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Das Problem Weltraumschrott

Wachsende kosmische Müllhalde gefährdet die Zukunft der Menschheit

Unser Alltag wäre ohne die Satelliten unvorstellbar, allerdings wird ihr Betrieb zunehmend problematisch. Denn die Menge an Trümmern im Orbit wächst täglich. Damit steigt die Gefahr von Kollisionen.

Die Bedrohung durch Kollisionen im All steigt täglich: Die Visualisierung der European Space Agency (ESA) zeigt den Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der um die Erde kreist.
Die Bedrohung durch Kollisionen im All steigt täglich: Die Visualisierung der European Space Agency (ESA) zeigt den Weltraummüll früherer Weltraummissionen, der um die Erde kreist. Foto: ESA

Nur wenige Menschen dürften am 10. Februar 2009 einen spektakulären Zusammenstoß im Weltall live miterlebt haben. Es gab kein Explosionsgeräusch, höchstens ein kurzes Aufflackern im abendlichen Himmel über der dünn besiedelten arktischen Halbinsel Tajmyr. Später erfuhren die Russen aus US-Quellen, dass ihr ausgedienter Militärsatellit „Kosmos 2551” den Kommunikationssatelliten „Iridium 233” gerammt hatte.

Oder umgekehrt, so genau weiß man das nicht. Der Zusammenprall zweier Objekte mit einer Gesamtmasse von 1,4 Tonnen könnte jedenfalls für die Menschheit noch dramatische Folgen haben.

Kosmisches Feuerwerk mit potenziell dramatischen Folgen

Denn bei dem kosmischen Feuerwerk in 788 Kilometer Höhe mit einer geschätzten Explosionsenergie von zehn Tonnen TNT-Sprengstoff entstanden etwa 2.000 handflächengroße Trümmerteile und bis zu 100.000 winzige Splitter, die noch viele Jahre die Erde mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde umkreisen werden. Sollte auch nur einer von ihnen einen funktionsfähigen Satelliten treffen, er würde ihn wohl in einen Schrotthaufen verwandeln.

Die Piepsignale des Sputnik aus der Erdumlaufbahn 1957 waren ein Startschuss für eine aktive Erschließung des Weltalls durch die Menschen. Es folgten bis heute mehr als 5.000 Raketenstarts, mittlerweile umkreisen weit mehr als 7.500 künstliche Himmelskörper den Planeten. Der moderne Alltag wäre ohne die satellitengestützte Kommunikation, Wetterbeobachtung, GPS-Navigation, Datenübertragung und das Satellitenfernsehen unvorstellbar.

Es gibt allerdings eine reale Gefahr, dass die Menschheit in ferner Zukunft auf ihre nützlichen Helfer im All wird verzichten müssen. Oder aber, dass sich der Betrieb von Satelliten erheblich verteuert, wenn man mit großem Aufwand deren Ausfällen vorbeugt, die katastrophale Folgen haben könnten.

Viele Millionen winziger Teilchen umkreisen die Erde

Die Raumfahrtnationen müllen den Orbit immer mehr zu – mit „toten” Sonden, leeren Raketenstufen, Adaptern und Schutzkappen, aber auch mit Teilen von zerstörten Satelliten, deren Treibstoffreste zuvor explodiert waren. Konservative Schätzungen gehen derzeit von 750.000 Objekten in der Erdumlaufbahn, die mehr als einen Zentimeter groß sind, und von 100 Millionen kleineren Teilchen.

Jeden Tag werden es mehr. Schon jetzt muss im Schnitt jeder Satellit der Europäischen Agentur für Raumfahrt (ESA) ein- bis zweimal im Jahr durch eine Triebwerkzündung vor einer drohenden Kollision mit einem Schrottteil in Sicherheit gebracht werden. Auch die Internationale Raumstation ISS ist gefährdet.

Deshalb zerbrechen sich die Wissenschaftler die Köpfe, wie insbesondere der stark genutzte Raum bis 2.000 Kilometer Höhe (low Earth orbit, LEO) durch den Einsatz von „Putzmaschinen“ mit Roboterarmen oder Netzen gesäubert werden könnte. Das ist noch Zukunftsmusik. Dagegen erlauben schon jetzt neue Technologien, die Flugbahnen der gefährlichen Teilchen erstaunlich präzise zu erfassen und die Satellitenbetreiber frühzeitig vor möglichen Kollisionen zu warnen.

Zielsicherer Schuss auf ein 700.000 Kilometer entferntes Fußballtor

Mit ihrem Space Surveillance Network betreiben die USA ein Netzwerk aus Dutzenden Teleskopen und Radaranlagen, die vor allem die 25.000 größeren Objekte in der Umlaufbahn verfolgen können. Die Daten werden weitergereicht, aber nicht alle, weil manche von ihnen militärisch wichtig sind. Zudem stößt die Radartechnologie bei kleineren Teilen an ihre Grenzen.

Hier versprechen Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Abhilfe. Sie haben bereits 2015 eine Messmethode erprobt, bei der ein Laserstrahl zentimetergroße Objekte im LEO treffen kann. Das ist etwa so, als würde ein Fußballer aus einer Entfernung von 700.000 Kilometern zielsicher ein Tor schießen. Nun soll in wenigen Wochen im Schwarzwald der Bau eines hochmodernen Observatoriums starten, das diese Technologie nutzen wird.

