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Märchenfilm

TV-Klassiker: Kein Festtagszauber ohne das Aschenbrödel

Es war eine ČSSR-/DDR-Koproduktion: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Der Film ist Festtagskult, hat aber auf seine Geheimisse. Fast wäre er im Sommer gedreht worden und der Schnee vor dem Schloss war nicht echt.

Ein Mädchen in rosa Kleid und Krone vor dem gelben Schloss Moritzburg.
Märchenhafte Kulisse für zauberhaften Film: Schloss Moritzburg bei Dresden diente als Kulisse für „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Foto: Schlösserland Sachsen

Es war einmal. So fangen wohl alle Märchen an, auch jenes vom bitterarmen Aschenbrödel, dem nach dem Tod der Eltern nur der Schimmel Nikolaus, der Hund Kasperle, eine Schmuckschatulle sowie die Eule Rosalie geblieben sind.

Womöglich wäre die Adaption des Grimmschen Aschenputtels längst vergessen, gäbe es nicht jene elfenhafte Göre, die zu Weihnachten gehört wie Mister Winterbottom, Admiral von Schneider und Sir Toby zu Silvester. Wer einmal den deutsch-tschechoslowakischen Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gesehen hat, vergisst ihn nie.

Die junge Dame ist ganz schön selbstbewusst, zuweilen widerborstig – nicht so bieder und brav wie die Version des sammelwütigen Bruderpaares, auch nicht so barbie-like wie die amerikanische Cinderella in ihrer süßlichen Märchenwelt. Natürlich muss sie noch immer die Drecksarbeit für die böse Stiefmutter erledigen; selbstredend wird sie von der aufgeblasenen, kleingeistigen Stiefschwester drangsaliert.

Märchenzauber

„Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht.

Ein Hütchen mit Federn,

die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht.

Zum Dritten: Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.“

-Aschenbrödels Rätsel an den Prinzen

Das tschechische Aschenbrödel nach einer Erzählung von Božena Němcová, die wie ihre Märchenfigur nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde, ist ein erstaunlich modernes Geschöpf, eine abenteuerliche Mischung aus Rotzgöre und Märchenprinzessin, ohne jeden Respekt vor dem blasierten Strumpfhosen-Prinzen. Als der Bursche ihr seine Heiratspläne eröffnet, antwortet sie keck: „Haben Sie nicht etwas vergessen? Zu fragen, ob ich auch will?“

Aschenputtel auf ihrem Pferd bekommt von dem Prinzen ihren Schuh angezogen.
Libuše Šafránková und Pavel Trávníček spielten die Hauptrollen in dem zauberhaften Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Foto: WDR

Nur wäre es wohl kein Märchen, wenn der Blaublütige am Schluss nicht seine Herzensdame bekäme, mit der er auf stolzen Schimmeln in die verschneite Winter-Wunderwelt hinaus reitet. Dass sich „3HfA“, wie eingefleischte Fans den Märchenfilm tauften, zum Kultfilm mauserte und zu Weihnachten als Dauerschleife im Fernsehen flimmert, liegt sicherlich auch an jener leicht kitschigen Schlussszene, die keineswegs nur Kinder rührt, sondern Erwachsene „gewissermaßen nostalgisch codiert“, so der Dresdner Germanistikprofessor Lars Koch: Das Gute hat gewonnen, die Gerechtigkeit gesiegt, die Liebe triumphiert: Gibt es eine schönere Weihnachtsbotschaft?

https://www.youtube.com/watch?v=QDSIr2ncnT0

Wer nach Schloss Moritzburg bei Dresden pilgert – einem Barockjuwel in Ocker und Weiß, mit vier dicken, runden Ecktürmen, errichtet inmitten einer romantischen Teichlandschaft –, kommt den Heroen aus Kindertagen ganz nahe. Im Film hatte die Kamera die Schlosstotale nur von jenseits des Sees eingefangen, von wo aus das prächtige Jagdschloss dem Bild eines verträumten Märchenschlösschens sehr nahe kommt.

In den Wintermonaten dreht sich hier, dem Lustobjekt des lebenslustigen Augusts des Starken, alles um Aschenbrödel und den Filmklassiker – mit Originalkostümen, Kulissenmodellen, Fotos und Videos zur Entstehung des 1972 gedrehten Streifens.

Aschenbrödels Ballkleid ist ausgestellt

Fortgeschrittene Semester stehen Schlange, um einen Teil ihrer Kindheit wiederzufinden oder ein bisschen ostalgischen Stolz zu pflegen – schließlich ist der Leinwandklassiker ein Kind der volkseigenen DEFA. Mädchen und Frauen schlüpfen aus warmen Stiefeln, um ihre Füße in den kalten Messingschuh auf der Freitreppe an der Ostseite zu zwängen. Prinzen von heute machen ihrer Herzallerliebsten sogar Heiratsanträge an der Stelle, wo im Winter 1972/73 Außenaufnahmen gedreht wurden.

Selbst das berühmte altrosa Ballkleid aus dem Kultfilm, mit dem die holde Maid ihrem Prinzen den Kopf verdrehte, ist zu sehen. Sicher verwahrt in einer Vitrine, nachdem Diebe zugelangt hatten. Offenbar hatten die Langfinger kalte Füße bekommen und schickten die kostbare Robe kurzerhand per Päckchen an die Zentrale von Schlösserland Sachsen zurück.

So wunderschön die 19-jährige Hauptdarstellerin Libuše Šafránková beim Ritt durch den verschneiten Wald auch ist, die Wangen schmutzig, das haselnussbraune Haar wild zerzaust: Ihre Wangen waren nicht etwa wegen der Gefühlswallungen gerötet, sondern wegen der Temperaturen von minus 20 Grad.

