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30 Jahre nach Eberswalde

Amadeu Antonio Stiftung warnt vor rechter Gewalt

Vor 30 Jahren schlugen Neonazis den Angolaner Amadeu Antonio zu Tode. Heute kämpft eine Stiftung in seinem Namen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Von der gibt es zum Jahrestag alarmierende Befunde - aber auch Mutmacher.

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, äußert sich zum Tod von Kiowa vor 30 Jahren.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, äußert sich zum Tod von Kiowa vor 30 Jahren. Foto: Michael Kappeler/dpa

Amadeu Antonio Kiowa wurde eingekreist. Sie schlugen mit Baseballschlägern auf ihn ein. Traten gegen seinen Kopf. So lange, bis der Angolaner das Bewusstsein verlor - und zwei Wochen später an Organversagen starb. Genauer gesagt am 6. Dezember 1990.

Kiowa war eines der ersten Opfer rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland. „Dass sowas passiert, ist heute auf jeden Fall noch denkbar“, sagt Anetta Kahane 30 Jahre später. Sie ist die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die sich seit 1998 im Namen des Getöteten gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt.

Die Stiftung sammelt seit Jahren Zahlen und Fakten zu rechten Gewalttaten. Daraus geht hervor: Die Zahl der Todesfälle ist im Vergleich zu den 1990er Jahren stark zurückgegangen, Ausnahmen sind Ereignisse wie die Attentate von Hanau oder München. Und während die Stiftung im Jahr 2016 noch 3767 Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte verzeichnete, waren es im Jahr 2019 1664.

In den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 lag die Zahl bei 1062, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Links-Fraktion hervorgeht. Allerdings werden diese Zahlen in der Regel im Nachhinein noch nach oben korrigiert, wie ein Mitarbeiter in der Dokumentation der Stiftung erklärt.

Die Zahlen sind das eine. Aber wie steht es um das Wesen der rechtsextremen Gewalt in der Bundesrepublik - 30 Jahre, nachdem rund 50 junge Neonazis in einem pogromartigen Aufmarsch im brandenburgischen Eberswalde nach eigenen Worten Schwarze „aufklatschen“ wollten und auf Amadeu Antonio trafen? 

„Die große Masse rechtsextremer und rassistischer Gewalttaten findet immer noch auf einer ähnlichen Schwelle statt“, sagt der Extremismusforscher Gideon Botsch von der Universität Potsdam. Es seien immer wieder Situationen zu beobachten, in denen aus Gruppen heraus Gewalt angewandt werde. Während aber bei Amadeu Antonio eine homogene Gruppe organisierter Neonazis zuschlug, gebe es heute auch Täter, „die in ihrer Radikalisierung unter jeglichem polizeilichen Radar laufen.“

Kahane meint: „Wir haben heute andere Sphären, in denen Gewalt angewandt wird: Drohkulissen, Leute mundtot machen, Raumergreifungsstrategien. Es hat sich was verändert, aber es ist nicht besser geworden.“ Insbesondere die Mischung von gewaltbereiten Neonazis und extremen Rechten in den alten Bundesländern sei gefährlich. Dazu sei das Verharmlosen von rechtsextremen Einstellungen insbesondere in Ostdeutschland verbreitet: „Die gesamte Bundesrepublik hat zugelassen, dass es in Ostdeutschland Zonen gibt, wo sich manche Leute nicht mehr hin trauen. Das ist eine Schande!“

Zwar ist das Thema kein rein ostdeutsches Phänomen, sagt Kahane. Doch mit dem Tod von Amadeu Antonio, den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen oder auch dem Tod von Alberto Adriano 2000 in Dessau machte der Osten immer wieder Schlagzeilen. Auch mit den aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen geht der Blick oft gen Osten.

Daraus ergibt sich auch eine neue Bedrohungslage: Die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet wachsenden Antisemitismus im Milieu der Corona-Leugner: „Meiner Meinung nach braut sich da etwas zusammen, das kurz davor ist in antisemitische Stimmung umzuschlagen – eine direkte, die ohne weitere Umwege auskommt“, meint Kahane.

Doch wie lässt sich gegensteuern? Aus Sicht von Kahane tut sich insbesondere in der Zivilgesellschaft schon viel. „Es gibt inzwischen sehr viel mehr Leute, die da einschreiten würden“, sagt sie und verweist auch auf Gegendemonstrationen in Thüringen oder Sachsen.

Botsch verweist auch darauf, dass die Zivilgesellschaft gerade im Osten zu einem starken Monitoring rechter Gewalttaten beitrage. Und auch die „Black Lives Matter“-Bewegung habe das Thema Rassismus auch nochmal stärker in den Vordergrund gespült und viele Menschen sensibilisiert, sagt Kahane: „Das ist neu. Das war es noch nicht so vor 5 Jahren, und schon gar nicht vor 20 oder 30 Jahren.“

Der wichtigste konkrete Hebel sei aber die Lokalpolitik: „Wichtig ist, dass man mit Lokalpolitikern redet, dass man auch mal den Konflikt führt.“ Dass das möglich ist, zeige Eberswalde - die Stadt in der Amadeu Antonio erschlagen wurde, wofür letztlich fünf Neonazis wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu Bewährungs- und Haftstrafen von zwei bis vier Jahren verurteilt wurden: „Es ist möglich, in einer Stadt einen Klimawandel hinzukriegen.“

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