Skip to main content

Verdrängtes vor Augen führen

Zu Ehren von ermordeter Putin-Kritikerin: Karlsruher Sandkorn-Theater zeigt Stück über Anna Politkowskaja

Es geht um Pressefreiheit und Kriegsgräuel: Das Stück über die 2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja, das am Sonntag in Karlsruhe zu sehen ist, hat durch den Krieg neue Brisanz bekommen.

Würdigung der Pressefreiheit: Die Schauspielerin Fiona Metscher ist in einer Aufführung im Sandkorn-Theater in der Rolle der ermordeten Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja zu sehen.
Die Schauspielerin Fiona Metscher ist in einer Aufführung im Sandkorn-Theater in der Rolle der ermordeten Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja zu sehen. Foto: Thomas Tröster

Sie hat schon früh gewusst, was auf ihr Heimatland zukommt. „Putin hat zufällig eine Riesenmacht erhalten und sie mit katastrophalen Folgen eingesetzt. Er verachtet uns. Er denkt, dass er uns vernichten kann, wenn ihm danach ist.“

Vor fast 20 Jahren versuchte Anna Politkowskaja in ihrem Buch „Putins Russland“, ihren Landsleuten die Augen zu öffnen und auf die wahre Natur des Machthabers im Kreml hinzuweisen. „Ich frage mich oft: Ist Putin ein Mensch oder eine durchgefrorene Eisenfigur? Ich halte ihn nicht für einen Menschen“, schrieb die Moskauer Journalistin. Ihr blieben damals nur noch zwei Lebensjahre.

Verbrechen an Politkowskaja wurde an Putins Geburtstag verübt

Sie war eine furchtlose Opponentin der Staatsmacht, hartnäckige Kritikerin der Korruption, leidenschaftliche Kämpferin für Menschenrechte und das Gewissen einer kranken Nation, die einem skrupellosen Herrscher zunehmend verfiel. Politkowskaja wurde im Oktober 2006 im Aufzug ihres Wohnhauses erschossen.

Der Täter war Mitglied einer kriminellen Gruppierung aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Die Drahtzieher des Mordes wurden nie ermittelt. Das Verbrechen wurde verübt am Geburtstag Putins, der in einer kühlen Reaktion das 48 Jahre alte Opfer als „minimal einflussreich in der Politik“ bezeichnet hat.

Stück im Sandkorn-Theater trägt den Titel „eine nicht umerziehbare Frau“

Heute sind Russlands Politiker mehrheitlich von Putins Angriffskrieg berauscht. Seine Gegner sind geflohen oder inhaftiert, unabhängige Medien sind verstummt. Dem kritischen Teil der russischen Gesellschaft fehlt mehr denn je die Stimme von Anna Politkowskaja. Ihre Texte über die verlogene und menschenverachtende Staatsmacht öffentlich zitieren? Unmöglich in einem Land, das die bittere Realität verleugnet.

Diese Aufgabe übernimmt jetzt die Mannheimer Regisseurin Inka Neubert, die an diesem Sonntag im Karlsruher Sandkorn-Theater der ermordeten Putin-Kritikerin Tribut zollt. Ihr Stück trägt den Titel „Eine nicht umerziehbare Frau“.

Eine Frau erzählt auf der Bühne von ihren Recherchen über russische Verbrechen in Tschetschenien, über das Geiseldrama in einer nordkaukasischen Schule und das islamistische Attentat auf ein Musicaltheater in Moskau.

Anna Politkowskaja, gespielt von der Kölner Schauspielerin Fiona Metscher, fordert das „Recht auf die Wahrheit hinter den Fassaden“ ein und macht für die Zuschauer das Leid durch Krieg und Terror erlebbar. Melancholische Live-Musik untermalt ihre Worte. Der Karlsruher Bassist Johannes Frisch hat sie geschrieben, er steht am Sonntag ebenfalls auf der Bühne.

Das Tschetschenien von früher steht dafür, was aus der Ukraine heute werden kann.
Johannes Frisch, Musiker aus Karlsruhe

„Der Mord an Anna Politkowskaja hat mich 2006 sehr beschäftigt“, sagt Frisch. Als 2017 das Mannheimer Theaterhaus G7 die Idee hatte, ein Stück von Stefano Massini über die russische Journalistin aufzuführen, sei der Stoff ihm erschreckend aktuell vorgekommen.

„Es spielt vor 20 Jahren, passt aber sehr gut in die jetzige Zeit“, erklärt der Musiker. „Die Geschichte darüber, wie Putin mit seinen Kritikern umgeht, hat seit dem vergangenen Jahr eine neue Brisanz. Das Tschetschenien von damals steht dafür, was aus der Ukraine heute werden kann.“

Frisch beschreibt seine Musik als ruhig und rhythmisch – „ein bisschen Sprechoper“, die die kräftige Stimme von Metscher einfärbe und mit „russischen Elementen“ Stimmung erzeuge. Zwar sei der Stoff potenziell tragisch, aber die Produktion solle nicht zu traurig wirken, erklärt der Karlsruher. „Das Ziel ist eine reinigende, klärende Wirkung: Es geht darum, dem Publikum etwas vor die Augen zu führen, was sonst oft verdrängt wird.“

Sie sagt, dass sie ständig angegriffen wird – trotzdem steht sie zu ihrer Arbeit.
Inka Neubert, Theaterregisseurin aus Mannheim

Inka Neubert hat „Eine nicht umerziehbare Frau“ in Mannheim, Köln und Norddeutschland aufgeführt – aber noch nie in Karlsruhe. Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt die Regisseurin, dass sie sich sehr intensiv mit Politkowskajas Leben und Werk beschäftigt hat.

„Heftiges“ Schauspiel mit „sehr optimistischer Botschaft“

Sie beschreibt die Russin als charismatisch und bodenständig, aber auch willensstark und unbeugsam: „Sie sagt, dass sie ständig angegriffen wird – und trotzdem steht sie zu ihrer Arbeit.“ Diese Haltung ist Neubert sehr wichtig, weswegen sie das „heftige“ Schauspiel mit einer „sehr optimistischen Botschaft“ versehen hat: Zwar gibt es weltweit immer wieder Unterdrückung, aber es gibt auch immer Menschen, die sich dagegen auflehnen.

Sie erzählt von schönen Gesprächen mit Theaterbesuchern nach den Aufführungen: „Das ist kein Stück für die Massen, aber wer es erlebt, ist oft sehr berührt.“ Negative Reaktionen, etwa von russischstämmigen Zuschauern, habe es bislang nicht gegeben, sagt Neubert. „Im Gegenteil, ich weiß von russischen Künstlern in Deutschland, dass sie das wahrnehmen und toll finden.“

Aufführung in Karlsruhe:

Das Stück „Eine nicht umerziehbare Frau“ wird an diesem Sonntag, 19. März, im Theaterhaus Sandkorn in Karlsruhe, Kaiserallee 11, um 18.30 Uhr aufgeführt.

nach oben Zurück zum Seitenanfang