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Fernweh am Radioempfänger

Seewetterbericht verstummt: Was ist jetzt mit Feuerschiff Golf Whisky Ems?

Der Deutschlandfunk stellt nach fast 50 Jahren eine Kultsendung mit nautischen Meldungen ein und verärgert damit nicht nur Seeleute, sondern auch viele Landratten mit Fernweh und Vorliebe für langgezogene Vokale.

Gruseln über ferne Schiffsunglücke: Der Deutschlandfunk hat fast 52 Jahre lang mit seinem Seewetterbericht die Seeleute und viele Interessierte fernab der Schifffahrt über Wellen, Winde und gefährliche Wetterlagen informiert. Die Sendung wurde am 1. März eingestellt.
Gruseln über ferne Schiffsunglücke: Der Deutschlandfunk hat fast 52 Jahre lang mit seinem Seewetterbericht die Seeleute und viele Interessierte fernab der Schifffahrt über Wellen, Winde und gefährliche Wetterlagen informiert. Die Sendung wurde am 1. März eingestellt. Foto: Svein Ove Ekornesvaag / AFP

Am letzten Februartag war in deutschen Küstengewässern ganz schön was los. In der Deutschen Bucht fehlte das Feuerschiff Golf Whisky Ems am angestammten Ort. Das Feuerschiff German Bight war plötzlich „verlöscht“. Nördlich von Rügen verschwand die Odas-Leuchttonne. Und dann ging auch noch östlich der Neue Weser Nord Reede, ein Anker „mit neun Kettenlängen“, verloren.

Ob die vermisste Tonne je wieder aufgetaucht ist oder ein Schiffskapitän ein Wiedersehen mit seinem abgetauchten Anker feiern konnte? Man wird es wohl nie erfahren. Jedenfalls nicht im Deutschlandfunk, der seinen „Seewetterbericht“ am 1. März aus dem Programm genommen hat.

Am 28. Februar um 18.10 Uhr hatte der Sprecher Jan Kämmerer in Köln einen Schlussstrich unter die fast 52-jährige Geschichte der maritimen Kultsendung gezogen. Allen auf See wünschte er: „Mast- und Schotbruch!“

Wohin schwenkt der „Keil von der Nordwestukraine“?

Das deutsche Radio ist um eine Institution ärmer geworden. Vorbei die Zeiten, als man sich am Empfänger dreimal täglich um 1.05 Uhr, 6.40 Uhr und 18.10 Uhr über entfernte Sturmtiefs und Schiffsbrände wohlig gruseln konnte.

Es wird nicht mehr darüber gerätselt, ob der südwärts schwenkende „Keil von der Nordwestukraine“ Unheil mit sich bringt oder der „Starkwind in Fischer und Utsira“ dafür verantwortlich ist, dass eine Leuchttonne vor Sylt nicht länger auf ihrer „Sollposition“ schaukelt.

Seit der Erstausstrahlung der Sendung am 31. Mai 1971 hatten sich ihre treuen Hörer an kryptische Mitteilungen wie „Fischer Westteil Nord um sechs“ gewöhnt, die oft wie verschlüsselte Botschaften an Spione klangen. Ebenso geschätzt war in der Fangemeinde die besondere Aussprache der Himmelsrichtungen mit lang gezogenen Vokalen: „ooostwärts“ und „nordöööstlich“. Sie war notwendig, damit die Seefahrer den Begriff auch bei schlechtem Empfang von anderen unterscheiden konnten.

Wissen über das Wetter ist wichtig: Frühzeitige Informationen über stürmische Winde, die wie hier am südenglischen Ort Newhaven riesige Wellen erzeugen können, helfen der maritimen Schifffahrt.
Wissen über das Wetter ist wichtig: Frühzeitige Informationen über stürmische Winde, die wie hier am südenglischen Ort Newhaven riesige Wellen erzeugen können, helfen der maritimen Schifffahrt. Foto: Glyn Kirk / AFP

Vor allem aber bot der Seewetterbericht einen Anlass zum Abschalten und Träumen. Die Warnungen über Nebelfelder vor Skagerrak oder das diesige Ijsselmeer beflügelten die Fantasie: Wie mochte es dort wohl gerade aussehen?

