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Bildgewaltige Künstlerin und Feministin

Die Mannheimer Kunsthalle widmet der Zeichnerin Hanna Nagel eine Ausstellung

Als die Lage noch viel schiefer war: Hanna Nagel gehört zu den ersten Künstlerinnen, die an der Akademie studieren durften. In ihren Zeichnungen geht es richtig zur Sache: Verhandelt werden Verteilung der Arbeit, Doppelbelastung, Konkurrenz. Auch Gewalt wird gezeigt. Und Kritik am Abtreibungsverbot.

Zeichnung von Hanna Nagel
Wenn Bilder Bände sprechen: In „Mühevolle Ehe“ (1931) zeigt sich Hanna Nagel als Frau, die den Karren zieht, auf den sich ihr Mann nur lässig lehnt. Foto: Kunsthalle Mannheim

Androgyne, engagierte Frauen mit Bubikopf, Hornbrille und im Hosenanzug: Auf ihren frühen Zeichnungen schildert die Künstlerin Hanna Nagel (1907 bis 1975) mit der genauen Beobachtungsgabe des Verismus und ohne Zweifel auch karikierend das Studium an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe, das geprägt war von männlichen Machtstrukturen.

Schon hier zeigen sich das ungebremste Selbstbewusstsein und die Energie einer jungen Künstlerin, deren Interesse gesellschaftsrelevanten Fragen galt.

Dieser „feministischen Pionierin“ (Kuratorin Inge Herold) wurde ein Kunstpreis gewidmet, der in Karlsruhe Künstlerinnen fördert, die über 40 Jahre alt sind. Der renommierte „Hanna-Nagel-Preis“ geht zurück auf fünf Karlsruher Präsidentinnen, die ihn 1998 ins Leben riefen.

Kunstpreis für Frauen geht auf Hanna Nagel zurück

Jetzt zeigt eine Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim 190 Arbeiten Hanna Nagels auf Papier – die meisten davon stammen aus der Privatsammlung der in Karlsruhe lebenden Tochter Irene Fischer-Nagel (82).

Diese Arbeiten wurden bisher kaum öffentlich gezeigt. Das mag dazu beigetragen haben, dass der Künstlerin bislang nicht die Aufmerksamkeit und Bedeutung zukam, die sie hätte haben sollen. Ihre erste Ausstellung hatte sie 1930 im Heidelberger Kunstverein, 1931 widmete der Direktor der Mannheimer Kunsthalle, Gustav Hartlaub, ihr eine Einzelausstellung.

Bilder über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die 1907 in Heidelberg geborene Tochter einer Lehrerin und eines Kaufmanns studiert zunächst bei Karl Hubbuch und Wilhelm Schnarrenberger in Karlsruhe. 1929 setzt sie mit ihrem späteren Mann Hans Fischer ihre Studien an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin fort.

Nagel beschäftigt sich in ihren Bildern nun intensiv mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Beziehung zwischen Mann und Frau sowie Rollenbildern.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehört der Raum, in dem dramatische, ja teils drastische „Szenen einer Ehe“ zu sehen sind. Hier geht es richtig zur Sache: Verhandelt werden Verteilung der Arbeit, Doppelbelastung, Konkurrenz.

Auch Gewalt wird gezeigt. Und dies in wahrhaft meisterlichen Zeichnungen, die oft ins Imaginäre gehen. In „Die Geburt“ (1931) liegt sie selbst bandagiert auf einem Tisch, ihr Mann entnimmt ihr das Kind, ist sie tot? Man weiß es nicht. In einem anderen Bild ist es ihr hilfloser Mann, dem Bandagen angelegt werden. Nagel nimmt nie eine eindeutige Perspektive ein. Die Täter- und Opferrollen wechseln, wie Herold betont.

Eiskalter Racheengel mit brutalen Fantasien

So sehr sie sich als Mutter darstellt, die noch im Tod schützend vor den Kindern steht, so wenig schmeichelhaft zeigt sie sich als eiskalter Racheengel mit brutalen Fantasien, der die Hände ihres Mannes an den Tisch nagelt.

Zum Schmunzeln bringt die Arbeit „Mühevolle Ehe“ (1931), in der sie einen schweren Karren zieht, beladen mit Kindern und Grafiken, die verkauft werden müssen. Ihr Mann dagegen lehnt sich lässig ans Gefährt und betätigt immerhin die Klingel. Und da gibt es noch die anderen Bilder: Liebe pur – sie lehnt sich an ihn, den verwegenen Harlekin.

Auch wenn Hanna Nagel und ihr Mann Hans Fischer auf diesen Bildern zu erkennen sind, sollten sie doch überindividuell gedeutet werden. Manche Arbeiten erinnern an George Grosz’ oder Otto Dix’ Bilder von Frauenmördern dieser Zeit, die die Gewalt an Frauen thematisieren.

Bilder zum Abtreibungsverbot

Das Abtreibungsverbot nach Paragraph 218 und seine Konsequenzen für Frauen werden in aller Deutlichkeit dargestellt, Dilemmata und fatale Abhängigkeiten von Ärzten sichtbar gemacht.

In ihren „Dunklen Blättern“ entwickelt sie einen eigenen Stil, der sich von ihrem frühsachlichen Werk abhebt. Die Arbeiten werden nun mit Pinsel und Feder in Tusche ausgeführt. Tod und Traum bilden Themen, die dem Werk neue Impulse geben. Sie greift auf Mythologisches zurück, sieht sich in der Rolle starker Frauengestalten wie Judith, Penthesilea oder Salome.

Obwohl die Künstlerin nach Kriegsende nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen kann, da sie nun mit Illustrationen und Gebrauchsgrafik ihren Lebensunterhalt verdient, gilt Hanna Nagel zu Recht als Wiederentdeckung, deren Themen – Machtmissbrauch, Geschlechterverhältnisse und Gewalt – noch heute aktuell sind.

Service

Bis 3. Juli 2022 in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4. Geöffnet dienstags, donnerstags bis sonntags und an den Feiertagen von 10 bis 18 Uhr, mittwochs 10 bis 20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 10 bis 22 Uhr.

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