Skip to main content

Kommt das Geld?

In Polen hat der Wahlkampf begonnen: Brüssel ist die große Unbekannte

In Polen hat der Wahlkampf begonnen – dabei stehen sich zwei altbekannte Gesichter gegenüber. Und eine Milliardenfrage könnte wahlentscheidend sein.

Der ewige Dualismus in Polen: Donald Tusk war polnischer Ministerpräsident von 2007 bis 2014, ehe er als EU-Politiker nach Brüssel wechselte.
Der ewige Dualismus in Polen: Donald Tusk war polnischer Ministerpräsident von 2007 bis 2014, ehe er als EU-Politiker nach Brüssel wechselte. Foto: Sem van der Wal/AFP

In Polen wird zwar erst im kommenden Herbst gewählt, aber der Wahlkampf ist schon in vollem Gange. Die PiS-Regierung wird nervös, weil ihre Umfragewerte bröckeln und es nicht mehr zu einer Parlamentsmehrheit reichen könnte. Nun versucht sie, auch mit anti-deutscher Stimmung ihre potenziellen Wähler zu mobilisieren.

Die Opposition aus der Bürgerplattform (PO) und anderen wittert ihre Chance. Prägend für die Wahlauseinandersetzung ist der Kampf von zwei alten Alphatieren. Und Brüssel spielt eine entscheidende Rolle.

Besser gesagt, das ausbleibende Geld aus Brüssel. Es geht um knapp 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds und weitere 76 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds, die Polen bis 2027 zustünden. Die EU-Kommission hält die Gelder aber bislang zurück – aus Unzufriedenheit mit Warschau. Brüssel bemängelt, dass Polen Bedingungen aus der Charta der Grundrechte der EU nicht erfüllt. Dazu gehöre unter anderem eine funktionierende Justiz.

Ohne Geld aus Brüssel droht Polen der Absturz

„Die PiS hat sich verkalkuliert“, sagt Philipp Fritz, Polen-Korrespondent der Tageszeitung „Welt“ in Warschau. Sie sei nicht davon ausgegangen, dass die EU-Kommission so lange so hart bleibe. Wenn sich Brüssel weiter querstellt, werde der Regierung das Geld fehlen, um im Wahlkampf Geschenke zu verteilen. Lange Zeit habe die PiS von Brüssels Schlingerkurs profitiert. „Die Regierung wusste, was sie wollte und Brüssel erschien unentschlossen.“

Dadurch hätten Hardliner wie Polens Justizminister Zbigniew Ziobro Oberwasser bekommen und sich ermutigt gesehen, von EU-Werten abzuweichen. Die Strafe dafür blieb ja aus. Ziobro ist Chef der extrem rechten Partei Solidarna Polska, die mit der PiS zusammen die Regierung bildet. Er ist auch Drahtzieher der umstrittenen Justizreform, die das Rechtssystem faktisch den Regierenden unterwirft.

Man habe dieses Mal wieder geglaubt, Brüssel werde nachgeben und das Geld bewilligen, meint Fritz, – vor allem nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar. Brüssel halte Polen als Frontstaat zur Ukraine für zu wichtig und zahle daher die Milliarden aus, sei das PiS-Kalkül gewesen. Bislang ging die Taktik nicht auf. Auch Bastian Sendhardt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Polen-Instituts in Berlin, meint, die PiS brauche das Geld aus Brüssel dringend, um soziale Wohltaten unters Volk zu bringen. Denn diese erklärten ihren Erfolg.

Die PiS versprach in den vergangenen Wahlkämpfen höheres Kindergeld und mehr Rente – und setzte das auch um. „Allein mit anderen Themen kommt die PiS nur auf etwa ein Drittel der abgegebenen Stimmen. Um Wahlen gewinnen zu können, muss das Geld aus Brüssel her.“

Die Regierung sei wegen der ausbleibenden Mittel gerade sehr nervös, bestätigt auch Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büros des European Council of Foreign Relations. Hohe Inflation, schwache Währung, maue Wirtschaft: Ohne das Geld aus Brüssel droht Polen der Absturz.

„Was PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und sein Umfeld erschreckt hat, ist das Schicksal von Liz Truss in Großbritannien, wo die Finanzmärkte die Regierung zu Fall gebracht haben. Das ist das Szenario einer Entwicklung, die man nicht mehr unter Kontrolle hat“, erläutert Buras. Das setze die Regierung stark unter Druck. Sie sei schon seit längerer Zeit äußerst instabil. „Es ist kein Geheimnis, dass Kaczynski Ziobro aus der Regierung werfen will.“ PiS-Chef Kaczynski ist der starke Mann hinter Regierungschef Mateusz Morawiecki.

Personalie Tusk in Polen sehr umstritten

Das Einzige, was die Koalitionspartner noch zusammenschweiße, sei der Wille zur Macht. Allerdings profitiert die Opposition bisher nicht von der Schwäche der Regierung. Dass sich die Opposition zu einer Liste zusammenschließen würde, um gemeinsam die PiS zu besiegen, gilt als unwahrscheinlich. „Eine gemeinsame Oppositionsliste wird es nicht geben“, ist sich Buras sicher.

Alle bisherigen Signale des aus Brüssel zurückgekehrten langjährigen EU-Ratspräsidenten und aktuellen polnischen Oppositionsführers Donald Tusk deuteten jedenfalls darauf hin. Tusk war polnischer Ministerpräsident von 2007 bis 2014, ehe er als EU-Politiker nach Brüssel wechselte. Nun will er erneut in Warschau die Regierung anführen.

Auch Philipp Fitz hält eine gemeinsame Oppositionsliste für unwahrscheinlich. „Die Parteien sind programmatisch sehr weit voneinander entfernt. Es wäre so, wie wenn in Deutschland die Union ein Bündnis mit der Linkspartei eingehen würde“, berichtet er.

Überhaupt sei die Personalie Tusk in Polen sehr umstritten. „In Deutschland wird er ja von vielen geschätzt. Da wird nicht verstanden, wie sehr er in Polen polarisiert“, erzählt Buras. Mit Tusks Rückkehr lebe der alte Dualismus Tusk-Kaczynski fort. „Der ewige Dualismus hält viele junge Leute davon ab, die Bürgerplattform zu wählen. Sie sind davon geradezu angewidert“, sagt Fritz. Das sieht auch Buras so: „Der Dualismus Tusk-Kaczynski ist nicht gut für Polen. Die Jüngeren haben die Nase voll von der Generation, die Polen quasi seit 30 Jahren regiert.“

Wie die Wahlen ausgehen? Die Experten wollen sich nicht festlegen. „Es gibt noch so viel Unbekanntes, das bis zum Wahltag passieren kann“, sagt Fritz. Was geschieht etwa, wenn nochmal wie neulich eine Rakete nahe der ukrainischen Grenze auf polnischem Boden einschlägt? Wird das die PiS zu nutzen wissen? „Es gibt jetzt schon die Tendenz, dass die Staatsmedien die Opposition als zu weich darstellen und die PiS als die einzige Partei, die Polen schützen kann.“

Und keiner kennt die Antwort auf die vielleicht wichtigste Frage im polnischen Wahlkampf: Wird Brüssel die Milliarden doch noch freigeben?

nach oben Zurück zum Seitenanfang