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Cannabis bei der Dalí-Ausstellung

Dreh- und Angelpunkt Karlsruhe: Kunsthistoriker Klaus Gallwitz wird 90

Indem er die Werke junger Künstler ins rechte Licht rückte, machte sich der Kunsthistoriker Klaus Gallwitz einen Namen. Karlsruhe und die Region haben seinem Wirken viel zu verdanken.

Ein Mann mit Brille, Anzug, weißes Hemd, steht vor einer Malerei, in der sich mehrere Kunstwerke zu spiegeln scheinen.
Mit Sinn für neue Kunst: Klaus Gallwitz, langjähriger Direktor der Kunsthalle Baden-Baden und des Frankfurter Städel, feiert am 14. September seinen 90. Geburtstag. Foto: Bénédicte Peyrat

Rückkehr zu den Wurzeln: Seinen 90. Geburtstag wird Klaus Gallwitz am Montag im sächsischen Pillnitz feiern. Dort wurde er am 14. September 1930 geboren. Für das Deutsche Reich markiert das Datum den Anfang vom Ende, für den kleinen Erdenbürger den Beginn eines bemerkenswerten Lebenswegs. An jenem Spätsommersonntag war Reichstagswahl und die NSDAP wurde zweitstärkste Kraft: Eine Splitterpartei war zu einer Macht geworden, die Deutschland sukzessive in die Katastrophe führen würde.

Der Säugling aber, der an diesem Tag das Licht der untergehenden Weimarer Republik erblickte, war vom Glück begünstigt. Er sollte einer der einflussreichsten Kunsthistoriker der jüngeren deutschen Geschichte werden.

Schnell ein guter Name als Galerist

Karlsruhe erwies sich als Dreh- und Angelpunkt seiner Karriere. 1957 kam der frisch promovierte Kunsthistoriker mit seiner Ehefrau, der Biologin Esther Gallwitz (1919 bis 1999), in die ehemalige badische Residenzstadt und wurde umgehend aktiv. Im vierten Stock eines Gebäudes am Rondellplatz gründete er die Galerie Gallwitz und stellte Arbeiten junger Künstler aus: Horst Antes, Hans-Martin Erhard, Heinz Schanz.

„Unten war das Schuhhaus Gräber, dann gab es eine Harmonika-Schule, und der Kantor der jüdischen Gemeinde wohnte auch in dem Haus“, berichtet Gallwitz: „Auf der Terrasse feierten er und seine Familie das Laubhüttenfest.“

Damals ebenfalls mit dabei: Helgard Rottloff. Sie war gerade aus Hildesheim nach Karlsruhe gekommen und hatte bei HAP Grieshaber an der Kunstakademie zu studieren begonnen. Ob sie sich noch an die Debütausstellung in den Räumen am Karlsruher Rondellplatz erinnert? „Klar! Da stand ein Kinderwagen in der Galerie“ – am 1. Oktober 1957 war Baptist, der Sohn des Ehepaars Gallwitz, auf die Welt gekommen.

Manchmal, wenn sie an dem Haus vorbeikomme, schaue sie noch hoch zu den Fenstern, sagt Helgard Rottloff, heute Müller-Jensen, die seit 1961 selbst eine Galerie betreibt.

Als Galerist machte sich Gallwitz einen derart guten Namen, dass ihm schon bald die Leitung des Badischen Kunstvereins angetragen wurde. Unter der Ägide des neuen Geschäftsführers wurde der Lichthof realisiert; noch bevor dort das Dach aufgesetzt war, zeigte er die „Drei Bilder im Raum“, gigantische Malerei-Segel, mit denen Ernst Wilhelm Nay 1964 auf der documenta III für Furore gesorgt hatte.

Gallwitz nutzte die Gunst der Stunde

Die Zeit des Kunstbooms war noch nicht angebrochen, Museen für Gegenwartskunst galten als Rarität. Für die Kunstvereine eine Chance, und Gallwitz nutzte sie. Er richtete Einzelausstellungen von Künstlern wie Max Beckmann, Lovis Corinth und Oskar Kokoschka ein oder stellte Grafiken von Pablo Picasso Plastiken von Henri Laurens gegenüber. Gallwitz: „Wir hatten 3.000 Mitglieder und volles Leben im Verein.“

Die Karlsruher Erfolge blieben nicht unbemerkt. 1967 wurde Gallwitz Direktor der Kunsthalle Baden-Baden. Bis 1974 leitete er das Haus an der Lichtentaler Allee – eine Glanzzeit. In mehrfacher Hinsicht schrieb der Kunsthistoriker seinerzeit Ausstellungsgeschichte. Mit der Reihe „14 x 14“ leistete er nicht nur Pionierarbeit, sondern legte auch ein außergewöhnliches Gespür für Künstler mit Zukunftspotenzial an den Tag.