Eigentlich sollte das Drehbuch des bekannten Dramaturgen und Dissidenten František Pavlíček , der die mit Herzenswärme, Lebensmut und gute Laune gesegnete Figur des Aschenbrödels gleich noch mit Witz und Wildheit ausstattete, im Sommer verfilmt werden – mit einer Hauptdarstellerin, die ihren Schimmel über Blumenwiesen lenkt.

Märchenfilm wurde im bitterkaltem Winter gedreht

Doch weil der Produktionsleiter der DEFA seine Kulissenbauer auch im Dezember beschäftigt wissen wollte, wurden die Dreharbeiten rund um die Moritzburg und das tschechische Wasserschloss Zvikov bei Pilsen komplett in die kalte Jahreszeit verlegt.

Statt Schnee gab es zunächst allerdings nur Frost, mit teuren Folgen. Die luftigen Renaissancekostüme mussten schnellsten gefüttert werden. Und mangels echten Schnees dekorierte die Filmcrew die Landschaft mit Fischmehl, „weshalb es am Drehort furchtbar stank“, so Regisseur Václav Vorlíček.

Seine zauberhafte Hauptdarstellerin, die auch Jahre später noch reichlich Prinzen auf der Leinwand verschleißen musste, hatte er durch Zufall entdeckt. Mehr als 2 000 junge Frauen waren für die Rolle des armen Dings gecastet worden, das Talent des Prager Schauspielklubs machte schließlich das Rennen.

Ihr Aschenbrödel schert sich nicht um Konventionen, nimmt ihr Glück selbst in die Hand und vertraut gleichzeitig dem Schicksal. Es zieht sich wie ein Junge an, reitet wie der Teufel und kann besser mit der Armbrust umgehen als der Thronfolger auf Brautschau.

Welterfolg „Aschenbrödel“

Dabei steckt in dem elfengleichen Wesen ein ganz besonderer Widerstandsgeist, in dem viel von der tschechischen Art schwingt, unter dem Deckmantel der Ironie auf Missstände aufmerksam zu machen und mit Humor auf sie zu reagieren.

Ob Pavel Trávníček als Prinz, der nicht erwachsen werden will, Volksbühnen-Star Carola Braunbock als Stiefmutter, die ihr leicht übergewichtiges Dorchen unter die Haube bringen muss, oder der wunderbare Rolf Hoppe in der Rolle des Königs, der an seinem Sohn verzweifelt – sie alle trugen dazu bei, dass „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ein schier unglaublicher weltweiter Erfolg und in den 90er-Jahren zum „Märchenfilm des Jahrhunderts“ gekürt wurde. Heute gehört Aschenbrödel zum Weihnachtsritual wie Geschenke und Gänsebraten. Der Film läuft nicht nur in Deutschland, sondern auch in Norwegen und der Schweiz.

Zum andauernden Erfolg hat zweifelsohne auch die Filmmusik von Komponist Karel Svoboda beigetragen, die an Glöckchen und Schnee erinnert. Es braucht nur wenige Takte dieser tirilierenden Melodie – schon stellen sich Erinnerungen an wunderbare Filmszenen ein: wie Aschenbrödel ein Guckloch in die Eisblumen am Schlossfenster haucht, wie sie Trost bei ihrem Hengst Nikolaus sucht (der Gaul durfte auch in diversen Indianerfilmen der DEFA aufgaloppieren), wie Eule Rosalie wie auf Kommando zwinkert.

Der „Mozart Tschechiens“

Svoboda, der „Mozart Tschechiens“, bescherte die Komposition unzählige Folgeaufträge, vor allem für Kinderserien: Mary Roos trällerte das Intro für die Zeichentrickserie „Pinocchio“, Karel Gott schrieb er die „Biene Maja“ auf den Leib. Und nicht nur das, sondern insgesamt 96 mehr oder weniger erfolgreiche Lieder.

In der tschechischen Version des „Aschenbrödels“ gibt es statt der inbrünstigen Instrumentalversion ein schmalziges Stück mit der Stimme von Prag. Das aber – da waren sich Ost- und Westdeutsche schon 1973 einig – sei zu dick aufgetragen.

„Stilbruch“ befand die DEFA und ließ Karel Gott kurzerhand herausschneiden. Das Ganze sorgte zwar kurzfristig für Verstimmungen, dem ewigen Weihnachtsfrieden hat es aber nicht geschadet.

Wenn „3HfA“ in den nächsten Tagen ein Dutzend Mal über den Bildschirm flimmern wird, sitzt der treueste Fan des Märchenfilms wie gewohnt in der ersten Reihe: Kathrin Miebach aus Meschede im Sauerland. Die 44-Jährige kennt nicht nur jeden Satz, jede Bewegung und jede Kulisse; obendrein recherchiert sie seit 1999 Fakten und Legenden für die Webseite, die so detailverliebt ist, dass man sich unwillkürlich fragt, wie sie nebenbei noch Zeit für den Beruf findet.

Einmal im Jahr organisiert die Film-Verrückte eine Aschenbrödel-Party mit Gleichgesinnten, die sich in Mieder und Strumpfhosen werfen, im Schein von Messingleuchten tafeln und ihren Idolen auch tänzerisch nacheifern.

Noch muss sich der Kreis der Enthusiasten mit der Jugendherberge Bilstein als Veranstaltungsort zufriedengeben, immerhin eine echte Burg mit dicken Türmen und viel Flair. Doch vielleicht klappt es ja irgendwann mit Schloss Moritzburg, um sich beschwingt wie Aschenbrödel und ihr Prinz zu fühlen.

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