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Vor 25 Jahren

Unglück von Flug SR 111: „Pan Pan – wir haben Rauch im Cockpit!“

Vor 25 Jahren stürzte Flug SR 111 vor der kanadischen Küste in den Atlantik. 229 Menschen starben. Es war das bisher schwerste Unglück einer Fluggesellschaft aus dem deutschsprachigen Raum.

Eine Swissair MD-11 in einem Hangar in Zürich.
Das Foto zeigt eine Swissair MD-11 in einem Hangar in Zürich. Eine sole Maschine hatte vor 25 Jahren auf einem Flug von New York nach Genf Rauch im Cockpit und stürzte schließlich ab. Foto: Michele Limina/dpa

2. September 1998: Die Uhren auf dem John F. Kennedy International Airport in New York zeigen 20.18 Uhr. Die Sonne ist noch nicht lange untergegangen, als auf der Startbahn Flug SR 111 startet. 215 Passagiere sitzen an Bord der dreistrahligen Großraummaschine vom Typ McDonnell Douglas MD-11. Viele Gäste dieses Swissair-Fluges blättern in Zeitungen oder werfen aus den Fenstern der Maschine einen letzten Blick auf die Lichter der US-Metropole. 14 Besatzungsmitglieder an Bord sorgen für ihren Komfort und den reibungslosen Ablauf des Fluges. Flugziel ist Genf. Noch ahnt niemand, dass die Maschine dieses Ziel niemals erreichen wird.

Im Cockpit arbeitet der 50-jährige Flugkapitän Urs Zimmermann. Rechts von ihm sitzt als Co-Pilot der 36-jährige Stephan Löw. Beide sind erfahrene Piloten. Nach und nach erhalten sie von den zuständigen Kontrollzentren am Boden die Freigabe für den weiteren Steigflug. Die Luftstraße, auf der sie fliegen, verläuft zunächst an der Ostküste der USA entlang nach Norden, bevor sie dann später nach Osten über den Atlantik Richtung Europa führen wird. Das ist die normale Route. Dicht vor und hinter SR 111 staffeln sich – wie an jedem Abend um diese Zeit – weitere Flugzeuge.

Um 20.58 Uhr New Yorker Ortszeit hat die MD-11 ihre vorläufige Reiseflughöhe von 33.000 Fuß errreicht und gibt eine entsprechende Meldung an die nun zuständige Luftverkehrskontrollstelle Moncton Centre.

Ungewöhnlicher Geruch – das Problem wird um 21.10 Uhr registriert

Um 21.10 Uhr nimmt der Co-Pilot ungewöhnlichen Geruch im Cockpit wahr. Das ergibt die spätere Auswertung des Cockpit Voice Recorders, der die Gespräche im Cockpit fortlaufend aufnimmt. In der Kabine hinter den Männern wird gerade das Essen serviert, was natürlich eine mögliche Ursache sein könnte. Der Kapitän bittet eine Flugbegleiterin ins Cockpit. Diese bestätigt, dass es im Cockpit ungewöhnlich riecht – und ist sicher, das in der Kabine nicht wahrgenommen zu haben. Rund zwei Minuten, nachdem die Piloten den ersten Geruch wahrgenommen haben, können sie ganz feinen Rauch sehen.

Für die Crew hat Sicherheit die höchste Priorität. Die Besorgnis der Piloten nimmt zu – und sie entscheiden, zu landen. Um 21.14 Uhr erklären sie über Funk: „Swissair one eleven heavy is declaring Pan Pan Pan. We have smoke in the cockpit, request immediate return to a convenient place, I guess Boston.“ („Swissair 111 erklärt Pan Pan Pan. Wir haben Rauch im Cockpit und bitten um Rückkehr zu einem geeigneten Platz, ich schätze Boston.“)

Nach dem Unglück suchten Einsatzkräfte nach Überlebenden des Flugs.
Nach dem Unglück suchten Einsatzkräfte nach Überlebenden des Flugs. Foto: dpa

