Ein Morgenhimmel ohne Kondensstreifen. Ein leeres Grundschul-Klassenzimmer an einem Freitagvormittag. Ein leerer Flughafen-Terminal an einem Samstagnachmittag. Ein leerer Theatersaal am Samstagabend. Eine leere Kirche am Sonntagvormittag.
Ein abgesperrter Spielplatz am Sonntagnachmittag. Das sind sechs von insgesamt 53 Motiven, die der Karlsruher Fotograf Gustavo Alàbiso in seiner Fotoserie „Ihr fehlt mir!“ über die Fächerstadt während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr festgehalten hat.
Lokale Bilder eines globalen Stillstands
„Mein erster Impuls war: Das ist eine einmalige Geschichte. Fünf Wochen lang steht die ganze Welt still. Da wollte ich dokumentieren, wie sich das lokal auswirkt.“ So beschreibt Alàbiso die Entstehung dieses Projekts, das ursprünglich als Serie von Diptychen geplant war: „Der Plan dabei war, an markanten Orten und Räumen den ungewöhnlichen Leerstand zu dokumentieren und dann im Herbst die gleichen Orte zu den gleichen Tageszeiten zu fotografieren, um sie wieder im Normalzustand zu zeigen. Anfangs gab es ja noch die Hoffnung, dass sich die Pandemie in zwei bis drei Monaten eindämmen lässt.“
Als sich dies nicht umsetzen ließ, galt es, mehrfach umzudisponieren. Denn auch eine Ausstellung der Leerstand-Bilder aus dem Frühjahr wurde durch den „Lockdown Light“ ausgebremst. Daher stellt der Fotograf seine Bilder nun in Form einer Broschüre und einer Postkartenserie vor, die „on demand“ gedruckt werden und direkt bei ihm bestellt werden können.
„Es gehört wahrscheinlich zur DNA von Freelancern, dass sie in Krisensituationen immer einen Ausweg suchen“, lacht der 58-Jährige. Allerdings sei er im Frühjahr trotz langer Berufserfahrung als Selbstständiger an die innere Belastungsgrenze gekommen. „Man hat gemerkt: Hier verändert sich gerade etwas Grundlegendes. Wenn plötzlich das ganze Kulturleben nicht mehr da ist und all die Möglichkeiten wegfallen, die ein Standort wie Karlsruhe einem sonst bietet, dann gerät man schon ins Grübeln, ob und wie es weitergehen kann.“
Wenn die Pandemie einmal überwunden ist, werden wir diese Zustände vergessen.Gustavo Alàbiso, Fotograf
Das Projekt sei zunächst eine Selbstbeschäftigung gewesen. Nun aber sieht er das Ergebnis auch als Zeitzeugnis: „Wenn die Pandemie einmal überwunden ist, werden wir diese Zustände vergessen“, so Alàbiso. Auch wenn er einräumt, dass sein eigener Blick durch die Pandemie verändert wurde: „Wenn man heute das Bild des Zuschauerraums im Großen Haus des Staatstheaters anschaut, kann man sich gar nicht vorstellen, wie dort über 1.000 Menschen in einem geschlossenen Raum stundenlang zusammensitzen.“
Sonne scheint auf leeres Stadion statt auf Derby
Da die geplanten zweiten Motive mit den wieder belebten Räumen nicht zustande kamen, wird die Ausnahmesituation nun über die Angabe von Datum und Uhrzeit der Aufnahme vermittelt. Mitunter steht auch eine kurze Erklärung dabei, beispielsweise wenn Alàbiso nicht nur einen Moment festgehalten hat, in dem eigentlich Normalbetrieb gewesen wäre, sondern ein besonderes Ereignis vorgesehen war.
So hat er das leere Wildparkstadion am 26. April um 13.57 Uhr fotografiert. Da hätten eigentlich die ersten 30 Minuten des Derbys KSC gegen VfB Stuttgart gespielt sein sollen. Der Sonnenschein, der eine einzelne Sitzlehne leuchtend hervorhebt, macht die Wirkung des Bildes noch wehmütiger.
Menschen tauchen in der Fotoserie auch auf – als Einzelporträts mit Mund-Nasen-Schutz. Und auf dem Bild, auf dem die meisten von ihnen versammelt sind, sieht man sie nicht: Sie sitzen in den dicht geparkten Autos und verfolgen am Abend des 25. April im Autokino auf dem Messplatz den Film „Lindenberg! Mach Dein Ding!“. Für Alàbiso war dieses einzige Kulturangebot in jenen Wochen „ein tolles Beispiel für ein menschliches Grundbedürfnis. Es saß zwar jeder in seinem Auto, aber die Leute haben sich so gefreut, zusammen etwas zu erleben, dass man gemerkt hat: Die Menschen brauchen einander.“