Wer sich daheim bei einer Tasse Tee ausmalte, wie „nördliche Winde um drei bei Kattegat“ die Segel füllten, schweifte mit den Gedanken in die Ferne. Der etwa 20-minütige, monoton und überdeutlich verlesene Bericht bot manchen Anhängern des Formats eine „entrückte Magie einer Parallelwelt“. Andere schätzten ihn als „Verkehrsfunk auf LSD“, der „spirituelle Einsichten“ ermöglicht habe.

ützen sich Freizeitparks, Freibäder und Landwirte in der Region vor Extremwetter?

Die Nachricht von dem Aus für die beliebte Sendung brachte dem DLF ein Sturmtief aus erbosten Rückmeldungen ein. „Das zu hören, war eine Konstante meiner Fernsucht“, lautete ein enttäuschter Kommentar auf Twitter. „Er hatte etwas Beruhigendes und hat bei mir kleine schöne Erinnerungen an Segeltörns hervorgerufen“, schrieb ein anderer Hörer. „Das darf nicht wahr sein“, regte sich ein weiterer Nutzer auf. „So geht ein weiterer Teil Tradition und Kultur im Hörfunk den Bach runter.“

Der Sender hatte die nautischen Nachrichten auf Mittelwelle bereits 2015 beendet. Dass nun auch der Digitalkanal „Deutschlandfunk Dokumente und Debatten“ den Seewetterbericht einstellt, begründen die Verantwortlichen mit dem angeblich geringen Nutzen der Informationen. Die Kapitäne nützten heute eher die digitalen „Wetterinfoboxen“, anstatt im Radio den Vorhersagen zu lauschen, sagte ein DLF-Sprecher der Webseite stern.de. Auch viele Segler würden heute spezielle Wetter-Apps bevorzugen. Der Deutschlandfunk verweist zudem, dass der Deutsche Wetterdienst und der Sender NDR Info Spezial weiterhin über das Seewetter informieren.

Wetterkarten auf Teetassen und Bettwäsche

Kontroversen um Fortschritt und liebgewonnene Traditionen bei maritimen Vorhersagen gibt es auch in anderen Ländern. Eine Ausnahmestellung nimmt der legendäre „Shipping Forecast“ der BBC ein: Die erstmals vor über 150 Jahren ausgestrahlte Sendung ist für viele Briten unverzichtbar, weil sie zum nationalen Kulturerbe zählt. Sie wurde von Rockbands wie Blur und Radiohead besungen und in Filmen verewigt. Die Karte der Seegebiete, die der „Shipping Forecast“ erwähnt, sieht man in England oft auf T-Shirts, Teetassen, Poster, Uhren und auf Bettwäsche gedruckt.

Das Seewetter rund um das Inselkönigreich wird stets um 0.45 Uhr durch einen repetitiv langsamen Walzer „Sailing By“ aus dem Jahr 1963 angekündigt, der ursprünglich den Seeleuten das Auffinden der Radiowelle erleichtern sollte.

Darauf folgen mit einer ruhigen Stimme und auf schönstem BBC-Englisch vorgelesene Warnungen vor Wellen und Winden in exotisch klingenden Regionen wie Cromarty, Rockal, Lundy und Fitzroy. Die „poetische und hypnotische Ode an die See“ ist für ihre beruhigende Wirkung über Großbritannien hinaus bekannt und wurde vom „New York Times Magazine“ als ultimative Einschlafhilfe für seine Leser empfohlen.

Anders als in Deutschland verlassen sich viele britische Seeleute weiterhin gerne auf ihre Radio-Vorhersage. In diesem Jahr will die BBC den „Shipping Forecast“ aus Spargründen aus dem Langwelle-Programm streichen und die Anzahl der täglichen Sendungen auf zwei halbieren.

Als dies bekannt wurde, hagelte es Kritik am Sender. Die Nationale Föderation der Fischerorganisationen protestierte gegen die Pläne mit dem Hinweis, dass die Sendung für viele Seeleute eine „beruhigende Verbindung zur Vergangenheit, zu anderen Orten und Menschen“ darstelle und damit unentbehrlich sei.

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