Skip to main content

Meinung

von Alexei Makartsev

In Kriegszeiten

Siegesfeier in Moskau: Der große Gedenk- und Feiertag ist politisch vergiftet

Der Tag des Sieges ist für die Russen ein heiliger, fast so wichtig wie Geburtstage oder orthodoxe Ostern. Erstmals seit vielen Jahrzehnten begeht das Land den Feiertag in einem Kriegszustand und die Staatsmacht kann den Menschen diesmal nichts anbieten.

Fest eingeübte Rituale seit der Sowjetzeit: Am Tag des Sieges dreht sich in Russland alles um die Kriegsveteranen, die einst für die Freiheit ihres Landes und Europas gekämpft haben. Diesmal ist der große Gedenk- und Feiertag politisch vergiftet.
Am Tag des Sieges dreht sich in Russland alles um die Kriegsveteranen, die einst für die Freiheit ihres Landes und Europas gekämpft haben. Foto: MAXIM ZMEYEV AFP

„Djen pobedy“: Der Klang dieser Worte lässt zumindest bei den meisten noch in der Sowjetzeit geborenen Russen ein lebendiges Bild vor Augen entstehen. Rote Nelken und wehende Fahnen. Gebrechliche Kriegsveteranen in faltenfrei gebügelten, alten Uniformen. Das laute Dröhnen von pathetischen Schnulzen in den Straßen. Halb zerfledderte Fotoalben, verblasste dunkle Erinnerungen. Wodka und Tränen.

Nachdem sie getrocknet waren, hob man gerne ein Glass auf die mächtigen und ruhmreichen Streitkräfte des Landes, die nuklear gerüsteten Wächter des Friedens.

Der Tag des Sieges hatte in Russland immer diese zwei Seiten und zwei eingeübte Rituale: Ein schmerzhafter Rückblick und ein triumphierender Rundumblick. Beides war wichtig. Europa sollte wissen, wer es befreit hat, und es wieder tun würde.

Der alte, besiegte Feind waren natürlich die Nazis. Der neue Gegner, dem man innerlich mit der Faust gedroht hat, war relativ abstrakt. Auf dem Roten Platz marschierten die Soldaten und rollten die Raketen gegen den „aggressiven Militarismus“ oder „militanten Imperialismus“: Viel präziser musste die Staatsmacht bei der Feindbeschreibung gar nicht werden, weil sie das Volk unter Kontrolle hatte und weder intern herausgefordert noch von außen gefährdet war.

Gedenktag dürfte ideologisch aufgeladen sein wie selten zuvor

Das ist im heutigen Russland anders. Der Kampf gegen eine fiktive, geschlossene Übermacht, die angeblich Russlands Freiheit bedroht und seine Entwicklung hemmt, ist eine tragende Säule in Wladimir Putins zunehmend instabilem Machtmodell. Der Feind ist klar definiert (Nazis, liberale Demokratien, aufmüpfige Nachbarn), im zensierten Meinungsbild der Gesellschaft soll der Krieg als ein legitimes Mittel erscheinen, damit die nukleare Autokratie ihre alten Weltmachtbedürfnisse befriedigen kann.

So blickt Russland einem Gedenktag entgegen, der viel weniger besinnlich sein dürfte, dafür aber ideologisch und nationalistisch so aufgeladen wie selten zuvor. Zum Tag des Sieges wird Putin sicher passende Worthülsen finden. Was aber fehlt, ist der Sieg. Den alten, von 1945, hat der mit seinem Überfall auf die Ukraine entwertet und beschmutzt. Einen neuen kann er nicht liefern.

nach oben Zurück zum Seitenanfang