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Zeit wird knapp

Streit über Wahlrechtsreform nach Brinkhaus-Vorstoß

Die Zeit für eine Wahlrechtsreform wird knapp. Am Wochenende schlägt Unionsfraktionschef Brinkhaus einen Kompromiss vor - bekommt aber aus den eigenen Reihen die rote Karte gezeigt. Bundestags-Vizepräsident Kubicki befürchtet einen Schaden für die Demokratie.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki. Foto: Christoph Soeder/dpa

Der Bundestag ist schon so groß wie nie und droht im kommenden Jahr noch zu wachsen - dennoch findet die Koalition keine gemeinsame Position für eine Wahlrechtsreform.

Ein Vorstoß von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) für eine Deckelung bei 750 Mandaten wurde am Wochenende von der CSU umgehend zurückgewiesen. Auch aus der CDU kam Ablehnung. Die SPD machte deutlich, dass 750 Sitze - 41 mehr als heute - zu viele seien. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) warnte vor einem Scheitern der Wahlrechtsreform. „Es wäre ein fatales Signal für unsere Demokratie und das Parlament, wenn eine Einigung nicht gelänge - wonach es leider derzeit aussieht“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Brinkhaus' Vorschlag sieht ab einer Zahl von 750 Abgeordneten eine Kappung vor. Danach soll im Wechsel jeweils ein Überhangmandat nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert und ein Direktmandat gestrichen werden - bis man bei der Höchstzahl von 750 Sitzen angelangt ist. Die Direktmandate sollen in den Wahlkreisen mit den schwächsten Erststimmergebnissen nicht zugeteilt werden. Das hätte - gemessen an den Wahlumfragen vom Dezember/Januar - zur Folge, dass die CSU keines ihrer Direktmandate verlieren würde, hieß es.

Gleichwohl reagierte die CSU ablehnend: Eine Wahlrechtsreform entspreche zwar den Ideen seiner Partei, sagte ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Stefan Müller. „Einen Vorschlag allerdings, der Gewinnern von Wahlkreisen den Einzug in den Deutschen Bundestag verweigert, halten wir für verfassungswidrig.“ Ähnlich argumentierte der CDU-Abgeordnete Axel Fischer: „Der Vorschlag mit einer Kappung von Wahlkreisen ist verfassungswidrig und damit inakzeptabel.“

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher betonte: „Klar ist, es handelt sich um eine einmalige Lösung für die Bundestagswahl 2021.“ Ab 2025, also nach einer Reform, müssten alle Direktmandate auch wieder zugeteilt werden. „Das halte ich für sehr wichtig.“

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, begrüßte zwar die von Brinkhaus vorgeschlagene Deckelung. „Allerdings sollte die Obergrenze, ab der Mandate nicht mehr zugeteilt werden, nicht über der derzeitigen Bundestagsgröße liegen.“ Das wären 709. Die SPD hatte eine Begrenzung bei 690 vorgeschlagen.

Fischer regte eine Grenze bei 598 Abgeordneten an - eine Hälfte in den 299 Wahlkreisen direkt gewählt, die andere Hälfte nach den Zweitstimmenergebnissen entsandt. Überhang- und Ausgleichsmandate gäbe es nicht. „Der Vorschlag ist einfach umzusetzen und verfassungskonform. Zudem stärkt er die Erststimme und vereinigt die Vorteile von Mehrheits- und Verhältniswahl“, sagte Fischer der dpa.

FDP und Grüne lehnten den Brinkhaus-Vorschlag ebenfalls ab. Er sei „offenkundig nicht fair, weil er die CSU von jedem Beitrag zur Lösung freistellt“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, der dpa. „Zudem ist der Vorschlag unambitioniert, weil das Modell einen Bundestag zulässt, der noch größer als der jetzige wäre und das Anwachsen auf bis zu 800 Abgeordnete nur gering dämpft.“ Dies kritisierte auch seine Grünen-Kollegin Britta Haßelmann. „Noch dazu sieht es so aus, dass es wieder die Union wäre, die von diesem Vorschlag einseitig profitieren würde“, sagte sie. „Was daran soll eine Reform sein?“

Die Fraktionen im Bundestag hatten sich bereits in der vergangenen Wahlperiode nicht auf eine Reform einigen können. In der Folge wurde das Parlament bei der Wahl 2017 mit 709 Abgeordneten so groß wie nie zuvor. Für die Bundestagswahl 2021 wird ohne Wahlrechtsänderung ein Anwachsen auf 800 oder noch mehr Abgeordnete befürchtet.

Einen konkreten Gesetzentwurf gibt es bislang nur von FDP, Grünen und Linken. Wegen der vorgesehenen Reduzierung der Zahl der Wahlkreise lehnt ihn besonders die CSU ab. Die drei Oppositionsfraktionen bestehen aber darauf, dass der Bundestag darüber am Freitag, dem letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, abstimmt.

Bundestags-Vizepräsident Kubicki hält eine Einigung vor der Pause für unbedingt erforderlich: „Gelingt dies nicht in dieser Sitzungswoche, wird das nichts mehr zur kommenden Bundestagswahl“, sagte er der dpa. „Schon jetzt ist der Zeitplan für alles, was daran hängt, also der Zuschnitt der Wahlkreise, die Kandidatenaufstellung und so weiter eine riesige Zumutung.“

Ein weiteres Anwachsen des Bundestags würde laut Kubicki auch dessen Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. „Das liegt allein schon daran, dass wir gar nicht so schnell so viele räumliche Kapazitäten aufbauen können.“ Die inhaltliche Arbeit würde ebenfalls leiden: „Wegen der Tatsache, dass vor allem in den großen Fraktionen jeder Abgeordnete eine angemessene Aufgabe übernehmen soll, müssen Themenbereiche immer kleinteiliger geschnitten werden. Für eine sinnvolle Lösung von politischen Problemen wäre das in jedem Falle nachteilig.“

Kubicki plädierte dafür, über den Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken ohne Fraktionszwang abzustimmen. „Dann kann sich die beste Lösung am Ende durchsetzen.“ Den Brinkhaus-Vorstoß nannte er in der „Rheinischen Post“ (Montag) „nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver“. Denn: „Brinkhaus weiß selbst, dass sein Vorschlag von den angehörten Sachverständigen als nicht verfassungskonform verworfen wurde.“

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