Eigentlich wollte Attila Arendt den Nachmittag nutzen, um die Ruhe auf dem Wasser zu genießen und zu angeln. Anstatt Fische bringt er letztlich jedoch ein Reh auf seinem Boot zurück ans Ufer – durchnässt, geschwächt, aber lebend.
Das Tier drohte in einem überschwemmten Waldgebiet am Otterstädter Altrhein in der Pfalz zu ertrinken.
„Ich habe zwar keinen einzigen Fisch gefangen, trotzdem war es für mich einer der schönsten und unvergesslichsten Angeltage überhaupt“, schreibt Arendt im Nachgang auf Facebook.
Unter den Fotos, die ihn mit dem Reh zeigen, erhält der Mann aus Ettlingen jede Menge Zuspruch von anderen Nutzern.
Zwei Rehe starben im Hochwasser bei Eggenstein-Leopoldshafen
Erst vor rund einer Woche starben zwei Rehe bei Eggenstein-Leopoldshafen im Rhein-Hochwasser sowie den Folgen ihres Überlebenskampfes: Eines ertrank, das andere musste erschossen werden. Anstatt sich über den Damm retten zu können, wurden die Tiere von Schaulustigen und Spaziergängern in Angst versetzt und zurück ins Wasser getrieben.
Der dortige Jagdpächter Franceso Baberi, aber auch Polizei und Feuerwehr kritisierten das rücksichtslose Verhalten der Menschen in den betroffenen Gebieten.
Durch unbedachtes Betreten der gesperrten Bereiche würden Wildtiere in die Gefahr und somit in den sicheren Tod getrieben, mahnte die Feuerwehr.
Angelausflug wird zum Rettungsanker
Mehr Glück hatte das Reh auf der Pfälzer Seite des Rheins bei Speyer. „Ich war mit dem Boot unterwegs zum Angeln, als ich gesehen habe, dass im Mündungsbereich ein Reh schwimmt“, erzählt Attila Arendt über den Vorfall am Samstag.
Das Tier habe es wohl gerade noch so geschafft, sich in den angrenzenden See zu retten und nicht auf den Rhein abzudriften. Kurzerhand warf Arendt seine Angelpläne über Bord.
Mir war klar, dass ich nicht viele Versuche hatte, und ich wusste nicht, wie das Reh auf mich reagieren würde.Attila Arendt, Angler aus Ettlingen
Das überflutete Waldgebiet, in das sich das hilflose Reh vorkämpfte, sei diesem zum Verhängnis geworden, so Arendt. Der Kopf des Tiers habe sich in einer Astgabel verkeilt.
„Es ging nicht mehr vorwärts oder rückwärts“, sagt er. „Ich wollte nicht, dass das Tier zusätzlich wegen mir Panik bekommt.“ Arendt weiß aber auch, wenn er nicht handelt, ertrinkt es. „Mir war klar, dass ich nicht viele Versuche hatte, und ich wusste nicht, wie das Reh auf mich reagieren würde.“
Es war, als wäre das Reh froh, dass ihm jemand hilft.Attila Arendt, Angler aus Ettlingen
Ast für Ast habe sich Arendt dann mit seinem Boot durch das Geäst gezogen. „Eigentlich fährt man in solche Bereich nicht“, sagt er. Macken und Kratzer nimmt er hin.
Denn ihm ist bewusst: „Vom Ufer aus wäre man an diese Stelle nicht mehr hingekommen.“ Als er nahe genug dran ist, befreit er das Reh, zieht es näher zu sich, greift unter die Vorderbeine und hievt es zu sich ins Boot. „Es war, als wäre das Reh froh, dass ihm jemand hilft“, so Arendt.
Nicht jedes Wildtier hat Probleme im Wasser
Freiwillig würde sich ein Reh nicht ins Wasser bewegen, erklärt Daniel Reinhard von der Unteren Jagdbehörde des Landkreises Karlsruhe. Wildscheine etwa hätten kein Problem damit, auch mal vom einem ans andere Ufer eines Altrheinarms zu schwimmen.
Ein Reh hingehen sei sehr schnell erschöpft – besonders im Winter, wenn der Energievorrat gering ist. „Wenn es nicht rechtzeitig Land erreicht, ertrinkt es“, sagt Reinhard.
Wildtiere lassen sich nicht anlocken ans Ufer.Daniel Reinhard von der Unteren Jagdbehörde des Landkreises Karlsruhe
Dass die Lebensräume überschwemmt werden, darauf seien die Wildtiere eingestellt. „Üblicherweise merkt das Tier das und geht von dort weg“, so Reinhard. Manchmal käme das Hochwasser aber zu schnell oder die Fluchtwege sind gestört.
Frei laufende Hunde etwa versetzen Rehe in Panik. „Corona trägt natürlich dazu bei, dass viele Menschen in die Natur gehen“, vermutet Reinhard. Hunde an die Leine zu nehmen und die Spazierwege nicht zu verlassen, würde aber schon helfen.
Er rät: Wer ein Tier in Not sieht, sollte die Feuerwehr rufen. „Wildtiere lassen sich nicht anlocken ans Ufer“, sagt Reinhard. „Aus Scheu vor den Menschen könnte es sogar noch weiter ins Wasser und damit in die falsche Richtung flüchten.“
Reh rettet sich nach Verschnaufpause in den Wald zurück
Arendt hatte mit seinem Boot glücklicherweise die richtige Ausstattung parat und ein Händchen für das scheue Tier. Völlig durchnässt und zitternd sei das Reh darauf nach seiner Rettung zusammengesackt.
„Ich habe es in ein Handtuch gepackt und bin zum Ufer gefahren“, erinnert er sich. Auf dem Weg dorthin fragte sich Arendt aber: „Was mache ich jetzt?“ Wie bei einem Wildunfall entscheidet er, den Notruf zu wählen.
Kurze Zeit später sei der zuständige Förster hinzugekommen. Gemeinsam untersuchten sie das Tier auf Verletzungen. „Meine erste Sorge war, dass das Reh getötet werden muss“, sagt Arendt. Der Förster aber habe Entwarnung gegeben.
Geduldig hätten sie gewartet, ob sich das Tier auf dem Boden des nahe gelegen Waldstücks erholt. „Plötzlich war es weg“, berichtet Arendt. Offenbar sei es zu Kräften gekommen, aufgestanden und in den Wald zurückgelaufen.