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Meinung

von Sibylle Kranich

Zum Begräbnis der Queen

Goodbye, schöne Märchenwelt: Die Königin ist tot, lang lebe der König? Nicht für mich

Mit der Monarchin beerdigt unsere Autorin Sibylle Kranich auch ihre Queen-Begeisterung. Mit der Queen verliert die Welt den letzten Zauber, findet sie.

Tassen mit dem Bildnis von Queen Elizabeth II. werden in einem Souvenirshop nahe dem Buckingham Palace angeboten. Die britische Königin Elizabeth II. ist am 08.09.2022 im Alter von 96 Jahren gestorben.
Für solchen „Queen-Kitsch“ wie Tassen mit dem Bildnis von Queen Elizabeth II. konnte sich unsere Autorin auch begeistern. Foto: Christian Charisius picture alliance/dpa

„Herzliches Beileid!“ – weinendes Smiley. „Oh je. Bist Du sehr traurig?“ – besorgtes Gesicht. Schon komisch, aber zum Tod der Queen erreichten mich mehr Whatsapps als zum Ableben meines Vaters vor ein paar Jahren. Klar, mein Papa war nicht prominent und die Nachricht seines Todes ging nicht in Sekundenschnelle um die Welt. Was ich sagen will: Meine Queen-Verehrung ist legendär.

Familie, Freunde, Bekannte, selbst semi-bekannte Kollegen wissen Bescheid. Ich bin zu royalen Hochzeiten gereist, war zum 70. Kronjubiläum in London und habe in meinem Leben unzählige Britische Pfund für Tassen, Küchentücher und anderen Queen-Verherrlichungs-Schnickschnack verplempert. Einmal habe ich die Königin sogar live gesehen. Als winzigen zitronengelben Punkt auf dem Balkon von Buckingham Palace zur Hochzeit von Kate und William.

Man darf mich für diese Vorliebe gerne auslachen. Aber in diesem Punkt perlen Häme und Kritik von mir ab wie von der Queen persönlich. Das ist – abgesehen vom gleichen Geburtstag – aber wohl das Einzige, was ich mit der Monarchin gemein habe. Leider. Aber deshalb habe ich sie ja auch verehrt. Für ihre sagenhafte Disziplin, ihre Beständigkeit, ihren Fleiß, ihre Pflichterfüllung und ihre Opferbereitschaft – für all diese Dinge, die ich und 99,9 Prozent der Menschheit nicht im geringsten Maß besitzen.

Die Queen war eine lebende Verbindung zwischen gestern und heute

Auch die Uneitelkeit dieser Frau fand ich großartig und sehr besonders. In 96 Lebensjahren hat niemand die Queen je für ihre Intelligenz oder ihre Schönheit gerühmt. Von Kategorien der persönlichen Eitelkeiten unbeeindruckt, stapfte sie am liebsten in Gummistiefeln und Kopftuch durchs schottische Hochland. Ihr offensichtlicher Wunsch nach Durchschnittlichkeit und ihre Sehnsucht nach Normalität haben mich immer gerührt. Macht und Anerkennung waren ihr nicht wichtig. Wie gern würde man das auch über andere berühmte Menschen sagen können.

Niemand kann ewig leben. Im Fall der Queen hatte ich das erfolgreich verdrängt. Sie war immer da. Schon als mein Großvater 1946 an den Folgen eines Kriegsleidens starb. Ich habe ihn nie kennengelernt. Die Queen auch nicht, aber theoretisch hätten sich die beiden über den Weg laufen können. Mein Vater erzählte mir, wie er als junger BNN-Redakteur die Krönungsfeierlichkeiten in London durch die Schaufensterscheibe eines Radio- und TV-Geschäfts auf der Kaiserstraße verfolgte.

Ich war elf, als ich mit Hingabe die Fotoseiten zur Hochzeit von Charles und Diana in der Rätselzeitschrift meiner Oma studierte. Länger als ich denken kann, gab es diese Queen. Ihr Leben spannt einen Bogen über 100 Jahre Weltgeschichte und fünf Generationen von Familien wie meiner.

Meine Urgroßmutter kannte ihr Gesicht, genau wie meine 16-jährige Tochter. Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Brexit, von der Wochenschau bis Instagram. Die Queen war eine lebende Verbindung zwischen gestern und heute. Mit ihr bricht einer der letzten Pfeiler dieser Brücke in die Vergangenheit weg.

Die anderen Royals sind langweilige Normalos

Klingt pathetisch? Na und? So ein kleiner Hang zu Pomp und Umständen darf doch sein. In der unglamourösen Realität, die immerzu kritische Distanz und Vernunft fordert, bot die Queen eine kleine Märchenwelt, in der Schrullen erlaubt und sogar irgendwie liebenswert waren.

Die Königin ist tot, lang lebe der König? Nicht für mich. Charles und all die anderen Royals sind Menschen wie Du und ich. Öde Normalos, die sich im besten Fall seltsam, oft genug aber auch einfach nur schlecht benehmen. Ohne ihr überzeitliches Oberhaupt verliert das Märchen seinen Zauber. Ich bin raus. Goodbye, schöne Märchenwelt.

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