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„Und Jetzt Du!“

Kunsthalle Bremen zeigt Quarantäne-Fotos

Berühmte Kunstwerke nachzustellen ist keine neue Idee. Doch während der Corona-Pandemie haben plötzlich weltweit Menschen Spaß daran, ihre Interpretationen im Internet zu zeigen. Für einige ist es gar mehr als nur Freizeitvergnügen.

Selvinaz Özdemir mit einem Foto ihrer Interpretation von „Junges Mädchen (Melancholie)“ von Théodore Chassériau.
Selvinaz Özdemir mit einem Foto ihrer Interpretation von „Junges Mädchen (Melancholie)“ von Théodore Chassériau. Foto: Sina Schuldt/dpa

Das Bett im Gästezimmer war passend. Der Flieder aus dem Garten auch. Nach einiger Zeit hatten die Architektin Diana Spanier und ihre neunjährige Tochter Maite alle Utensilien zusammen, um das Kunstwerk „Erwachendes Mädchen“ (um 1877/78) der Malerin Eva Gonzalès nachzustellen.

„Es hat etwas Stilles und Ruhiges“, sagt Spanier, als sie am Dienstag vor dem Foto ihrer Tochter steht, das im Südfoyer der Bremer Kunsthalle ausgestellt ist. Ihre weiß gekleidete Tochter liegt darauf im Bett und schaut entspannt in die Kamera. „Es war ein sehr schöner Moment“, erinnert sich die Mutter von drei Kindern. Bei der Aufnahme half auch Maites Bruder mit und hielt eine Decke, die im Original ein Vorhang ist.

In der Corona-Krise haben Menschen weltweit einen neuen Zugang zu Kunstwerken bekommen. Als viele Museen geschlossen waren und Tausende Frauen und Männer mit viel Zeit zuhause saßen, entwickelte sich der Trend, berühmte Kunstwerke nachzustellen und Fotos davon auf sozialen Medien zu veröffentlichen. Auch Museen griffen die Idee auf und motivierten Menschen zum Mitmachen. Die Bremer Kunsthalle zeigt nun 77 solcher Fotos in der Ausstellung „Und jetzt Du! Kunstwerke in Quarantäne nachgestellt“. „Das Besondere ist, welche unglaubliche Fantasie die Teilnehmer entwickelt haben“, sagt der Direktor der Kunsthalle Christoph Grunenberg.

Diana Spanier und ihre Tochter Maite sind mit sechs Fotos in der Ausstellung vertreten. „Wir haben den ganzen Katalog der Kunsthalle durchforstet und überlegt, was wir nachstellen können“, erzählt die 43-Jährige. „Wir haben das aus Kunstinteresse gemacht. Dieses Projekt hat unheimlich viel Spaß gemacht.“

Zu den Werken haben Mutter und Tochter nun einen besonderen Bezug. „Meine Tochter hat dadurch viele Bilder intensiver wahrgenommen“, erzählt Spanier. Die Auseinandersetzung mit Kunst sei für die Familie ein Ausgleich zu den Herausforderungen der Corona-Krise gewesen. „Uns war es wichtig, dass wir unseren Kindern etwas Positives mitgeben in dieser Zeit.“ Auch das Werk „Knabe und Mädchen“ (1918) von Dietz Edzard stellen beide nach.

Auch für die 25-jährige Selvinaz Özdemir aus Hannover war der Aufruf der Bremer Kunsthalle eine willkommene Abwechslung. „Ich konnte in der Zeit nicht arbeiten“, erzählt die Heilerziehungspflegerin, die an einer Schule beschäftigt ist. Als sie auf Instagram ein Foto sah, auf dem „Junges Mädchen (Melancholie)“ (um 1833-1835) von Théodore Chassériau nachgestellt war, habe sie gedacht: „Das kann ich bestimmt besser.“

Sie frisierte ihre Haare mit Gel, kaufte ein weißes Kleid, schminkte sich und ließ sich von ihrer Schwester mit eindrucksvollem Gesichtsausdruck fotografieren. „Nach zwei Stunden ist man melancholisch“, sagt sie. Dass ihr Werk nun in einer Ausstellung zu sehen ist, sei merkwürdig und schön zugleich. „Es hat sich definitiv gelohnt.“

Die Idee, berühmte Kunstwerke nachzustellen, gibt es schon lange. Dass plötzlich weltweit Menschen daran Spaß haben, ist auch ein Verdienst der Niederländerin Anneloes Officer. Auf ihrem Instagram-Account tussenkunstenquarantaine (deutsch: zwischen Kunst und Quarantäne) hat sie beeindruckende Fotos von nachgestellten Werken veröffentlicht – immer gepaart mit dem Original.

„Ich glaube, es ist so beliebt, weil wir alle zuhause sind und jede/r mitmachen kann: mit Haustieren, den Kindern und allem, was herumliegt“, sagt sie in einem Interview. „Wir kriegen mittlerweile Bilder aus Mexiko, Argentinien, Kanada, Iran.“ Inzwischen hätten rund 280 000 Menschen ihren Account abonniert.

Die Ausstellung in der Bremer Kunsthalle, die von diesem Mittwoch (8. Juli) bis zum 6. September zu sehen, zeigt Interpretationen von Kunst aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Nachgestellt wurden etwa Werke von Albrecht Dürer, Pablo Picasso, Caspar David Friedrich, Claude Monet, Paula Modersohn-Becker und Pipilotti Rist. Neben dem Bremer Haus haben andere Museen dazu aufgerufen, Kunstwerke nachzustellen. Nach einem Bericht von Deutschlandfunk Kultur zählen dazu auch das Louvre in Paris oder das New Yorker Metropolitan Museum.

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