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Widerstand gegen Ministerin

Streit um Führungspositionen an Bundesgerichten

Die Bundesgerichte sind sehr vornehme Adressen im Rechtsstaat, der Umgangston entsprechend höflich. Derzeit rumort es gewaltig hinter den Kulissen, die Bundesjustizministerin hat Ärger.

Das Präsidium am Bundesfinanzhof in München soll neu besetzt werden.
Das Präsidium am Bundesfinanzhof in München soll neu besetzt werden. Foto: Peter Kneffel/dpa

An den Bundesgerichten gibt es Widerstand gegen die Pläne von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) für die Besetzung höchstrichterlicher Führungspositionen in Deutschland.

Auslöser ist Streit um die überfällige Neubesetzung des Präsidiums am Bundesfinanzhof (BFH) in München. Der Richterverein am BFH wirft der SPD-Politikerin vor, die juristische Qualifikation zu vernachlässigen und die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung zu gefährden. Lambrecht hält dagegen.

Die Präsidenten der Bundesgerichte machen nun in einer gemeinsamen Stellungnahme deutlich, dass sie auf fachliche Eignung keinesfalls verzichten wollen. Zum Einfluss der Parteipolitik äußern sich die Präsidenten in ihrer Stellungnahme nicht, doch darum geht es faktisch.

„Bundesrichterliche Erfahrung über einen längeren Zeitraum hinweg ist unverzichtbare Voraussetzung, um von einer Eignung und Befähigung für eine Beförderungsstelle an einem Bundesgericht ausgehen zu können“, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe auf Anfrage und in Abstimmung mit den anderen Bundesgerichten.

Am kommenden Freitag will Lambrecht das Thema mit den Präsidentinnen und Präsidenten besprechen. Bisher sieht das 2016 mit den Bundesgerichten vereinbarte „Anforderungsprofil“ vor, dass Vorsitzende Richter vor der Ernennung in der Regel mehrere Jahre am jeweiligen Bundesgericht tätig gewesen sein sollen.

„Diese Vereinbarung besagt aber nur, dass das in der Regel so ist“, verteidigt sich Lambrecht. „Und immer dann, wenn der Jurist von „in der Regel“ spricht, gibt es auch Ausnahmen.“

Die beteiligten Bundesgerichte sind neben BGH und BFH das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht.

Derzeit ist der Bundesfinanzhof quasi führungslos, auch das ist ungewöhnlich. Der bisherige Präsident Rudolf Mellinghoff und seine Stellvertreterin wurden in den Ruhestand verabschiedet, ohne dass die große Koalition die Nachfolge rechtzeitig geklärt hätte.

Dem Vernehmen nach sind für die BFH-Spitze zwei Juristen vorgesehen, die nie an einem Bundesgericht tätig waren: Präsident soll demnach Hans-Josef Thesling werden, ein CDU-naher Beamte im nordrhein-westfälischen Finanzministerium, zuvor Leiter des Finanzgerichts in Düsseldorf.

Für den Posten der Vizepräsidentin ausgewählt ist demnach Anke Morsch, derzeit Präsidentin des saarländischen Finanzgerichts und ehemalige SPD-Staatssekretärin. Eine Bestätigung gibt es nicht. Beide wurden jedoch jüngst als Richter an den BFH gewählt, die Voraussetzung für weitere Beförderungen.

Die Präsidenten verweisen vor ihrem Treffen mit Lambrecht auf das Rechtsprinzip, das bei der Besetzung öffentlicher Ämter gelten soll: „In diesem Gespräch möchten die Präsidentinnen und Präsidenten unter anderem ihre am Prinzip der Bestenauslese ausgerichtete Auffassung erläutern“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. Im Übrigen wolle man dem Gespräch mit Lambrecht nicht vorgreifen.

Die Bestenauslese beruht auf Artikel 33 des Grundgesetzes und bedeutet, dass es bei der Besetzung öffentlicher Ämter nach Fähigkeit und Leistung gehen soll. Dennoch spielt die Parteipolitik bei der Auswahl der Präsidenten seit jeher eine sehr große Rolle. Stephan Harbarth war Anwalt und CDU-Politiker, aber nie Richter - bis er Ende 2018 zunächst Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts wurde und im Juni 2020 zum Präsidenten aufrückte.

Am Bundesfinanzhof ist die Unruhe groß, ausgelöst durch ein Schreiben des Bundesjustizministeriums, das den Richtern im September bekannt wurde.

„Auf das Kriterium, wonach Vorsitzende nur diejenigen werden können, die sich zuvor als Revisionsrichter bewährt haben, soll künftig verzichtet werden“, berichtet Matthias Loose, der stellvertretende Vorsitzende des Richtervereins. „Diese Änderung kam völlig überraschend und erfolgte ohne jegliche Absprache mit den Präsidenten der Bundesgerichte.“

Aus Sicht des Richtervereins gibt es „keinen Anlass, bei der Besetzung dieser Stellen auf die vorherige Bewährung als Revisionsrichter zu verzichten“, wie Loose sagt. „Ansonsten wäre die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Gerichts gefährdet.“ Und weiter: „Es stünde zu befürchten, dass andere Kriterien als die fachliche Eignung und Bewährung als Revisionsrichter für die Stellenbesetzung maßgeblich sein könnten.“

Ein Punkt, den Kritiker schon vor Harbarths Wahl zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vorbrachten: Werden Politiker und politisch genehme Beamte zu Bundesrichtern gekürt, entscheiden sie früher oder später über die Rechtmäßigkeit von Vorschriften, an deren Entstehung sie beteiligt waren.

Die Justizministerin wehrt sich gegen den Vorwurf, die fachliche Eignung hintenan zu stellen: „Richter, die im diesjährigen Richter-Wahlausschuss zum Bundesfinanzhof gewählt wurden, verfügen über mehrjährige Erfahrung in der Finanzgerichtsbarkeit und erfüllen vollständig die Voraussetzungen, um Richter am Bundesfinanzhof zu werden“, sagt Lambrecht. Das habe der Präsidialrat des Bundesfinanzhofs bestätigt.

„Ich bezweifle, dass es wirklich das wichtigste Kriterium sein kann, dass man schon fünf Jahre an diesem einen Gericht war“, erklärt Lambrecht. „Oder ob es nicht - neben der ohnehin vorhandenen richterlichen Erfahrung in der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit - auch wichtig ist, dass man, wenn man eine Leitungsfunktion übernimmt, schon Erfahrungen in Personalführung, in Haushaltsangelegenheiten und im Management einer größeren Verwaltung hat.“

„Man kann bei der Besetzung der Führungspositionen durchaus über größere Diversität sprechen, aber dann müssen die Kriterien transparent sein“, fordert die Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann (Grüne).

Eigentlich solle es bei der Besetzung der Führungspositionen eine Bestenanalyse geben, sagt die Rechtspolitikerin. „Doch die politische Komponente gewinnt immer mehr an Bedeutung.“

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