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Richters Kerze brennt auch digital

Warum Medienkunst zunehmend zur Konkurrenz für Malerei wird

Im Museum Frieder Burda wurde gegenüber des berühmten Gemäldes eine aktuelle Medieninstallation aufgehängt.

Timur Si-Qins LED-Kerze hängt im Museum Frieder Burda gegenüber der Richter-Kerze.
Digitaler Lichterglanz: Timur Si-Qins LED-Kerze hängt im Museum Frieder Burda gegenüber der Richter-Kerze. Foto: Nikolay Kazakov

Adventszeit ist Weihnachtszeit, ist Lichterzeit und Kerzenschein. Da kommt man an der berühmten Richter-Kerze nicht so einfach vorbei. Die auratische „Kerze“ von Gerhard Richter – geschaffen nach dem Vorbild einer schlichten weißen Haushaltskerze – gehört zur Sammlung Frieder Burda und ist jetzt wieder einmal im Baden-Badener Privatmuseum in der aktuellen Ausstellung im Spannungsfeld mit der digitalen Kunst zu sehen, über die Kunstsammler Frieder Burda zu Lebzeiten noch sagte: „Bei mir kommt nichts mit Stecker ins Haus.“

Nun wurde dem Richter-Gemälde „Die Kerze“ von 1982 die davon inspirierte aktuelle Medieninstallation eines LED-Kerzenbilds von Timur Si-Qin gegenübergehängt. Digitaler Lichterglanz gegen Richters Nachdenklichkeit.

Der Karlsruher ZKM-Chef und Medienkünstler Peter Weibel („Nicht die Farbe ist Motor der Kunst des 20. Jahrhunderts, sondern die Bewegung“) wurde und wird nicht müde, das „Ende der bildbasierten Kunst“ zu prophezeien. Über die aus heutiger Sicht akademisch anmutende Malerei der Klassischen Moderne und der Postmoderne sagt er, dass die Medienkunst sie längst überholt habe und künftig komplett ablösen werde.

Ein Motiv mit 29 Variationen

Diese Entwicklung scheint folgerichtig. Hat doch bereits die beginnende Moderne am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert selbst die akademische Malerei herausgefordert und immer wieder abgelöst: als Auflösung in Lichtreflexe im Impressionismus, noch radikaler als Entwicklung darauf der abstrahierende Expressionismus, der formauflösende Kubismus, gefolgt von der totalen Reduktion in Schwarz-Weiß: Malewitschs „Schwarzes Quadrat“, in dem das Farbenspektrum völlig geschluckt wurde und das fast wie ein Vorgriff auf den Binärcode 0-1 erscheint.

Das Gemälde „Die Kerze“ (1982) aus der Sammlung Frieder Burda
Gerhard Richters auratisches Gemälde „Die Kerze“ (1982) aus der Sammlung Frieder Burda. Foto: Foto: Gerhard Richter 2022/Museum Frieder Burda

Mit Minimal Art und Action Painting, der Tröpfelkunst Pollocks, wie der Pop Art kam das Bildhafte in der Nachkriegszeit zurück, wenn auch verfremdet. Bis zu Richters gegenständlichem Stillleben „Die Kerze“, deren verschwimmende fotorealistische Malerei sich beinahe schwebend im abstrakten Raum bewegt.

Es gibt 29 Variationen des Kerzenmotivs von Richter seit 1982; das Gemälde in der Sammlung Frieder Burda gehört zu den ersten; bei etwa der Hälfte der Kerzenbilder hat der Maler zwei oder gar drei Kerzen dargestellt und mit dem Gemälde „Schädel mit Kerze“ (1983) dieses Serien-Thema beendet.

Das Urbild der Kerze ist Lebenslicht und Grablicht zugleich, begleitet uns von der Geburt bis zum Tod („Schädel mit Kerze“) – und ist bei Richter, dem gebürtigen Dresdner, zusätzlich auch politisch zu verstehen: als Symbol des Protests gegen das DDR-Regime.

Populärkultur machte sich das Motiv zu eigen

Die Kerzen sind von Chicago bis Südkorea in privaten und öffentlichen Sammlungen auf der halben Welt verteilt. In seiner seriellen Verbreitung ist Richters Bildmotiv – auch in Anlehnung an Warhols gedruckte Suppendosen-Serien – zur allgemeinen Bildsprache geworden. So hat sich die Populärkultur das Motiv zu eigen gemacht, wie etwa die US-Band Sonic Youth, die die Kerze 1988 für ihr Plattencover („Daydream Nation“) nutzte.

Auch andere Künstler haben dieses Sujet aufgegriffen. In Nam June Paiks Video „One Candle“ flackert eine bunte Kerze (1989). Bei Jeppe Hein leuchtet ein kleines spirituelles Feuer im Spiegelkasten der „Candle Box“. Die Malerin Karin Kneffel setzt die Kerze im Richter-Format in eine kühle, verspiegelte Bildwelt. Performancekünstlerin Marina Abramovic ist mit der kleinen Flamme zu innerer Ruhe gelangt.

In der Reihe steht auch das digitale Kunstwerk des in Berlin lebenden mongolisch-chinesischen Medienkünstlers Timur Si-Qin, der das Richter-Sujet digital glitzern lässt und durchaus dessen Poesie aufgreift.

Computerkunst will nicht nur Spielerei sein

Die vernetzte digitale Welt ist parallel dazu in alle Lebensbereiche vorgedrungen und bestimmt den Alltag der Zukunft. Auch in der Kunstwelt: Das ZKM in Karlsruhe und das Ars Electronica Center in Linz mit dem Futurelab haben nicht nur Medienkunstsammlungen von internationalem Rang.

Die jungen Medienkünstler wollen auf den Alltag der Menschen mit ihrer Kunst einwirken. Linz und ZKM Karlsruhe haben sich bei der gegenseitigen Durchdringung von Kunst und Wissenschaft als Forschungsstellen und wichtige Kooperationspartner für die Wirtschaft etabliert. Lasertracking, Avatar-Robotik, 3-D-Animationen, VR-Brillen, Hologramme: Die multimediale Computerkunst will nicht nur Spielerei für Ausstellungsbesucher sein, sondern entwickelt Projekte zu Mobilität, Medizin und Arbeitswelt: smart steuerbare Exo-Skelette als Stützkorsett des menschlichen Körpers, Simulationsräume für Piloten oder digitale Anwendungen fürs autonome Fahren.

Das letzte Wort über Malerei scheint noch nicht gesprochen

Trotz der Omnipräsenz des virtuellen Vormarsches ist das zweidimensionale Bild (zum an die Wand hängen) nicht abgelöst worden. Auf dem Kunstmarkt werden Malerei und Fotografie hoch gehandelt – das lässt sich auf der Art Basel, der Art Cologne und auch auf der Art Karlsruhe ablesen. Bei den großen Auktionshäusern erzielt nicht nur die Klassische Moderne Höchstpreise, eine „Kerze“ von Richter wurde 2015 für 12 Millionen Euro versteigert. Der mittlerweile 90-jährige Maler belegt seit Jahren unangefochten die Spitze des „Kunstkompass“-Rankings als weltweit wichtigster Gegenwartskünstler.

Tatsächlich scheint das letzte Wort über Malerei noch nicht gesprochen zu sein. Die aus Freiburg stammende Künstlerin Katharina Grosse dreht in ihrer farbintensiven Malerei den Spieß sogar um und bedient sich im Grunde der digitalen Kunst – indem sie mit ihren komplexen, raumgreifenden Werken multidimensionale Bildwelten umsetzt und damit schon virtuelle Räume mit der Spraydose schafft.

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