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Meinung

von Klaus Michael Baur

Leitartikel zum Krieg in der Ukraine

Putins militanter Exzess

In der Ukraine wird gekämpft. Aber egal, was passiert: Die demokratische Gesinnung der Ukrainer, den Wunsch nach westlicher Anbindung, nach Freiheit, wird Wladimir Putin nie aus den Köpfen schießen können. Ein Leitartikel von BNN-Verleger und Chefredakteur Klaus Michael Baur.

Verändert: Putin, der Mann, der in den Neunzigern den Deutschen noch so weltoffen, germanophil und sympathisch erschien, hat sich als russischer Präsident in eine Allmachts-Vision verirrt.
Verändert: Putin, der Mann, der in den Neunzigern den Deutschen noch so weltoffen, germanophil und sympathisch erschien, hat sich als russischer Präsident in eine Allmachts-Vision verirrt. Foto: Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Krieg in Europa. Lange war das ein unvorstellbarer Alptraum. Gorbatschow hat den „Wind of change“ ermöglicht, die Wiedervereinigung Deutschlands. Osteuropa befreite sich vom Warschauer Pakt. Nun geht von Russland ein Angriffskrieg gegen die Ukraine aus – geprägt von einer skrupellosen Unbeirrbarkeit, die der Welt das Blut in den Adern stocken lässt.

Europa hat viel erlebt: Wettrüsten, Zypern-Konflikte, Tschetschenien, Balkan-Kriege, Kämpfe in Ex-Sowjetrepubliken. Georgien, Krim, Zerreißproben um den Donbas. Doch die aktuellen Geschehnisse um die Ukraine führen die ganze Unberechenbarkeit kriegerischen Wahnsinns ins Bewusstsein. Der Februar 2022 erlebt einen Keulenschlag für die Nachkriegsordnung, für den Frieden.

Putin, der Mann, der den Deutschen einst so weltoffen, germanophil und sympathisch erschien, hat sich als russischer Präsident in eine Allmachts-Vision verirrt. Seine bizarre Rhetorik, seine abstrusen Klitterungen, sein eskalierendes Drohvokabular in atomare Szenarien erzeugen höchste Beklemmung. Es gibt kein Limit mehr. Kriegsverhindernde Diplomatie ist nur noch eine verachtete Spielwiese, auf der man andere täuscht und einen Völkerrechtsbruch vorbereitet.

So muss man auch alle weiteren Friedensverhandlungen mit großer Skepsis sehen. Putins Knute steht über allem. Über der humanitären Katastrophe, die Bodentruppen, Panzer und Raketen in einem Bruderland auslösen. Über der Isolation, in die er Russland und die Russen schickt. Über der Reaktion weiter Teile der restlichen Welt, die sich nun gegen sein Land, den allzeit bereiten Aggressor, viel entschiedener stellen muss.

Umdenken im Westen kommt spät

In den westlichen Allianzen kehrt spätes Umdenken ein. Plötzlich ist alles möglich: Nord Stream 2 ganz weit weg. Der Ausschluss Russlands aus Swift beschlossene Sache. Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine real. Putin und Lawrow Figuren auf dem Index. Mit einem Schlag soll Versäumtes nachgeholt werden. Scholz’ Ankündigung im Bundestag, die Bundeswehr mit einem 100-Milliarden-Programm massiv zu unterstützen, gehört zu diesen Einsichten.

Wie immer erzeugt ein Krieg nur eines: tiefste menschliche Tragik.

Zweifellos werden Sanktionen Putins Manövrierraum zunehmend einschränken. Doch solange der Trotz derer anhält, die in ihm den starken Mann einer wiedergenesenen Weltmacht sehen, wird er sich sicher fühlen.

In der Perspektive aber wird dieser Krieg Moskau dauerhaft zum Outlaw machen. Die USA, die Nato, die EU und alle, die demokratischem Geist und freiheitlichen Werten nahe stehen, werden nun zu einer Geschichtslektion gezwungen. Die Gefahr, die von einem Putin-geführten Russland ausgeht, ist endgültig mit Händen zu greifen und weder von falschem Verständnis für die russischen Interessen noch von ideologiegesteuerter Romantik zu übertünchen.

Demokratische Gesinnung der Ukrainer kann man nicht besiegen

Putins militanter Exzess wird viele Menschenleben kosten. Russlands Streitkräfte selbst werden für das militärische Abenteuer einen hohen Blutzoll entrichten. Der Flüchtlingszug aus der Ukraine hat bereits begonnen und wird ganz Europa erreichen und alle Hilfsbereiten in Atem halten.

Wie immer erzeugt ein Krieg nur eines: tiefste menschliche Tragik. Kiew und Charkiw wehren sich tapfer. Putin mag es irgendwann gelingen, das Regime um Selenskyj auszuhebeln, waffenstarrenden Geist in das Land zu bringen, Gebiete einzunehmen, pro-russische Separatisten in den Sattel zu hieven. Aber die demokratische Gesinnung der Ukrainer, den Wunsch nach westlicher Anbindung, nach Freiheit, wird er nie aus den Köpfen schießen können. Unmöglich wird es Putin sein, die blau-gelbe Solidarität einer ganzen Welt zu besiegen. Putin kann eine blutige Offensive gewinnen, doch den Krieg gegen die Psychologie, den kann er nur verlieren.

In kritischer Nabelschau löst sich der Westen langsam aus der Paralyse. Wer und was hat diesen Krieg auch möglich gemacht? Verzetteltes Krisenmanagement, beharrlicher Glaube an Russlands Kooperationssinn, ein Amerika, das sich mit Trump lange einen Putin-Bruder im Geiste leistet und das transatlantische Bündnis spaltet, eine EU des Zögerns und der Zerrissenheit, ein Deutschland, das sich in seinen eigenen Militärbetrachtungen somnambule Gleichgültigkeit erlaubt, Wladimir-Freunde in der Linken und in der Gestalt des Alt-Kanzlers, die jeden Putinismus fördern – und ein Wirtschaftssystem, das stets auf seine Eigeninteressen mit Russland achtet und seine Abhängigkeit kultiviert. Dieser Mix formte sich zum Gemisch der Schwäche, die Putin nun gnadenlos ausnutzte. Frieden, Freiheit und Demokratie sind nur durch intakte, vorausschauende und wehrhafte Gemeinschaften zu bewahren. Der Westen hat ausgeträumt.

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