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Bundestagswahl 2021

Migrationsfrage hat noch viel Konfliktpotenzial: Diese Lösungsansätze haben die Parteien

Man hört diesen Satz immer wieder: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Aus der Flüchtlingskrise vor sechs Jahren haben die Parteien in Deutschland teils sehr unterschiedliche Lehren gezogen. Das Thema Asyl nimmt in allen Wahlprogrammen einen wichtigen Platz ein.

Migranten stehen Schlange, nachdem sie auf Fuerteventura an Land gegangen sind. 58 Migranten, die aus Afrika nach Spanien gelangen wollten, wurden in der Nähe der Insel Fuerteventura gerettet. +++ dpa-Bildfunk +++
Migranten stehen Schlange, nachdem sie auf Fuerteventura an Land gegangen sind. 58 Migranten, die aus Afrika nach Spanien gelangen wollten, wurden in der Nähe der Insel Fuerteventura gerettet. Foto: Europa Press picture alliance/dpa/EUROPA PRESS

Die Migration war eines der wahlentscheidenden Themen im Jahr 2017. Der Streit um die Folgen der Flüchtlingskrise 2015 verschaffte der AfD genügend politisches Kapital, um mit 12,6 Prozent der Stimmen erstmals in den Bundestag einzuziehen.

In den Jahren danach verlor die Asylproblematik an Schärfe, unter anderem, weil die Flüchtlingszahlen abnahmen.

Dennoch räumen die Parteien in ihren Wahlprogrammen dem Thema Flucht einen großen Platz ein – und haben teils sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die neue Bundesregierung damit umgehen sollte. Unser Redaktionsmitglied Alexei Makartsev vergleicht die Konzepte.

SPD will eine „Brücke“ bauen

Die SPD steht für eine „humanitäre und solidarische“ Asylpolitik und will ein Asylsystem mit dem „notwendigen Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität“ in Europa etablieren. Wie genau dessen „solidarischer Verteilungsmechanismus“ funktionieren soll, lässt die Partei in ihrem Programm jedoch offen. Ein Ansatz sei es, mithilfe einer „Brücke zu lokalen Akteuren“ die Bereitschaft von Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen zu fördern.

Konkreter werden die Sozialdemokraten bei der Zielsetzung, eine vollwertige EU-Asylagentur aufzubauen. Sie verurteilen die sogenannten „pushbacks“ – also die illegalen Zurückweisungen von Flüchtlingen im Mittelmeer. Die Seenotrettung von Fliehenden soll nach dem Willen der SPD staatlich organisiert sein. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland möchte die Partei die langen „Kettenduldungen“ durch eine Stichtagsregelung ersetzen und die Regeln für den (eingeschränkten) Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten an die für alle anderen Asylbewerber angleichen.

Union will die Flüchtlingszahl senken

Für die CDU und CSU hat Migration nach Deutschland nur dann eine Chance, wenn sie „geordnet ist und sich an klaren Regeln orientiert“. Diese Regeln lassen sich verkürzt so formulieren: Ja zum Grundrecht auf Asyl, Nein zu einer „Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Das Konzept der Union beinhaltet die Minimierung von Anreizen für Wirtschaftsflüchtlinge, konsequentere Abschiebungen und eine Pflicht zum Mitwirken bei der Integration. In ihrem Programm stellen die Parteien klar: Die Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland und Europa solle „nicht nur dauerhaft niedrig bleiben, sondern sich weiter reduzieren“.

Dafür wollen die Schwesterparteien weiter sichere Herkunftsstaaten festlegen, in die die Menschen leichter abgeschoben werden sollen. Eine Ausweitung des Familiennachzugs über die jetzige Regelung hinaus lehnen sie ab. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex solle ausgebaut und zu einer „echten Grenzpolizei“ gemacht werden. Das gemeinsame Asylsystem der EU müsse in Richtung „faire und solidarische Verteilung“ reformiert werden. Auch die Union scheint aber keinen klaren Plan zu haben, wie genau das geschehen soll.

