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Architektur-Professor

Forschung über „Rechte Räume“: Kann Fachwerk faschistisch sein?

Architektur entwickelt sich in Deutschland zum Träger rechter Ideologien. In seinem neuen Buch „Rechte Räume“ erläutert der Architekturtheoretiker Stephan Trüby die Ursachen.

Neue Frankfurter Altstadt
Touristenmagnet: Die neue Frankfurter Altstadt, die in den Jahren 2012 bis 2018 als komplette Rekonstruktion aus dem Nichts neu geschaffen wurde, lockt zahlreiche Besucher. Foto: Ulrich Coenen

Es war ein Erdbeben. Die Reaktionen auf den Beitrag „Wir haben das Haus am rechten Fleck“ von Stephan Trüby, Professor für Architekturtheorie an der Universität Stuttgart, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 8. April 2018, sind in der bundesdeutschen Geschichte einmalig.

Nach der im Mai 2019 unter der Regie von Trüby erschienenen Ausgabe „Rechte Räume“ der Fachzeitschrift ARCH+ erreichten sie einen weiteren Höhepunkt. Jetzt legt Trüby, der bis 2009 an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe lehrte, mit seinem neuen Buch „Rechte Räume - Essays und Gespräche“ nach.

Trüby hat in der FAS die Neue Frankfurter Altstadt massiv kritisiert. Das rund 7.000 Quadratmeter große Quartier wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und ab 2012 in historischen Formen aus dem Nichts neu aufgebaut. Das umstrittene Viertel, das von den einen gefeiert und von anderen als Disneyland verspottet wird, wurde 2018 der Öffentlichkeit übergeben.

Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten

Trüby weist auf rechtsradikale Initiatoren dieser Rekonstruktion hin, nach dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und der gerade begonnenen Rekonstruktion der Garnisonskirche in Potsdam das dritte große Projekt dieser Art in der Bundesrepublik. „Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten“, urteilt Trüby.

Die öffentliche Diskussion beschränkt sich seitdem nicht auf journalistische Beiträge und Leserbriefe, sondern umfasst erstmals in der bundesdeutschen Architekturdebatte auch das Internet. Trüby wurde in den sozialen Netzwerken für viele zum Feindbild.

Dabei ist einiges ein Missverständnis. Trüby hat in Karlsruhe über ein architekturhistorisches Thema (den Korridor) promoviert und ist selbstverständlich für den Erhalt historischer Bauwerke. Er hat sich auch für den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden aus den Trümmern ausgesprochen. Aber die wurde im Gegensatz zum Berliner Schloss und der Frankfurter Altstadt eben nicht aus dem Nichts rekonstruiert. Das ist der entscheidende Unterschied.

Drei Dutzend Einzelbeiträge beschäftigen sich in der Arch+-Ausgabe neben Rekonstruktionen mit historischen Bauten und ihrem zum Teil unstrittigen faschistischen Hintergrund, unter anderem dem gigantischen Franco-Mausoleum Valle de los Caídos bei Madrid.

Obwohl die Bandbreite des Heftes gewaltig ist, fokussierten sich die Reaktionen auf den Aufsatz „Rechts in der Mitte“ von Verena Hartbaum, der sich kritisch mit Hans Kollhoffs Walter-Benjamin-Platz in Berlin auseinandersetzt. Nun hat die von Hartbaum kritisierte neoklassizistische Architektur Kollhoffs neben anderen zeitgenössischen Architekturströmungen ihre Berechtigung und darf nicht als neo-faschistisch missverstanden werden.

Das antisemitische Pound-Zitat im Pflasterbelag „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein“, das das NS-Opfer Walter Benjamin geradezu verhöhnt, ist aber ein Skandal. „Usura” ist das italienische Wort für „Wucher” und bei Pound ein Synonym für angeblich „zinstreibendes Judentum”. Die Tafel mit dem Zitat wurde im Januar 2020 entfernt.

Die Wellen werden wieder hoch schlagen

Auch nach dem gerade erschienenen neuen Buch Trübys werden die Wellen wieder hochschlagen. Nicht nur rechte Publizisten, auch wichtige Repräsentanten des deutschen Feuilletons werden sich erneut ereifern, auch wenn Trüby gebetsmühlenartig wiederholt, dass er Fachwerk und Altstädte liebt. Er wird wieder einmal die sinnfreie Frage lesen müssen, ob Fachwerk faschistisch ist. Das Buch enthält Essays und Gespräche, die teilweise neu sind, teilweise aber bereits seit 2016 in anderen Medien publiziert und von Trüby jetzt überarbeitet wurden.

Der Autor legt keine Architekturgeschichte der Rechten Räume vor, er setzt einige Schlaglichter, in denen er beispielhaft die Kontinuität rechten Gedankenguts vom 19. Jahrhunderts über die NS-Zeit bis zur Gegenwart beschreibt. Diese Spots ermöglichen es dem Autor leider nicht, die zum Teil bizarren biografischen Verflechtungen von Architekten der traditionellen und der klassischen Moderne in den Faschismus (und Stalinismus) und deren Nachleben nach 1945 umfassend darzustellen. Trüby zeigt aber, wie Architektur für diese Zwecke instrumentalisiert wurde und immer noch wird.

Griff in die Mottenkiste der Architekturgeschichte

Architektur ist im Idealfall nicht nur schön, sie ist gleichzeitig immer auch ein Bedeutungsträger im politischen oder gesellschaftlichen Sinne. Trüby ist zu widersprechen, wenn er sagt, es gebe keine rechte Architektur, sondern nur Rechte Räume. Die pompöse Staatsarchitektur Hitlers (oder Stalins) funktioniert nur, weil Architekten wie Albert Speer hemmungslos in die Mottenkiste der Architekturgeschichte zurückgegriffen und eine alte Formensprache für die imperialen Ansprüche der Diktatoren recycelt haben.

Trüby zeigt, dass die Gefahr für die Gesellschaft weniger von offensichtlich faschistischen Bauten wie dem Nürnberger Reichsparteitaggelände ausgeht. Gefährlicher sind die von ihm beschriebenen historischen Herrenhäuser, die von Neonazis erworben und für ihre Zwecke als Rechte Räume umgedeutet werden. Gleiches gilt für die Rekonstruktionen längst untergegangener Gebäude und Stadtviertel. Rechtsradikale mischen sich gerne unter die Bürgerinitiativen, die sich gutgläubig für solche Projekte engagieren.

Mag Trüby in seinem neuen Buch den einen oder anderen Aspekt überinterpretieren, so ist seine Publikation doch eine berechtigte Warnung an die demokratische Gesellschaft vor den subtilen Methoden einer stärker werdenden Rechten.

Lesetipp

Stephan Trüby: Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche (erschienen in der Reihe Bauwelt Fundamente 169), Birkhäuser Verlag, Taschenbuch, 288 Seiten, 29,95 Euro.

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