mit Leben erfüllt werden. Artikel 1 des Grundgesetzes bringt es auf die ebenso schlichte wie umfassende Formel: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist an Klarheit und Eindeutigkeit nicht zu überbieten.

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