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Die Welt lesen

Straßburg will alle Quartiere bei Weltbuchhauptstadt einbeziehen

Die Stadt Straßburg ist designierte Weltbuchhauptstadt der Unesco 2024 und hat.ambitionierte Pläne.

Das Gutenberg-Denkmal (siehe Foto im Anhang) steht auf dem gleichnamigen Platz in Straßburg.
Das Gutenberg-Denkmal (siehe Foto im Anhang) steht auf dem gleichnamigen Platz in Straßburg. Foto: Bärbel Nückles

Der Bücherfunke. An diesem Ort findet man ihn, den Glauben an die Kraft des Buchs. „Ich nenne sie Kelya und Gino, zwei Geschwister, zwölf und zehn Jahre alt“, beginnt Bénédicte Junger zu erzählen. Beide seien begeisterte Lesende. „Sie fahren nicht in Ferien“, spinnt Junger, 42, Bibliothekarin, den Faden weiter.

„Aber sie haben begriffen, dass unsere Mediathek mit ihren Büchern und anderen Angeboten ein Ort ist, der für sie gemacht ist.“ Kinder wie Kelya und Gino würden sich dank der Bücher anerkannt fühlen, sagt die stellvertretende Leiterin der Mediathek im Straßburger Brennpunktviertel Neuhof. Wenn sie deren Angebot denn erreicht.

20.000 Menschen leben in Neuhof, so viele wie in einer Kleinstadt. Von ihnen sind 1.600 in der Mediathek eingeschrieben. Junger sagt, von außen nähme man meist nur die soziale Schieflage im Viertel wahr.

Wir versuchen, Brücken zu bauen.
Bénédicte Junger, Bibliothekarin

Junger, 42, hat in ihrer Laufbahn in den Straßburger Mediatheken sehr unterschiedliche Viertel kennengelernt und gerade in Neuhof, wo es keine Buchhandlung, nur eine Buchabteilung im Supermarkt gibt, hat sie mehr als anderswo begriffen, was sie als den Kern ihres Berufes versteht: „Wir versuchen, Brücken zu bauen, und wenn es gut läuft, sind wir der Funke, der einem Leben eine entscheidende Wendung geben kann.“

Dieser Funke soll noch auf viele mehr überspringen. Das wünscht sich die Stadt Straßburg, die, wie die Unesco unlängst öffentlich gemacht hat, im Jahr 2024 den Titel Welthauptstadt des Buches tragen wird. Als „Welthauptstadt des Buches“ zeichnet die Unesco seit 2001 Städte aus, die in besonderem Maße Bücher und das Lesen fördern.

Autorenfestival „Bibliothèques idéales“ im September

Offizieller Start ist eigentlich jeweils der 23. April, der Unesco-Welttag des Buches. Straßburg mit seinen 40 Verlagen, 25 Buchhandlungen und Dutzenden Mediatheken und Bibliotheken, beginnt sein Programm allerdings schon im September mit dem renommierten Autorenfestival „Bibliothèques idéales“.

Mit der Titelvergabe will die Unesco ausdrücklich auch einen Beitrag zur Förderung der Toleranz leisten. In Straßburg sieht man sich mit der bedeutenden Rolle der Stadt in Zeiten des Humanismus und der Reformation bestens aufgestellt. Johannes Gutenbergs bahnbrechende Erfindung ist zwar erst für die Zeit verbrieft, als dieser nach einem zehnjährigen Straßburger Intermezzo (1434-44) wieder in seine Heimatstadt Mainz zurückgekehrt war.

„Entscheidende Entwicklungsschritte auf dem Weg zum Buchdruck dürften jedoch im Geheimen schon in Straßburg stattgefunden haben“, versichert der Historiker Georges Bischoff.

Geschichte und Tradition, bourgeoise Lesefestivals: Das allein kann es nicht sein. Anne-Marie Bock, Projektleiterin bei der Stadt Straßburg für das Gesamtprogramm Weltbuchhauptstadt, drückt sich unmissverständlich aus: „Wir werden am Ende nur dann sagen können, dass wir der Herausforderung gerecht geworden sind, wenn alle Quartiere der Stadt Weltbuchhauptstadt sind und wenn wir unsere Bevölkerung in ihrer ganzen Breite angesprochen haben.“

Aktionsplan für die Straßburger Bevölkerung

Straßburg, sagt Bock, gehöre zu Frankreichs Städten mit der größten Ungleichheit. Entsprechend weit klaffe der Zugang zu Bildung und Kultur auseinander.

„Aus diesem Grund bündelt unsere Bewerbung sämtliche verfügbaren Ressourcen“, sagt Anne-Marie Bock. Nicht nur die klassischen Buchberufe wie bei Bénédicte Junger, die sich bei der Programmgestaltung und deren Umsetzung engagiert, sondern auch Sozialarbeiter, die Stadtteilzentren und Pädagogen sämtlicher schulischer Ebenen bindet das Projekt ein. Die Weltbuchhauptstadt Straßburg versteht sich als ein Aktionsplan für die Straßburger Bevölkerung, nicht einfach als ein riesiges Lese- und Autorenfestival.

Thematisch steht das Programm für einen breiten gesellschaftlichen Ansatz, für politische Debatten, zu emanzipatorischen und ökologischen Fragen. Formal sind neben den klassischerweise im Buchbereich anzusiedelnden Formaten wie Lesungen, Theater und Schreibateliers auch partizipative Happenings oder Einzelinitiativen in Hausgemeinschaften geplant.

Derzeit, berichtet Anne-Marie Bock, 59, entsteht eine Kartografie der institutionalisierten, aber auch der informellen Orte des Lesens. Das können Flüchtlingsunterkünfte sein, sagt Bock, wie Bars und Cafés, die „Bookdatings“ initiieren. Auch Partnerschaften mit den Olympischen Spielen 2024 würden bereits angebahnt.

Stadt Straßburg stellt 4,5 Millionen Euro für das Programm bereit

„Wir wollen den Alltag durchdringen, dort wo zu viele zu wenig Zugang zum Buch haben, um auf Dauer etwas zum Besseren zu bewirken“, sagt Bock. 4,5 Millionen Euro hat die Stadt für das Programm bereitgestellt. Oberbürgermeisterin Jeanne Barseghian (Grüne) machte früh deutlich, dass diese investiert und die Pläne ohne Abstriche umgesetzt würden, selbst wenn die Unesco Straßburg nicht zur Siegerin erkoren hätte.

„Lire le monde“, die Welt lesen, lautet das Motto, das sich die designierte Weltbuchhauptstadt auf die Fahnen geschrieben hat. Bénédicte Junger ist von diesem Versprechen überzeugt. Wie sie und ihre Kolleginnen und Kollegen in den Mediatheken den Sommer gestalten, gibt einen Vorgeschmack auf das, was das Unesco-Projekt vorantreiben soll.

In der Ferienzeit öffnen sie nur an den Vormittagen für den regulären Betrieb. Nachmittags, sagt Junger, ziehen sie in einen kleinen Park um oder in ein Freibad im Viertel, bauen sich dort mit vielen Büchern auf und verleihen auch Gesellschaftsspiele.

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