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Wagner muss warten

Keine Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth: Wie geht es jetzt weiter?

Ein Virus hat erreicht, was bisher nur zwei Weltkriege geschafft haben: die Bayreuther Festspiele zu stoppen. Und als wäre das nicht genug, spricht der kommissarische Leiter der Festspiele ein Sakrileg aus.

21 als Hausnummer im doppelten Sinn: Wo in Bayreuth Ottmar Hörls Wagner-Skulpturen derzeit Mundschutz tragen, hoffen alle auf einen Neustart der Festspiele im Jahr 2021.
21 als Hausnummer im doppelten Sinn: Wo in Bayreuth Ottmar Hörls Wagner-Skulpturen derzeit Mundschutz tragen, hoffen alle auf einen Neustart der Festspiele im Jahr 2021. Foto: Isabel Steppeler

Er ist klein und grün, springt quasi in den Mund und schmeckt ganz vorzüglich. Richard Wagner soll sich der Wortschöpfung wegen in das Gericht verliebt haben. Dass der „Wirsing-Frosch“ aber einmal ausgehungerten Wagner-Freunden als Trost für entfallene 16 Stunden „Ring des Nibelungen“ auf den Tisch kommt, dass hätte dem Komponisten dann wohl doch bitter aufgestoßen.

Ein Virus hat erreicht, was bisher nur zwei Weltkriege geschafft haben: die Bayreuther Festspiele zu stoppen. Der Ring dreht am Rad, könnte ein ironischer Slogan lauten. Jede Menge Urlauber mit Fahrrad bevölkern die Stadt anstelle eines Weltpublikums nebst Stars und Sternchen. Und als stünde rings um den so genannten Grünen Hügel nicht ohnehin schon alles Kopf, spricht der kommissarische Leiter der Festspiele just am Tag der eigentlichen Eröffnung auch noch ein Sakrileg aus. Zumindest aus Sicht hartgesottener Wagnerianer. Was ist da los in Bayreuth?

Zunächst einmal fehlt in der fränkischen Stadt am Tag des 25. Juli 2020 so ziemlich alles, was ihr seit der Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 13. August 1876 mit der Uraufführung von Richard Wagners „Rheingold“ über die Jahrzehnte Weltruhm erbracht hat: Kein roter Teppich liegt ausgerollt vor dem denkmalgeschützten Festspielhaus und wartet auf Angela Merkel. Keine Hubschrauber kreisen, keine Limousinen rollen den Grünen Hügel hinauf. Kein Englisch und Französisch mischen sich ins gemütlich fränkische Stimmengemurmel der Wirtshäuser.

Das Bühnenbild zum „Rheingold” wartet wie eingefroren auf der Bühne

Eigentlich hätte es am Samstag wieder losgehen sollen, unter anderem mit einer neuen Inszenierung von Wagners Ring-Zyklus in der Regie von Valentin Schwarz. Das Bühnenbild zum „Rheingold“ wartet wie eingefroren auf der Bühne. Kurz vor Beginn der szenischen Proben im April hat die Hügel-Chefin Katharina Wagner, Urenkelin des Komponisten, die Festspiele aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt.

Vereinzelte Spaziergänger schlendern über einen leeren Vorplatz, lassen sich fotografieren oder sitzen auf den Bänken. Da ist etwa Annerose Höfle aus Kaiserslautern, die mit ihrem Mann eine Tour durch Süddeutschland macht und sich Bayreuth eh‘ längst mal ansehen wollte. „Schade, dass keine Festspiele sind, das wär‘ schon interessant“, sagt die gebürtige Brettenerin.

Bitter ist es für Verica und Christopher von Greverode aus München, die in festspielwürdiger Robe wirken, als möchten sie nicht glauben, dass ihre zwei Karten für „Die Meistersinger von Nürnberg“ am Tag der Eröffnung wirklich wertlos sind.

Sie könnten sich einer Besucherführung durchs Haus anschließen. Aber das kommt für die beiden nicht infrage. „Es gibt so Gebäude, die ich lieber nur mit Einladung betrete“, sagt Christopher von Greverode. „Buckingham Palace, Bayreuther Festspielhaus…“.

Er kennt die Bühne sowieso längst: Sportredakteur Eberhard Spaeth aus Bayreuth ist immer als Statist dabei und ist am Tag der Nicht-Eröffnung im Kneipp-Becken des Grünen Hügels. Bis zu den Waden im Wasser steht er dort, wo sonst in den Pausen zwischen den Akten Labung für überhitzte Beine gesucht wird.

Und erzählt von seinem ersten Auftritt im „Ring“ von Jürgen Flimm (2000), dass er schon mit den Rheintöchtern im Pool planschen durfte in der „Rheingold“-Inszenierung (2013) von Frank Castorf und dass er eigentlich die Ehre hat, Beckmesser in den aktuellen „Meistersingern“ zu verprügeln. Doch auch das geht baden in diesem Jahr.

Geschäftsführer ist optimistisch für 2021

Im selben leeren Sonnenschein lässt sich Heinz-Dieter Sense auf einer Bank vor dem Festspielhaus nieder für ein Gespräch mit dieser Zeitung, die immer dabei ist bei den Richard-Wagner-Festspielen und sich nun fragt, wie das jemals wieder werden soll?

