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Wenn Frauen keinen Ausweg sehen

Diskriminiert das deutsche Strafrecht Frauen?

Wer jemanden im Schlaf erschießt, der mordet aus Heimtücke. Doch was ist, wenn es sich dabei um eine verzweifelte Frau handelt, die sich gegen ihren Peiniger wehrt? Der „Haustyrannen-Fall“ zeigt, wo das deutsche Strafrecht an seine Grenzen kommt.

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Töten aus Verzweiflung: Der sogenannte „Haustyrannen-Fall“ ist wirklich passiert – und gehört zu den Standardfällen, die Jura-Studenten im Strafrecht kennenlernen. Foto: Sitthikorn/Adobe Stock

Eine Frau wird von ihrem Mann über Jahre hinweg gepeinigt.

Er schlägt sie, misshandelt sie, demütigt sie – und richtet seine Angriffe schließlich auch gegen die gemeinsamen Kinder.

Eine Trennung kommt nicht infrage. Er würde sie sowieso überall finden, sagt der Mann.

Als seine Angriffe schlimmer werden, sieht sie keinen Ausweg mehr. Im Schlaf erschießt sie ihn mit seinem Revolver. Das Landgericht verurteilt die Frau wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft.

Diskriminiert das Strafrecht Frauen?

Der sogenannte „Haustyrannen-Fall“ ist wirklich passiert – und gehört zu den Standardfällen, die Jura-Studenten im Strafrecht kennenlernen. Gerecht fühlt es sich nicht an, wenn eine Frau, die sich gegen ihren Peiniger wehrt, die höchste Strafe im deutschen Recht erhält. Nach Definition der Heimtücke wäre sie keine Mörderin, wenn sie ihrem wachen Mann gegenübergetreten wäre.

Doch wie hätte sie das tun sollen, bei einem Mann, der ihr körperlich weit überlegen war? Und ist es nicht diskriminierend gegenüber Frauen, wenn das Strafrecht dem offenen Kampf den Vorzug gibt?

Man hat sich damals wirklich zwei Männer vorgestellt, die sich gegenüber stehen.
Andreas Deutsch, Leiter der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch

„So einfach ist es nicht“, sagt Andreas Deutsch, Rechtswissenschaftler und Leiter der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch in Heidelberg: „Der Mordparagraf ist historisch gewachsen.“ So sei im Mittelalter die heimliche Tat klar als die schlimmere angesehen worden. Subjektive Mordmerkmale wie Vorsatz oder Absicht gab es nicht, sie wurden erst Jahrhunderte später entwickelt.

„Man hat sich damals wirklich zwei Männer vorgestellt, die sich gegenüber stehen“, so der Professor. Zudem seien Frauen lange Zeit nicht rechtsfähig gewesen. Klar sei aber: „Die Welt hat sich verändert, und im Fall der Heimtücke würde ich tatsächlich sagen: Vielleicht ist das Kriterium veraltet.“

Andreas Deutsch
Andreas Deutsch, Rechtswissenschaftler und Leiter der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch in Heidelberg Foto: DRW

Eine Ansicht, die nicht nur Andreas Deutsch vertritt. Der Heimtücke-Mord steht auch bei der Politik ganz oben auf der Liste, wenn es um eine Reform der Tötungsdelikte geht.

Was den „Haustyrannen-Fall“ angeht, löste der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts damals auf und behalf sich mit der sogenannten „Rechtsfolgenlösung“: Die Täterin wurde zwar wegen Mordes verurteilt, die Strafe angesichts ihrer langen Qualen aber auf sieben Jahre Gefängnis gemildert.

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