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Seilbahnen zu spät eingestellt

Experten sehen Fehler bei Corona-Krisenmanagement in Ischgl

Etwas Licht und viel Schatten: Das ist die Bilanz der Expertenkommission zum Fall Ischgl. Wichtig aber auch: Ein alter Verdacht scheint ausgeräumt.

Die Skigebiete rund um Ischgl sind bei Wintersportlern beliebt.
Die Skigebiete rund um Ischgl sind bei Wintersportlern beliebt. Foto: Felix Hörhager/dpa

Beim umstrittenen Corona-Management im österreichischen Ischgl sind nach Darstellung einer Expertenkommission Fehler und Fehleinschätzungen passiert. Es sei aber kein generelles Versagen der Behörden und der Politik zu konstatieren, sagte der Kommissionsvorsitzende Ronald Rohrer am Montag in Innsbruck.

So sei der Betrieb der Skibusse und der Seilbahnen mindestens einen Tag später als erforderlich eingestellt worden. Auf lokaler Ebene sei es dabei zu einer „Pflichtverletzung“ gekommen, weil die Verordnung der Bezirksbehörde nicht unverzüglich an der Amtstafel des Orts veröffentlicht worden sei.

Auch die Verkündung der Quarantäne über das Paznauntal durch Bundeskanzler Sebastian Kurz am 13. März hätte aus Sicht der Expertenkommission besser vorbereitet werden müssen. Es habe panikartige Reaktionen bei den vielen ausländischen Gästen gegeben, die in Windeseile versucht hätten, die Region zu verlassen. Es habe an der sofortigen Information an die Touristen gefehlt, dass sie über das Wochenende „gestaffelt und kontrolliert“ abreisen sollten. Die Urlauber hätten wegen der drohenden Quarantäne und der Polizeikontrollen ihre Hotelzimmer teils unter Zurücklassen von Gepäck verlassen.

Außerdem habe es keinen Evakuierungsplan gegeben, kritisierte Rohrer. Es hätte schon viel früher ein Konzept entwickelt werden müssen, „wie man diese engen Täler leer bekommt“, sagte Rohrer. Für einen oft kolportierten Einfluss der Tourismus- und Seilbahnwirtschaft auf die Entscheidungen der Behörden gebe es aber keine Anhaltspunkte. Alle Befragten hätten dies entschieden zurückgewiesen. Als positiv und angemessen wertete die Kommission die anfängliche Reaktion der Behörden nach Bekanntwerden der ersten Fälle mit Bezug zu Ischgl um den 3. März.

Die Kommission hatte für den Bericht insgesamt 53 Menschen befragt, darunter Betroffene, Vertreter der Seilbahn- und der Tourismuswirtschaft sowie Verantwortliche auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene. Der 1600-Einwohner-Ort in Tirol gilt nicht zuletzt wegen der dortigen Feiern beim Après-Ski als einer der Hotspots bei der Verbreitung des Coronavirus in Teilen Europas. Auch viele deutsche Gäste steckten sich hier an.

Die sechsköpfige Expertenkommission mit Vertretern aus Deutschland, der Schweiz und Österreich war im Mai vom Tiroler Landtag eingesetzt worden. Ihr Auftrag war es, „umfassend, transparent, unabhängig“ zu ermitteln. Die Kommission hatte nicht den Auftrag, strafrechtliche Ermittlungen vorzunehmen oder über Schadenersatzansprüche von Geschädigten zu entscheiden. Ihr Bericht umfasst fast 300 Seiten. Es handle sich um einen „unendlich komplexen Sachverhalt“, sagte Rohrer über die Recherchen.

In ihrer detaillierten Untersuchung warf die Kommission auch einen Blick auf das Anfangsszenario. Rohrer erinnerte daran, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. März das globale Krankheitsgeschehen als Pandemie eingestuft habe. Bereits am 3. März habe es durch Mails aus Island an ein Hotel in Ischgl Hinweise gegeben, dass Erkrankte zuvor in Ischgl gewesen waren. Nach weiteren Hinweisen sei ein Kellner, der bisher oft als Barkeeper bezeichnet worden sei, in der Après-Ski-Bar „Kitzloch“ positiv getestet worden. Die baldige Schließung des Lokals und die Testung der Belegschaft seien angemessen gewesen. Es sei „vorerst prompt und richtig reagiert“ worden. Die Bar sei „ein Spreading-Lokal, wo es zugeht, wie im ewigen Leben“ gewesen, sagte Rohrer.

Rohrer erklärte, die Virus-Variante in Ischgl passe zu einem Coronavirus, das zuvor in einem französischen Skigebiet aufgetaucht sei. An einer Tagung dort hätten Ende Januar 109 Personen teilgenommen. Wie das Virus von dort nach Ischgl gekommen sei, sei unklar.

Bei einem Verbraucherschutzverein, der die Interessen der Geschädigten vertreten will, haben sich inzwischen mehr als 6000 Tirol-Urlauber aus 45 Staaten gemeldet. Tausende Corona-Infektionen in Europa sollen auf Menschen, die in Tirol Urlaub gemacht haben, zurückzuführen sein. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt zudem gegen vier Verdächtige wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

Der Verbraucherschutzverein bekräftigte angesichts der Ergebnisse des Berichts seine Forderung nach einem Runden Tisch, den Kanzler Kurz einberufen solle. Es gelte, dort Verantwortung einzugestehen, sich bei den Reisenden zu entschuldigen und Schadenersatz anzubieten. „Das wäre im Interesse der Geschädigten, wohl aber auch im Interesse des Tiroler Fremdenverkehrs, wo Ischgl weltweit zum Synonym für Corona-Hotspots geworden ist“, sagte Peter Kolba vom Verein.

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