FDP möchte Kriegsflüchtlingen helfen

„Humanität und Ordnung miteinander verbinden“: Das hat sich die FDP in der Asylfrage vorgenommen. Auch sie hält das Grundrecht für Verfolgte für unantastbar. Für Kriegsflüchtlinge will die Partei einen eigenen „unbürokratischen“ Status schaffen, der das Asylsystem entlasten soll. Klar sei aber, dass solche Menschen nach Kriegsende in ihre Heimat zurückkehren müssten. Und: „Zu einem geordneten Einwanderungsrecht gehören auch eine konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung und Schaffung von ausreichend Abschiebehaftplätzen.“

Die Liberalen setzen bei der Reform des europäischen Asylsystems auf eine „Koalition der Willigen“, während die Unwilligen mit Kürzungen aus EU-Mitteln bestraft werden sollen. Um zu verhindern, dass Asylsuchende Hilfeleistungen in verschiedenen EU-Staaten erhalten, sollen sie für eine Dauer von acht Jahren fest einem Mitgliedsstaat zugeteilt werden. Schließlich setzt sich die FDP durch eine Seenotrettung von Flüchtlingen durch die ausgebaute EU-Agentur Frontex ein.

Linke lehnt Türkei-Deal ab

Eine Vielzahl von konkreten Maßnahmen und Ideen zum Thema Asyl hat die Linkspartei in ihr Wahlprogramm gepackt. Es reicht von einer dezentralen Unterbringung von queeren Geflüchteten bis zur Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, der Auflösung von Frontex, der Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager und der Schaffung eines neuen „Fonds für Willkommenskommunen“, der den „solidarischen“ Städten Mittel für Aufnahme und Integration zur Verfügung stellen soll.

Die Linke will allen Asylsuchenden in Deutschland das Recht auf existenzsichernde Sozialleistungen zugestehen und das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. Statt der „diskriminierenden“ Sachleistungen fordert sie die Auszahlung von Geld „in Höhe der solidarischen Grundsicherung“. Das Dublin-System müsse überwunden werden: Die Partei schlägt eine „europäische Fluchtumlage“ vor, die an die Wünsche von Geflüchteten anknüpfen soll. Statt der Strafen schlägt die Partei Belohnungen für Länder vor, die mehr Migranten aufnehmen.

Grüne machen die Integration zur Priorität

Auch den Grünen schwebt ein neuer „kommunaler Integrationsfonds“ vor. Die Kommunen sollen, wenn sie möchten, mehr Asylbewerber aufnehmen dürfen als von der Bundesregierung zugesagt. Die Partei will die Integration beschleunigen, indem die Geflüchteten in Deutschland höchstens drei Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen sollen.

Arbeitsverbote, Wohnsitzauflagen und Leistungskürzungen lehnen die Grünen ab. Ebenso die Ausrufung von „sicheren Herkunftsstaaten“. Einer Duldung von Geflüchteten solle spätestens nach fünf Jahren „sicheres Bleiberecht“ folgen. Abschiebungen sollen die Ausnahme sein und in Kriegs- oder Krisenländer gar nicht erfolgen.

Wie die Linke sehen die Grünen den Türkei-EU-Deal als gescheitert und fordern seine Beendigung. Sie setzen sich für einen komplexen Plan für eine gemeinsame Flüchtlingsaufnahme ein, der im Grunde die Barrieren für die Geflüchteten senkt und auf dem Prinzip der Freiwilligkeit in der EU aufbaut. Aufnahmewillige Staaten sollen finanziell belohnt werden. Die Partei will zudem „sichere und legale“ Zugangswege nach Europa schaffen und setzt sich für eine zivile Seenotrettung ein.

AfD kritisiert „Asylparadies Deutschland“

Wenig überraschend verfolgt die AfD in der Flüchtlingsfrage einen eigenen, harten Kurs. Ihr Hauptziel: Das „Asylparadies Deutschland“ zu schließen und der „mächtigen Anti-Abschiebe-Industrie“ hierzulande, die sich nach Überzeugung der Partei am System bereichere, einen Riegel vorzuschieben. Dies würde laut AfD die „desaströsen Folgen der unregulierten Massenzuwanderung seit 2015“ beenden, zu denen sie Kriminalität, Terrorismus, Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel und ungerechtfertigt hohe „dreistellige Milliardenkosten“ für Migranten zählt.

Im Maßnahmenpaket der Partei finden sich etwa die Aufkündigung des UN-Migrationspaktes, Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen, humanitäre Aufnahme nur für vom Bundestag ausgewählte Personen, Ablehnung des Familiennachzuges, Überwachungsmaßnahmen an den Grenzen, Abschiebung von Gefährdern auch in Kriegsgebiete sowie die Ausweitung der Zahl von sicheren Herkunftsstaaten. Ein gemeinsames europäisches Asylsystem lehnt die AfD ab.

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