Wenn es einen Theaterpreis für den treuesten Ensemble-Schauspieler gäbe, dann wäre Berth Wesselmann als Kandidat dafür wahrscheinlich konkurrenzlos. Seit sage und schreibe 40 Jahren ist der Darsteller am Theater Baden-Baden aktiv. Zur Einordnung: Als Wesselmann, der an diesem Dienstag seinen 70. Geburtstag feiern kann, sein Engagement an der Oos antrat, hieß der Bundeskanzler noch Helmut Schmidt.
Die deutsche Fußball-Nationalelf hatte gerade den zweiten EM-Titel gewonnen und die Olympischen Spiele in Moskau waren unter Boykott vieler westlicher Länder über die Bühne gegangen.
Und Wesselmann hatte schon bald einen ersten starken Auftritt, den er komplett im Liegen absolvierte: In dem britischen Drama „Ist das nicht mein Leben?“ spielte er einen Querschnittsgelähmten, der darum kämpft, sterben zu dürfen. Seine bislang letzte Premiere absolvierte er im Februar in dem Musical „Hochzeit mit Hindernissen“ als Broadway-Produzent.
„Riesengroße Freude“ über Freiluft-Angebote
Und begeistert sich dafür noch genauso wie ein Berufsanfänger, der gerade erst durchstartet: „Dieses Stück zu spielen, war für alle ein tolles Gefühl, weil man gemerkt hat, dass es sowohl uns als auch dem Publikum richtig Spaß macht“, sagt Wesselmann im BNN-Gespräch. Umso mehr bedauert er, dass die geplante Wiederaufnahme des gefeierten Stücks aufgrund der aktuellen Corona-Verordnungen auf 2021 verschoben ist.
Immerhin ist die schmerzhafte Zeit der Bühnenschließungen vorbei: Als „riesengroße Freude“ beschreibt Wesselmann das Gefühl, als mit Freiluft-Angeboten im Innenhof die Rückkehr zum Publikum erfolgte. Man merkt: Das Spielen ist für ihn kein Job, sondern ein Lebenselixier. Arbeitsbiografisch hätte er vor fünf Jahren in Ruhestand gehen können. Aber er sagt: „Solange die Gesundheit es erlaubt, möchte ich gern weitermachen.“
Das Publikum dürfte nichts dagegen haben. Denn Wesselmann verfügt nicht nur über eine beeindruckende natürliche Bühnenpräsenz, sondern fährt trotz der ungewöhnlich langen Zeit am gleichen Ort nicht in eingefahrenen Gleisen. „Ich bin sehr regisseursabhängig“, erklärt er. „Wenn mich jemand mit seinem Konzept überzeugt, dann hat er mich so sehr in der Hand, dass ich bereit bin, Tag und Nacht dafür zu arbeiten.“
Für eine gelungene Theaterproduktion greifen für ihn im Idealfall die Ästhetik der Inszenierung, der Inhalt eines Stückes und ein differenziertes Rollenspiel gleichwertig ineinander. Ein Beispiel wäre die Baden-Badener Inszenierung von Sarah Kanes Stück „Gier“ 2001, die aus einem oft als kryptische Wortmusik gedeuteten Text eine klare Missbrauchsgeschichte herausarbeitete.
„Dafür mussten wir uns richtig hart zusammenraufen, aber dann wurde die Aufführung ein überraschender Knüller“, erinnerte sich Wesselmann in einem Interview für eine Chronik der Baden-Württembergischen Theatertage.
Wesselmann probt für Erstaufführungen in Italien und der Schweiz
Auch bei diesem alle zwei Jahre stattfindenden Festival hält er einen Rekord: Zwischen 1981 und 2013 war er neun Mal als Ensemblemitglied des Theaters Baden-Baden mit von der Partie - unter anderem 1993 mit einem Stück, das er danach noch viele Jahre als Sommertheater-Aufführung präsentierte, nämlich „Love Letters“ von A. R. Gurney.
Diese Korrespondenz aus Liebesbriefen hat für Wesselmann „alles, was ein Theaterstück braucht, obwohl auf der Bühne nichts passiert. Man braucht keine Requisiten, man braucht kein Bühnenbild außer zwei Stühlen, und trotzdem werden zwei Leben aufgerollt mit allen Höhen und Tiefen.“
Zu den Höhen in Wesselmanns Leben soll, wenn alles nach Plan läuft, in der kommenden Saison eine namhafte Produktion außerhalb von Baden-Baden werden: Er ist mit dabei, wenn das neue Stück des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach mit dem Titel „Gott“ seine Erstaufführungen in Italien und der Schweiz erlebt. Hierfür probt er in den nächsten Monaten in einer Koproduktion der Theater Bozen und Bern, steht aber auch in „seinem“ Theater auf der Bühne, wenn am 6. November der musikalische Abend „Stadt Land Oos“ Premiere hat.