Dass knapp 2.000 Besucher mehrere Stunden am Stück dicht an dicht in dem schlecht gelüfteten Festspielhaus sitzen – undenkbar. Oder etwa doch? Sense, der von 2013 bis 2015 Geschäftsführer der Festspiele GmbH war und derzeit an der Seite von Holger von Berg die erkrankte Katharina Wagner vertritt, nimmt die Lage zwar ernst, ist aber grundoptimistisch.

„Ziele kann ich nur erreichen, wenn ich vorwärts blicke“, sagt der frühere Intendant der Deutschen Oper Berlin. „Wir müssen mit dieser Corona-Krise viel kurzfristiger denken, dürfen aber das lange Ziel dabei nicht aus den Augen verlieren.“ Immerhin komme man finanziell mit einem blauen Auge davon. Trotz der fehlenden Einnahmen in Höhe von 15 Millionen Euro könne man mit den staatlichen Zuschüssen in diesem Jahr eine ausgeglichene Bilanz erreichen und die Sänger dennoch unterstützen.

Nach Angaben von Sense erhalten sie 40 bis 60 Prozent und höchstens 2.500 Euro ihrer Gage pro Vorstellung als Ausfallzahlung. „Ich gehe davon aus, dass man nächstes Jahr alles soweit im Griff hat, dass die Festspiele wie eh und je stattfinden können. Aber natürlich macht man sich Gedanken, was passiert“, so der 81-jährige Geschäftsführer. Sicherheitshalber soll daher der Vorverkauf für 2021 nicht im September beginnen, sondern erst Ende des Jahres.

Heinz-Dieter Sense schlägt neues Auftragswerk im Festspielhaus vor

„Wenn wir aber feststellen, Chorgesang geht nicht mehr, dann geht ein Großteil der Kunst nicht mehr. Und dann haben wir ein gesellschaftliches Problem. Dann stirbt ein ganzer Berufszweig.“ Und mit ihm das Werk Richard Wagners, das durchtränkt ist von großen Chorpartien? Sense glaubt nicht an dieses Szenario. Dennoch findet er, die Zeit ist reif, Strukturen der Richard-Wagner-Stiftung aufzubrechen.

„Das Werk Wagners muss man in diesem Haus erhalten“, plädiert Sense. „Aber auch Richard Wagner war, wenn es notwendig war, bereit die Musik zu verkürzen. Wofür ich wiederum sofort kämpfen würde, ist, dass man hier mal eine Uraufführung für diesen speziellen Bayreuther Orchestergraben in Auftrag gibt.“

Ein abendfüllendes Werk eines anderen Komponisten? Auf dem Grünen Hügel hat es das noch nie gegeben. „Wenn aber eine das als Erbin vertreten kann, dann Katharina Wagner“, ist Sense überzeugt.

„PopUpWagner” als Ersatz

Doch erklingt nicht nur Zukunftsmusik an diesem Tag. Wo es nur geht, wird improvisiert, um Wagner trotzdem zu feiern. „Viele sind mit dem Herzen hier“, sagt Kirsti Neumüller von der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, die ihr Büro neben dem Festspielhaus geöffnet haben und zum „Sommer für die Freunde“ laden. An diesem Tag war der musikalische Hausherr der Festspiele, Christian Thielemann, zu Gast beim täglichen „PopUpWagner“ und sprach über die Tradition des Orchesters und der zeitlichen Abläufe bei einer Vorstellung.

Picknick und Sehnsucht zur „heiligen” Stunde

Zur „heiligen” Stunde schließlich – um 16 Uhr beginnen in Bayreuth fast alle der neun Wagner-Opern im Festspiel-Reigen – treffen sich einige zum Picknick auf dem Grünen Hügel. Blechbläser spielen Wagner-Fanfaren. Zudem kamen 400 Gäste zum schmerzlich vermissten Klang - und zwar ganz intim dort, wo Richard Wagner wohnte.

Das „Wahnfried Open-Air“ bot mit dem Bayerischen Rundfunk eine Live-Übertragung aus dem Haus „Wahnfried“ mit den Hügel-Stars Klaus-Florian Vogt (Tenor) und Camilla Nylund (Sopran) sowie 14 Musikern des Bayreuther Festspielorchesters und Jobst Schneiderat am Flügel unter der Leitung von Christian Thielemann.

Es erklangen Ausschnitte aus den „Meistersingern von Nürnberg“, das „Siegfried-Idyll“ und die „Wesendonck-Lieder“. Und auch das hat eine Aura, die ihresgleichen sucht, wenn Wagers so intime Musik über eine verbotene Liebe mit Hörnerklang und zärtelnden Streicherklängen das Herz schmelzen lässt.

Der „Wirsing-Frosch” wartet

Es muss nicht immer der Schweiß sein im Festspielhaus auf dem unbequemen Klappstuhl, der Wagner zu einem körperlichen Ereignis macht. Vielleicht treffen die Wesendonck-Lieder in diesen Tagen noch besser genau jenen Nerv, der zu seinen Musikdramen gehört: die Sehnsucht, das Streben nach etwas, das nicht von dieser Welt ist.

Und wer es doch lieber etwas Irdischer mag, geht einfach ein paar Schritte weiter zur „Lohmühle“. Dort bereitet Küchen-Chef Ralf Queißner ein „Candle-Light-Dinner in vier Akten“ nur mit Leibgerichten des Komponisten aus dem Buch „Zu Gast bei Wagner“ (von Daphne Wagner und Tilmann Spengler). Die „Wirsing-Frösche“ – sie warten.

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