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Mehr als nur eine Kritiker-Künstler-Fehde

Wolfgang Ullrichs Antwort auf Neo Rauchs Bild „Der Anbräuner“ und die Folgen

Als Antwort auf kritische Bemerkungen des Theoretikers Wolfgang Ullrich hat Neo Rauch 2019 das Bild „Der Anbräuner“ gemalt. Bei einer Benefizauktion erzielte es eine Dreiviertelmillion Euro. In einem kleinen Buch deutet Ullrich die Vorgänge als Symptome eines neuen Ost-West-Konflikts.

Veranstalter Steffen Göpel (l) und Unternehmer Christoph Gröner (2.v.l.) stehen neben zwei Damen, die das Gemälde «Der Anbräuner» von Neo Rauch präsentieren. 
ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung über die Auktion und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits. Kein Verkauf, Keine Archivierung! +++ dpa-Bildfunk +++ |
Kunst-Coup der besonderen Art: Bei einer Benefiz-Auktion im Rahmen einer Gala im Anschluss an das „GRK Golf Charity Masters“ ersteigerte der Immobilienunternehmer Christoph Gröner (2. v.l.)für 750.000 Euro das Bild „Der Anbräuner“ von Neo Rauch. Links neben Gröner der Veranstalter Steffen Göpel. Foto: Lutz Zimmermann/GRK Golf Masters GmbH/dpa

Künstler contra Kritiker, Buch gegen Bild: Im Mai 2019 hat Wolfgang Ullrich in der „Zeit“ kritische Anmerkungen zu einigen Künstlern veröffentlicht, bei denen er eine Nähe zu rechten Denkmustern erkannte. In diesem Zusammenhang ging er auch auf Neo Rauch ein. Der Maler fühlte sich verunglimpft und sandte dem Wochenmagazin eine Replik.

Eine Art Leserbrief, allerdings nicht geschrieben, sondern gemalt. Das Bild wurde – nach Rücksprache mit Ullrich – veröffentlicht: Es zeigt einen Mann, der vor einer Staffelei sitzt. Sein Gesäß ist entblößt. Mit einem Pinsel in der rechten Hand greift er hinter sich, denn er nutzt die eigene Scheiße zum Malen.

Der Mann ähnelt dem Kritiker. Auch prangen auf dem Bild zwei Initialen: W wie Wolfgang, U wie Ullrich. „Der Anbräuner“ nannte Rauch sein Werk. Es löste heftige Debatten aus. Ullrich, der Adressat der Maler-Attacke, hielt sich lange weitgehend zurück. Seit neuestem liegt seine Antwort vor – als kleines grünes Buch mit dem Titel „Feindbild werden“.

Tief sitzender Unterschied

Er habe, erklärt Ullrich einleitend, lange gezögert, sich publizistisch zu seinem Fall zu äußern. Vieles hätte gegen das Buch gesprochen. Dass er es dann doch schrieb, begründet der Theoretiker mit der Erkenntnis, dass es sich bei der Kontroverse um mehr handeln könnte als um eine der aus der Kunstgeschichte hinlänglich bekannten Fehden zwischen Malern und ihren Kritikern.

Die eigentliche Ursache hinter dem Streit liegt für Ullrich in einem offenbar tief sitzenden mental-intellektuellen Unterschied zwischen Menschen, die noch in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, und Männern oder Frauen, die im bundesdeutschen Westen sozialisiert wurden.

Ein bärtiger Mittvierziger steht mit verschränkten Armen vor einer Efeuwand.
Sieht einen neuen Ost-West-Konflikt: Der Medientheoretiker Wolfgang Ullrich reagiert mit einer Publikation auf Neo Rauchs Bild „Der Anbräuner“. Foto: Annekathrin Kohout

Der Wissenschaftler kennt bis zu einem gewissen Grad beide Seiten. Er wurde in München geboren, hat dort studiert und nahm von 2006 bis 2015 eine Professur für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (HfG) wahr. Von dort ging er nach Leipzig, wo er als freier Autor lebt – und eben auch Einblicke in Teile einer Gesellschaft erhält, in denen Lebenseinstellungen und Denkkonzepte aus der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik nachwirken.

Der Kernkonflikt liegt für Ullrich darin, dass sich im Westen postmoderne und flexibel konsumorientierte Haltungen durchgesetzt haben, während sich im Osten eher geschlossene Weltbilder gehalten haben. Auf der einen Seite Ausdifferenzierung, die es jedem erlaubt, sich nach eigenem Gusto zu orientieren, auf der anderen das Beharren auf Werten, die für alle verbindlich sein sollen.

Hier Postmoderne dort rechte Ecke?

Zu dieser Gruppe zählt Ullrich Neo Rauch, der sich – so die These – nicht nur als Maler angegriffen, sondern auch in seinem Selbstverständnis erschüttert sehen musste. Diese Auffassung wird nach Ansicht Ullrichs durch Aussagen Rauchs belegt, in denen der Künstler unterstreicht, dass er zwar das „Programm der Multipolarität, des kosmopolitischen Daseins“ kenne, de facto aber eine „Rückbesinnung auf das Wesentliche und Eigentliche“ anstrebe.

Das Ganze könnte man als interne Angelegenheit des Kunstbetriebs betrachten. Ullrich sieht darin jedoch ein grundsätzliches Problem. Er erkennt (auch unter Berufung auf den Soziologen Andreas Reckwitz) eine zunehmende Polarisierung: hier die „postmodern-pluralistisch ausgerichteten Milieus“, die ihren politisch-moralischen Anspruch zunehmend offensiv vertreten, dort diejenigen, die sich missverstanden wähnen und sich vielleicht nur aufgrund ihres Sprachgebrauchs in eine rechte Ecke gedrängt sehen, obwohl dort nie ihre politische Heimat war – und wo sie dann am Ende landen. Ein Teufelskreis, wie Ullrich betont.

Eine Dreiviertelmillion Euro

Richtig brisant wurde die Geschichte durch eine Benefizauktion. Christoph Gröner, in Karlsruhe aufgewachsen, neuerdings Sponsor des KSC und wirtschaftlich in der Stadt stark engagiert, hat Ende Juli 2019 Rauchs Wut-Werk für eine Dreiviertelmillion Euro ersteigert.

Auf BNN-Anfrage, was mit dem Bild geplant ist, heißt es von der Pressestelle der Firma CG Elementum, die mehrheitlich dem Unternehmer gehört: „Herr Gröner hat das Gemälde ‚Der Anbräuner‘ von Neo Rauch in seinem Büro aufbewahrt. Sobald die Sicherheitsvorkehrungen an dem geplanten Standort den Versicherungsansprüchen genügen, wird es aufgehängt und für das Publikum sichtbar.“ Die Frage stellt sich, ob diese Zurschaustellung nicht zu weiteren Schmähungen und Beschimpfungen führt, die Ullrich aus dem rechten Spektrum erdulden musste.

Oder trägt sie gar zu jener vernunftgeleiteten Beruhigung bei, die sich der Autor wünscht? Eine Beruhigung, durch die es, wie Wolfgang Ullrich zum Ausklang seiner Analyse schreibt, möglich würde, „entgegengesetzte Positionen etwas besser zu erschließen, statt ihnen wechselseitig jegliche Berechtigung abzusprechen“.

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