Die Raumfahrt läuft einfach im Hintergrund. Fiele sie mal aus, wäre es für alle spürbar.
Manuel Metz , DLR-Raumfahrtmanager

Auf dem Innovationscampus Empfingen entsteht ein 15 Meter hoher Turm mit drehbarer Kuppel, in der ein Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 1,75 Metern installiert werden soll. Es wird bald das größte seiner Art in Europa sein. „Die Bahndaten von Schrottobjekten verändern sich ständig, zum Beispiel durch die Einwirkung des Sonnenwindes. Mithilfe eines Laserstrahls werden wir sie in Empfingen stets sehr genau bestimmen können“, sagt den BNN Thomas Dekorsy, Direktor des DLR-Instituts für Technische Physik in Stuttgart.

Observatorium kann entfernte Schrottobjekte messen und verfolgen

Vereinfacht dargestellt, wird ein Trümmerteil mit Tausenden Laserpulsen pro Sekunde bestrahlt. Aus der Laufzeit des zurückgeworfenen Lichts wird dann berechnet, wie weit das Objekt ist und sogar wie schnell es rotiert. Da immer nur ein winziger Bruchteil des Lichts empfangen wird, braucht das Observatorium ein großes Teleskop und eine sehr empfindliche Technik. „Es sind nur einige wenige Photonen, die bei uns so ,per Handschlag’ begrüßt werden“, sagt Dekorsy.

Mit der neuen Anlage können die Forscher auch über die Beschaffenheit des Schrotts mehr lernen. „Wenn er von der Sonne beleuchtet wird, messen wir das reflektierte Licht und zerlegen es in die Spektralanteile.

So kann man bestimmen, aus welchen Materialien das Objekt besteht”, erläutert Dekorsy. Der Physiker geht davon aus, dass sich die Zahl von erfassten Schrottpartikeln in den Katalogen verfünffachen wird, wenn die Systeme für ihre Entdeckung weiterentwickelt werden. Die DLR-Technologie solle helfen, die Teile zu charakterisieren.

So soll das neue DLR-Observatorium in Empfingen im Schwarzwald aussehen. Es wird voraussichtlich Anfang 2021 in Betrieb genommen.
So soll das neue DLR-Observatorium in Empfingen im Schwarzwald aussehen. Es wird voraussichtlich Anfang 2021 in Betrieb genommen. Foto: DLR

Kettenreaktion aus Kollisionen ist ein reales Szenario

Dekorsy macht sich Sorgen, dass sich größere Zusammenstöße ereignen könnten, die weitere Kollisionskaskaden nach sich ziehen würden. Dann könnte ein sogenanntes „Kessler-Syndrom” eintreten. Der Hollywood-Blockbuster „Gravity” machte ihn 2013 der breiten Öffentlichkeit bekannt. Im Film führt die Zerstörung eines russischen Satelliten zu einer Kettenreaktion von Explosionen und der Entstehung eines riesigen Trümmerfeldes, das die ISS schwer beschädigt.

Wer hat nicht geblinkt? Es gibt heute keine Verkehrsregeln im erdnahen Orbit.
Daniel Lambach , Politikwissenschaftler

Es müsste Missionen geben, um alte Satelliten zu entfernen, ist Dekorsy überzeugt. „Das sind Verfahren, die dreistellige Millionenbeträge kosten können – so viel zahlt man auch für den Bau und Start von modernen Satelliten.” Auch für den Bonner DLR-Raumfahrtmanager Manuel Metz führt kein Weg daran vorbei, um im All zu entrümpeln.

Erstaunliche Präzision: Das Teleskop in Empfingen wird winzige Objekte in einer Entfernung von mehreren Hundert Kilometern genau messen und verfolgen können.
Erstaunliche Präzision: Das Teleskop in Empfingen wird winzige Objekte in einer Entfernung von mehreren Hundert Kilometern genau messen und verfolgen können. Foto: DLR

„Die Satelliten müssen zuverlässig entsorgt werden. Die wichtigste Maßnahme ist, dass sie nach einer bestimmten Zeit – in der Regel nach 25 Jahren – aus dem LEO verschwinden. Es wäre optimal, wenn sie kontrolliert in die Atmosphäre gesteuert würden.”

„Es gibt keine Verkehrsregeln im niedrigen Erdorbit”

Es gebe noch keine Technologie zum Beseitigung des Schrotts, die nachweislich funktioniere, räumt Metz ein. „Wenn es sie eines Tages geben wird, stellen wir vor der nächsten Frage: Wer soll für das Aufräumen bezahlen?“ Experten wie Daniel Lambach vom Forschungsnetzwerk „Sicherheit und Technologie im Weltraum“ halten es für ein Problem, dass momentan niemand für die Folgen der Vermüllung haftet.

„Das Weltraumabkommen betrifft nicht die Schäden, die durch den Schrott entstehen. Zudem ist es unmöglich, die Verursacher von Kollisionen zu ermitteln. Wer hat nicht geblinkt? Es gibt keine Verkehrsregeln im LEO“, sagt Lambach. Aus der Sicht des Frankfurter Politikwissenschaftlers müssten die Staaten das Weltall als offene Umwelt ansehen und eine Gesamtverantwortung für die Nutzung dieser Ressource übernehmen.

Die Menschheit habe keine Alternative zum gemeinsamen Kampf gegen den Weltraumschrott, ist der DLR-Fachmann Manuel Metz überzeugt. „Wir bauen sehr stark auf die Raumfahrt, ohne es zu merken. Sie läuft einfach im Hintergrund. Aber wenn sie einmal für einen Tag ausfallen sollte, wäre es für alle spürbar.“

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