Pan Pan Pan ist ein Notfall-Code im internationalen Luftverkehr. Er rangiert unterhalb der Abgabe eines Mayday-Notrufes und wird verwendet, wenn sich eine Maschine in Schwierigkeiten befindet und Unterstützung vom Fluglotsen benötigt. Der Controller am Boden reagiert sofort. Seine Aufgabe ist es, die Besatzung bestmöglich zu unterstützten, zugleich aber auch darauf zu achten, dass kein Risiko für den dichten umliegenden Verkehr entsteht. Er gibt SR 111 einen Sinkflug auf eine Höhe von 31.000 Fuß frei und lässt die Crew zunächst eine Rechtskurve fliegen. Dann schlägt er vor, dass die Piloten das näher gelegene Halifax anfliegen. SR 111 erklärt sich einverstanden.

Piloten setzen ihre Sauerstoffmasken auf

Noch scheint die Situation im Cockpit übersichtlich. Trotzdem haben die Piloten jetzt, entsprechend der Notfallrichtlinien, ihre Sauerstoffmasken aufgesetzt. Die Swissair-Maschine erhält nun die Freigabe, auf 10.000 Fuß zu sinken. Mittlerweile hat der Kapitän die Flugbegleiter über die bevorstehende Landung in Halifax informiert. Er weist sie an, die Kabine auf die bevorstehende Landung vorzubereiten, die er in 20 bis 30 Minuten erwartet.

Um 21.18 gibt der Lotse die schweizer Maschine zum Sinkflug auf 3.000 Fuß frei. Aus Sicht der Piloten ist das aber nicht ideal. Sie funken zurück, zunächst nur auf 8.000 Fuß gehen zu wollen, während die Kabine auf die bevorstehende Landung vorbereitet wird. Im Dialog mit dem Lotsen ist jetzt die bevorstehende Landung Thema. Die Piloten sind damit einverstanden, die Landebahn 06 in Halifax anzufliegen. Doch diese ist nur noch 30 Meilen von ihnen entfernt, wie sie vom Lotsen erfahren. Den Piloten ist sofort klar: Dafür ist die MD-11 aktuell noch viel zu hoch. Zudem befindet sich in den Tanks noch zu viel Kerosin. Damit ist das Flugzeug für eine Landung zu schwer. Mit dem vorhandenen Gewicht würde es dabei zu einer Bruchlandung kommen und die MD-11 in Flammen aufgehen. Bevor also die Landung durchgeführt werden kann, muss der Kraftstoff abgelassen werden. Die Besatzung bespricht das Thema mit dem Lotsen. In der Folge geht die Maschine auf Südkurs, um vor der Landung das nötige Kerosin abzulassen.

Autopilot wird abgeschaltet

Um 21.24 Uhr dann ist die Lage im Cockpit plötzlich dramatisch. Moncton Center erfährt über Funk, dass die Crew in der MD-11 den Autopiloten abgeschaltet hat. Damit wird das Flugzeug nun von Hand geflogen. Sekunden später drücken beide Piloten gleichzeitig auf die Sprechtaste ihres Funkgeräts und funken: „Emergency“. Damit erklären sie offiziell einen Notfall und wollen sofort landen. Sie beginnen mit dem Ablassen des Kraftstoffs. Nacheinander fallen immer mehr Systeme in der Maschine aus. Das ergibt die spätere Auswertung des Flight Data Recorders, der die technischen Parameter des Fluges protokolliert und genau wie der Voice Recorder so konzipiert ist, dass er einen Flugzeugabsturz übersteht. Beide zusammen werden in der Öffentlichkeit trotz oranger Lackierung meist als Black Box bezeichnet.

