Zu eng, zu viele Menschen - Urlauber schrecken derzeit häufig vor einer Kreuzfahrt zurück. Zu groß ist die Angst, sich an Bord eines Hochseeschiffes mit dem Coronavirus zu infizieren. Doch fürchten die Menschen zu Recht eine höhere Ansteckungsgefahr als an Land?
Helge Grammerstorf meint „Nein“. Die Reedereien würden für eine sichere Reise sorgen, sagt der Deutschland-Direktor des internationalen Kreuzfahrtverbandes CLIA im Interview mit den BNN. Der Organisation gehören fast alle Anbieter von Seereisen an.
Kreuzfahrten haben derzeit nicht den besten Ruf. Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie erkrankten Passagiere auf einem Schiff. Wie wollen Sie das Vertrauen der Gäste zurückgewinnen?
Helge GrammerstorfDie Corona-Pandemie ist eine Katastrophe, die uns alle betrifft. Eine Kreuzfahrt stellt kein erhöhtes Risiko dar. Sie ist sogar deutlich sicherer als der Besuch eines Supermarkts. Dass die Behörden in Japan die „Diamond Princess“ im Februar unter Quarantäne stellten, nachdem sich Passagiere außerhalb des Schiffes infiziert hatten, und das Schiff dann sich selbst überließen, war die schlechteste aller Ideen. Dadurch haben sich an Bord Passagiere infiziert. Doch man hat daraus gelernt. Der Kreuzfahrt-Verband hat gemeinsam mit verschiedenen Behörden Leitlinien entwickelt, um eine Ansteckung zu verhindern.
Was passiert nun, wenn jemand an Bord an Sars-CoV2 erkrankt?
GrammerstorfBei dem Verdacht einer Infizierung wird die betroffene Person sofort isoliert und bei nächster Gelegenheit von Bord gebracht. So wird vermieden, dass ganze Schiff unter Quarantäne zu stellen.
Die CLIA hat eine globale Testpflicht auf Covid-19 für alle Passagiere beschlossen. Was bedeutet das konkret?
GrammerstorfDie Passagiere müssen spätestens dann, wenn sie auf das Schiff gehen, einen negativen Corona-Test vorweisen. Der Test darf nicht älter als 48 Stunden sein. Jeder Passagier - und auch jedes Crew-Mitglied - darf nur mit einem negativen Test an Bord.
Wie wollen Sie verhindern, dass ein Gast einschifft, der sich zwischen Test und Anreise infiziert hat?
GrammerstorfWir können nur versuchen, das Risiko einzudämmen. Die Passagiere müssen einen Fragebogen ausfüllen und werden dabei auch gefragt, wo sie zuvor gewesen sind. Die Reedereien messen zudem täglich die Temperatur aller Menschen an Bord. Sobald der Verdacht einer Infektion besteht, wird die betroffene Person getestet und wenn nötig isoliert.
Auch Crew-Mitglieder sind schon an Corona erkrankt. Welche Konsequenzen haben die Reedereien daraus gezogen?
GrammerstorfJedes Crew-Mitglied muss vor Einsatzbeginn in seinem Heimatland in Quarantäne. Dann folgt ein Test. Nur wenn dieser negativ ist, darf der Mitarbeiter in den Hafen kommen, in dem sein Schiff liegt. Hier wird noch einmal getestet, und erst wenn der erneute Test wieder negativ ist, geht es an Bord. Der Mitarbeiter begibt sich dann auf dem Schiff eine Woche in Isolation, bevor er Kontakt zu anderen hat. Zudem werden die Crew-Mitglieder in regelmäßigen Abständen auch an Bord auf eine Infektion getestet.
Weshalb gilt die Testpflicht nur für Kreuzfahrtschiffe mit 250 und mehr Passagieren?
GrammerstorfDas hängt mit amerikanischen Vorschriften zusammen. Doch im Grunde ist das unerheblich, weil die eingesetzten Schiffe einfach größer sind. Ich gehe davon aus, dass auch Reedereien mit kleineren Schiffen die Tests für ihre Passagiere und Crew-Mitglieder zur Pflicht machen. Es geht schließlich nicht darum, Schlupflöcher zu finden, sondern darum, alle Menschen an Bord zu schützen.
