Schämen und schämen lassen: Ein allzu menschliches Gefühl hat auch die moderne Gesellschaft fest im Griff
Lukas D. war 24 Jahre alt, als er zu einem Konzert der Rolling Stones fuhr. Es war der 10. Juni 1982. Sein Auto stand im Stau, ein paar Kilometer vor dem Olympiastadion in München. Für das Vorprogramm verpflichtet: Peter Maffay. Mit im Wagen saßen ein gleichaltrige Cousin und ein verschrobener Tramper mit asymmetrisch geschnittener Frisur und Stoffhose, den sie kurz zuvor an einer Raststätte aufgelesen hatten.
Aus allen geöffneten Fensterscheiben der still stehenden Autos, die samt und sonders mit Zungenaufklebern und entsprechenden Schriftzügen gespickt waren, dröhnte Stones-Musik, zu der die langhaarigen Insassen entrückt ihre Häupter schwangen. Da plötzlich riss der verschrobene Tramper seine Tür auf, rannte von Auto zu Auto, zeigte auf Lukas und seinen Cousin und rief allen zu: „Hey! Wir fahren zu Peter Maffay! Fahrt ihr auch zu Peter Maffay?“ Später – im Freundeskreis erzählte der Stones-Fan: „Wir hätten uns am liebsten unter den Sitzen verkrochen, so sehr schämten wir uns dafür, von den anderen für Kumpels für Maffay-Fans gehalten zu werden.“