Jeweils für 14 Tage wurde die Badener-Badener Kunsthalle zum offenen Atelier – für Maler und Konzeptkünstler, denen die große Karriere erst noch bevorstand. Georg Baselitz zählte zu ihnen, Gerhard Richter, Anselm Kiefer. Sie alle waren auf dem Sprung – so wie Markus Lüpertz, den man auf einem Foto kraftvoll und heiter durch die Räumlichkeiten hüpfen sieht.

Die ersten Cannabis-Schwaden in Baden-Baden

Daneben gelangen Gallwitz Ausstellungen mit enormem Publikumszuspruch. Spitzenreiter war eine reich bestückte Präsentation mit Werken von Salvador Dalí. Die Malereien, Plastiken und Objekte des spanischen Exzentrikers und Surrealisten lockten 1971 die seinerzeit (und eigentlich auch heute noch) sensationelle Zahl von 160.000 Besucherinnen und Besuchern an die Oos.

Das Gros von ihnen war jünger als 25. Gallwitz hatte wieder einmal einen Riecher für den Zeitgeist bewiesen. Noch pulsierte das psychedelisch animierte Flower-Power-Lebensgefühl durch die Gesellschaft. Da passte ein Künstler wie Dalí, der von sich sagte: „Ich nehme keine Drogen. Ich bin die Droge.“

Manchen Kunsthallen-Besuchern genügte der Dalí-Stoff offenbar nicht. Sie setzten auf inhalierbare Zusatzstoffe. „Die Haschisch-Gerüche, die da durch die Lichtentaler Allee wehten, kannte man in Baden-Baden noch nicht“, gibt Gallwitz im BNN-Gespräch zu verstehen.

Auf Baden-Baden folgt Frankfurt. 1974 wird Gallwitz Direktor des Frankfurter Städels. Auch hier geht er die neue Aufgabe mit Enthusiasmus an. Rückblickend erwähnt er nicht ohne Stolz, dass ihm unter anderem 1982 die spektakuläre Erwerbung der „Einschiffung nach Kythera“ gelang, einem der Hauptwerke des französischen Malers Antoine Watteau.

Gallwitz schaut nach vorne

Auch der Ankauf des Bildes „Studie für die Kinderschwester in dem Film ‚Panzerkreuzer Potemkin‘“ von Francis Bacon geht auf seine Initiative zurück, bildete doch die moderne und zeitgenössische Kunst immer einen Schwerpunkt seines Interesses. Wobei Gallwitz nicht nur Unterstützung erfuhr: „Kaum im Amt, musste er zusehen, wie die Stadt fast alles tat, um die Gegenwartskunst am Städel vorbeizulenken“, schrieb „Die Zeit“ Im September 1992.

Zwei Jahre später war Gallwitz wieder Privatmann und zog zurück nach Karlsruhe. Er konnte zurückblicken auf internationale Aktivitäten; insbesondere bei der Biennale in Venedig setzte er 1976, 1978 und 1980 als Kommissar des Deutschen Pavillons viel beachtete und diskutierte Akzente. Zugleich warteten nach dem Abschied vom Städel neue Aufgaben auf ihn. Er wurde Gründungsdirektor des Museums Frieder Burda in Baden-Baden (2004), Gründungsdirektor des Arp Museums Bahnhof Rolandseck (2006) Kurator der Sammlung Rau (2009).

Zuvor hatte er sieben Jahre lang das Künstlerhaus Balmoral geleitet. Heute sagt er: „Da schloss sich für mich ein Kreis – ich war wieder bei den Jungen.“ Was nicht heißt, dass er die Älteren vergessen würde. Zu den Gästen der Geburtstagsfeier wird auch der sächsische Kunsthistoriker Hans Joachim Neidhardt gehören. Der ist 95. Für Gallwitz, seit 2010 mit der Künstlerin Bénédicte Peyrat verheiratet, ein gutes Signal: „Da kann man noch gut nach vorne schauen.“

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