Alle sind getestet – heißt das, es gilt an Bord keine Maskenpflicht?
GrammerstorfDoch, denn wir wollen auf Nummer sicher gehen. Nur in der Kabine gibt es keine Maskenpflicht. Und auch auf den Außendecks nicht - es sei denn, der Mindestabstand von 1,5 Meter kann nicht eingehalten werden. In den Restaurants und Bars müssen die Passagiere Mund und Nase bedecken, bis sie an ihrem Tisch sind. Noch mal strenger sind die Regeln für die Crew. Die Mitarbeiter tragen immer eine Maske, nur in ihrer eigenen Kabine nicht.
Die Reedereien haben eine Zeit lang auf Landausflüge verzichtet. Nun bieten sie wieder welche an. Wie laufen diese ab?
GrammerstorfWir betrachten Kreuzfahrten derzeit als in sich geschlossene Systeme, zu denen auch die Landausflüge gehören. Die Passagiere gehen als Gruppe an Land und verlassen während ihres Aufenthaltes dort die Gruppe nicht. Es gibt keinen Kontakt zur Bevölkerung. Es hat leider schon Fälle gegeben, in denen sich Passagiere von der Gruppe entfernt haben und allein losgezogen sind. Sie wurden nicht mehr auf das Schiff gelassen, um alle anderen Passagiere zu schützen.
Wie reagieren Kreuzfahrt-Urlauber bislang auf die Regeln?
GrammerstorfDer Grad der Disziplin ist bemerkenswert hoch. Die Passagiere halten sich an die Regeln. Sie betrachten diese nicht als lästig, sondern empfinden sie als Schutz. Sicher gibt es Kunden, die sich damit nicht anfreunden können. Sie nehmen derzeit Abstand von einer Kreuzfahrt. Trotzdem sind die Vorausbuchungen für 2021 und 2022 erfreulich hoch.
Das Kreuzfahrt-Unternehmen Costa, zu dem die deutsche Reederei Aida gehört, hat bereits Preiserhöhungen angekündigt. Wie stark werden die Preise Ihrer Einschätzung nach steigen?
GrammerstorfDie Preispolitik ist Sache jeder einzelnen Reederei. Die Verluste, die die Reedereien derzeit machen, sind erheblich. Jedes Unternehmen muss einen eigenen Weg finden, wie es damit umgeht.
Auf kleinen Schiffen kann man sich nur schwer aus dem Weg gehen. Doch auch die Anbieter von Ozeanriesen stehen vor einem Dilemma: Die großen Schiffe rechnen sich nicht, wenn sie nur zu 60 Prozent belegt sein dürfen. Welche Konsequenzen hat das für die Zukunft?
GrammerstorfDer Vorteil der Kreuzfahrt ist ihre Vielfalt. Es gibt viele unterschiedliche Schiffe und Reisen, alle haben ihre Anhänger. Es sieht momentan nicht danach aus, dass sich das durch die Corona-Pandemie verändern wird. Die jetzige Situation wird schließlich kein Dauerzustand sein.
Wie wird Corona die Kreuzfahrt längerfristig verändern?
GrammerstorfDie Kreuzfahrt wird nach der Pandemie an die Zeit vor Corona anknüpfen. Sicher wird sich das eine oder andere verändern – doch das war schon immer so. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Reedereien den erhöhten Hygienestandard beibehalten. Die zusätzlichen Desinfektionsspender werden vermutlich nicht abgebaut. Und die Passagiere werden sie vielleicht häufiger nutzen als vor der Corona-Pandemie. Bei den Westeuropäern war das regelmäßige Desinfizieren der Hände an Bord nicht so populär wie bei anderen Nationen - warum auch immer.
Nur wenige Kreuzfahrtschiffe sind in den vergangenen Monaten in See gestochen. Wie lange dauert es, bis die Reedereien wieder Reisen anbieten können?
GrammerstorfDie Schiffe sind derzeit mit kleineren Besatzungen zwar fahrbereit, können derzeit aber noch keine Gäste empfangen. Sie müssen erst wieder in den Betriebszustand versetzt werden, und das dauert bei einem großen Schiff ein paar Wochen. Der Betrieb wird sukzessive anlaufen.