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60 Jahre Élysée-Vertrag

Leben an der Grenze zu Frankreich: „Wir spüren seit Jahren ein Desinteresse“

Die deutsch-französische Freundschaft feiert 60. Geburtstag. Doch Konflikte zwischen den Nachbarn mehren sich. Der Historiker Jean-Samuel Marx hat dafür Erklärungen - und wirbt für eine Stärkung der Beziehungen.

Personen mit den Flaggen Deutschlands, Frankreichs und der EU stehen auf einer Brücke. |
Zusammenhalt: Mitglieder pro-europäischer Verbände auf der Brücke zwischen Straßburg und Kehl. Foto: Jean-Francois Badias

Seit 60 Jahren sind Deutschland und Frankreich in Freundschaft verbunden. Auch wenn die Tür zwischen ihnen manchmal klemmt, sie war nie verschlossen. Doch es wächst eine neue Generation heran, weshalb die Freundschaft durch neue Kooperationen neu belebt und gestärkt werden sollte. So die Ansicht des jungen Historikers Jean-Samuel Marx, die er in seinem Vortrag an der Pamina-Volkshochschule vertrat.

Jean-Samuel Marx ging auf die lange Geschichte dieser Freundschaft ein, die immer wieder von Konflikten geprägt war, schon allein aufgrund zahlreicher Unterschiede in der Ansicht über die Friedenspolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik, Energiepolitik und die institutionelle Ausrichtung der Europäischen Union.

„In Deutschland haben wir die Bundesländer, in Frankreich die Autorité francaise, die von Paris aus gesteuert wird“, so Marx. Als Beispiel nannte er die Energiepolitik, die Ablehnung der Atomkraft in Deutschland. In Frankreich steht die Nuklearenergie bei der Stromerzeugung immer noch an erster Stelle, in Deutschland nach vielen Debatten an zwölfter Stelle. „Ursache all der Konflikte und der abnehmenden Kompromissbereitschaft zwischen Deutschland und Frankreich sind die Unterschiede in der Kultur, der Mentalität, der Identität und im nationalen Selbstverständnis“, verdeutlichte der Historiker die vorhandenen Hürden.

60 Jahre Élysée-Vertrag: Die Bilanz ist nicht negativ

Mann, Bildschirm
Der junge und bilinguale Historiker Jean-Samuel Marx warb in seinem Vortrag an der Pamina VHS für mehr Erwerb der Sprache des Nachbarn Foto: Anne-Rose Gangl

Doch ist die Bilanz nach 60 Jahren wirklich so negativ? „Nein, das ist sie nicht“, meinte Jean-Samuel Marx. Er selbst ist das beste Beispiel hierfür. Er kam 1988 im Elsass auf die Welt, studierte nach seinem bilingualen Abitur in Straßburg deutsche Geschichte und Literatur, verbrachte ein Studienjahr im Rahmen des Erasmus-Programms (Studenten-Austauschprogramm der EU) an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg.

Heute liebt er sein Geburtsland Frankreich, aber auch sein neues Heimatland Deutschland. Er lebt in Heidelberg, ist Lehrbeauftragter an der Uni Heidelberg und Fachbereichsleiter an der Volkshochschule Karlsruhe-Land.

Gelegenheiten gibt es genug

Aus der deutsch-französischen Freundschaft seien vielfältige zivilgesellschaftliche Kooperationen und Kontakte entstanden. „Die Liste ist lang, es fehlt nicht an Gelegenheiten, den anderen kennenzulernen, doch wir bemerken seit Jahren ein Desinteresse“, sagte Marx.

Nach einer Umfrage schätzen die Deutschen an den Franzosen am meisten ihre genießerische, individualistische und kreative Art. Die Franzosen schätzen an den Deutschen ihre Strenge, ihre Disziplin und ihren Arbeitssinn. Doch 37 Prozent aller Franzosen waren noch nie in Deutschland, 27 Prozent aller Deutschen noch nie in Frankreich.

Um die deutsch-französische Kooperation vertiefen und eine schleichende Entfremdung verhindern zu können, sei es wichtig, das Partnerland, seine Funktionsweise, seine Kultur, seine Geschichte und insbesondere seine Sprache zu kennen, erklärt Marx.

„Wir sollten das andere Land nicht romantisieren, sondern Tatsachen aufzeigen und für die neue Generation, die sich zunehmend als Weltbürger versteht, Kommunikationskanäle der deutsch-französischen Freundschaft schaffen und für die Förderung des Spracherwerbs werben“, so Jean-Samuel Marx.

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