Zeuge der zunehmenden Systemausfälle wird der Fluglotse am Boden. Die Information über die Höhe der Maschine, wie sie automatisch über Funk vom Transponder der MD-11 übermittelt wird, fällt aus und ist auf seinem Bildschirm nicht mehr sichtbar. Später wird man feststellen, dass in diesem Zeitraum auch der Cockpit Voice Recorder und der Flight Data Recorder ihren Dienst quittieren. Sekunden später flackert noch einmal die Höheninformation auf dem Bildschirm des Lotsen auf, dann verliert er alle Transponder-Daten von SR 111. Vermutlich können die Piloten nun aufgrund des Rauchs im Cockpit kaum noch etwas sehen. Jetzt ist das Flugzeug nur noch ein schwacher Lichtpunkt, wie er vom primären Radar dargestellt wird. Es ist jetzt 21.26 Uhr New Yorker Ortszeit. Seit fast einer Minute hat der Lotse nicht mehr mit den Piloten gesprochen. Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er ihre Stimmen nie wieder über Funk hören wird. Der Flug der MD-11 von Swissair dauert noch fünf Minuten, bevor die Maschine um 21.31 Uhr auf dem Wasser vor der kanadischen Küste aufschlägt. Da weder Funk noch Voice Recorder noch funktionieren, wird sich das Geschehen in diesen Minuten nicht mehr aufklären lassen. 229 Menschen sterben.

Aufwand bei der Aufarbeitung war immens

Sofort nach dem Unglück begann die kanadische Unfalluntersuchungsbehörde Transportation Safety Board of Canada (TSB) mit der Untersuchung des Unglücks. Der Aufwand war immens. Wichtige Aufschlüsse erhofften sich die Unfalluntersucher von den Wrackteilen. Erst im Dezember 1999 war die Bergung abgeschlossen. Insgesamt bargen die Unfallermittler dabei Wrackteile der Maschine mit einem Gesamtgewicht von über 127 Tonnen. Die Arbeit lohnte sich. Die Untersuchung der Wrackteile ergab schnell, dass es in der Maschine zum Ausbruch eines Feuers gekommen war. Die Ermittler konnten an den geborgenen Wrackteilen deutlich die durch die Flammen entstandenen Schäden erkennen. Die gefundenen Flugzeugteile aus diesem Bereich wiesen deutliche Anzeichen dafür auf, dass ein Feuer mit sehr großer Hitze gewütet haben musste.

Die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass das Feuer höchstwahrscheinlich von einem so genannten elektrischen Lichtbogen ausging, der im Zusammenhang mit einem oder mehreren Kabeln auftrat. Dieser Lichtbogen hat den metallisierten Überzug von Wärme- und Schallisolationsmatten aus einem Material namens Polyäthylen Terephtalat (PET) entzündet, die sich auf der rechten Seite des Cockpits des Flugzeugs über dem hinteren Teil der Decke befanden. Der vermutliche Ursprungsort war ein Kabelbereich des Bordunterhaltungssystems. Hier fanden die Untersucher einen Bereich, in dem geschmolzenes Kupfer wiedererstarrt war. Das lässt darauf schließen, dass es dort zu dem Lichtbogenüberschlag gekommen war, der dann zu dem Brand führte.

Zahlreiche Empfehlungen

Die TSB machte auf Basis der Untersuchung im Abschlussbereich zahlreiche Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheit. Diese betrafen unter anderem die Aufnahmedauer und Stromversorgung der so genannten Black Boxes, die Überprüfung der Kabel sämtlicher MD-11-Flugzeuge und vor allem den Ausbau von Isolierplatten aus metallisiertem PET. Die TSB kritisierte auch den Aufbau der Checklisten und die Zeit, die während des Flugs für das Abarbeiten der Checkliste „Smoke/Fumes of Unknown Origin“ nötig war. Es ist normal und richtig, dass Piloten in einer solchen Situation bei ihrem Vorgehen eine Checkliste abarbeiten. Dauert das zu lange, kann es aber verhängnisvoll sein. In diesem Fall war der Punkt „Land at nearest suitable airport“ („Landen Sie auf dem nächstgelegenen geeigneten Flughafen“) auf der Checkliste erst an letzter Stelle notiert. Die Empfehlungen wurden von einem großen Teil der weltweit zuständigen Luftaufsichtsbehörden umgesetzt.

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