
Es reicht eine Zahl, die das gesamte Dilemma der Organspenden auf einen Punkt bringt: Wenn die Münchner Allianz Arena oder das Berliner Olympiastadion komplett besetzt sind, dann befindet sich rein statistisch unter den knapp 80.000 Zuschauern gerade einmal ein einziger Organspender.
Und es ist nicht einmal sicher, ob im Falle seines Todes wirklich seine Organe einem Kranken, der auf diese dringend angewiesen ist, zur Verfügung gestellt werden. Denn das letzte Wort haben in jedem Fall die Angehörigen und Hinterbliebenen. Und die sagen oft genug Nein.
In Frieden sterben
Niemand in Deutschland wird gezwungen, seine Organe zu spenden. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gilt hier die erweiterte Zustimmungslösung, man muss also bereits zu Lebzeiten aktiv seine Bereitschaft bekunden. Zudem müssen auch die Hinterbliebenen zustimmen. Und es gibt gute Gründe, sich dagegen auszusprechen.
Am Ende eines langen Leidensweges ist bei vielen Menschen der Wunsch groß, in Frieden zu sterben zu dürfen und nicht nach dem Ableben noch einmal auf dem Operationstisch zu landen. Andere Länder kennen so viel Rücksicht nicht. Dort wird jeder automatisch zu einem potenziellen Organspender, sofern er nicht ausdrücklich widersprochen hat.
Keine Mehrheit im Bundestag
Die Kehrseite dieser Regelung ist, dass in Deutschland seit Jahrzehnten zu wenig Organe zur Verfügung stehen und die Zahl der Spender im Vorjahr sogar noch einmal zurückgegangen ist.
Patienten müssen im Durchschnitt zwischen acht und zehn Jahre warten, bis es ein passendes Organ gibt, viele sterben während dieser Zeit.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fordert aus diesem Grund einen Systemwechsel. Auch in Deutschland soll nach seinen Vorstellungen die Widerspruchslösung eingeführt werden. Lauterbach wollte dies schon bei der letzten Reform, doch im Bundestag gab es keine Mehrheit dafür, in der Gesellschaft erst recht nicht.
So bleibt es auf absehbare Zeit bei der paradoxen Situation, dass eine Mehrheit der Deutschen zwar Organspenden grundsätzlich begrüßt, aber nur eine extreme Minderheit tatsächlich Organe spendet. Alle Aufklärungsbemühungen, Werbekampagnen und Informationen der Krankenkassen haben daran nichts geändert. Der Organspendeausweis fristet ein Schattendasein.
Zu Lebzeiten Klarheit schaffen
Verdrängen, Ignorieren oder gar Verweigern sind keine Lösung. Weil jeder in die Lage geraten könnte, schwer zu erkranken und auf ein neues Organ angewiesen zu sein, sollte sich auch jeder bereits zu Lebzeiten entscheiden, ob er Spender sein will oder nicht.
Und dann muss dieser Entschluss auch den Angehörigen mitgeteilt werden, damit diese im Todesfall nicht überfordert sind. Ja oder Nein, alles ist besser als nichts. Damit dann, wenn es darauf ankommt, Klarheit herrscht.