Die New York Times berichtete schon wenige Minuten: Ein Mob hat das Kapitol gestürmt, Abgeordnete werden in Sicherheit gebracht. Norman Harthill, 83, las am Mittwochabend am heimischen Rechner in Karlsruhe die Schlagzeilen, kurz darauf bekamen er und seine Frau Barbara eine Mail. Ihr Sohn aus den USA schrieb, er fürchte sich vor dem, was noch bevor steht.
Bei den Unruhen starben laut Polizei vier Menschen. Die Stimmung aus Hass und Fassungslosigkeit konnten die Amerikaner, die in der Region Karlsruhe leben, nur aus der Ferne verfolgen. „Ich war fassungslos und hätte weinen können“, sagt Barbara Harthill. „Ich bin unendlich traurig. Wir erkennen das Land nicht wieder.“
Die 75-Jährige war mit ihrem Mann lange in den USA, seit 20 Jahren leben die frühere Uni-Dozentin und der ehemalige Geophysiker in Deutschland. Beide haben die US-Staatsbürgerschaft und das Leben in den Vereinigten Staaten nie ganz hinter sich gelassen.
Da sind ihre dort lebende Tochter und ihr Sohn, 50 und 52, und da sind die „Democrats abroad“ – Zusammenschlüsse von Anhängern der Demokratischen Partei, die im Ausland leben. Bei einem Vortrag im September sprach einer von ihnen noch davon, dass Trump nicht friedlich gehen werde und Menschen so aufhetzen wird, dass es zu einem Eklat kommt.
„Da hat keiner gedacht, der Vortragende würde übertreiben“, sagt Barbara Harthill. „Auch wir haben das sehr ernst genommen. Wir wissen, wie furchtbar gespalten dieses Land ist.“
Was passiert noch vor dem 20. Januar?
Beide sind politisch interessiert und auf dem Laufenden, was in den USA passiert. „Ich war schockiert, aber nicht überrascht“, sagt Norman Harthill. „Aber ich war überrascht, dass diese Leute schon seit ein paar Tagen in Washington sein konnten und niemand einschritt.“ Trumps Unterstützer, sagt er, seien für diese Aktion bereit gewesen und hätten nur auf den Aufruf des scheidenden US-Präsidenten gewartet. Und die Folgen? „Es gab im politischen Umgang ungeschriebene Gesetze – das ist jetzt erledigt.“
Barbara Harthill erwartet eine Besserung, sobald Joe Biden am 20. Januar die Staatsgeschäfte übernimmt. „Er ist so besonnen und hat ein gutes Team“, sagt sie. „Aber die tiefen Gräben werden so schnell nicht zugeschüttet werden.“ Und: „Ich habe immer noch Angst, was vor dem 20. Januar passieren könnte.“
In der Amtszeit von Donald Trump hat James Dymond so einige Diskussionen innerhalb seiner Familie führen und auch so manche Freundschaft abbrechen müssen. Der 41-Jährige arbeitet in Mannheim in einer Unternehmenskommunikation und lebt mittlerweile seit 20 Jahren in Deutschland. Was die Vorfälle von Mittwoch angeht, herrsche im Freundes- und Familienkreis unter Demokraten wie Republikanern dieses Mal Einigkeit: „Es wurde eine rote Linie überschritten.“
Dymond selbst zählt sich zu den Demokraten. „Ich wollte auf CNN schauen, was die Republikaner für ein Theater machen – und dann habe ich die Eskalation live im Fernsehen gesehen.“ Überrascht habe ihn das nicht, die Rhetorik von Trump und seinen Anhängern sei immer schärfer geworden.
Mail an die Kinder in den USA: „Don’t lose hope.“
„Auch die Stimmung unter Familien und Freunden ist sehr angespannt“, sagt Dymond. „Die Leute sind sehr viel dünnhäutiger geworden.“ Wer eine Maske trägt, wer Football schaut – „irgendwie ist plötzlich alles politisch“.
Er verfolge, wie manche Trump-Anhänger die Ereignisse in den USA herunterspielten. „Man muss klar sagen, was das war: Ein Angriff auf die Demokratie.“ Trump selbst sei wie der Sturm auf das Kapitol eine Eskalation. „Ich hoffe, es passiert nie wieder“, sagt Dymond.
Zwei-, dreimal pro Jahr besucht er die USA – wenn es die Corona-Pandemie zulässt, das nächste Mal im Mai. Bis dahin, hofft er, hat sich die Lage etwas beruhigt. Er glaubt aber nicht daran. Auch der linke Flügel der Demokraten habe seine Tonlage verschärft, die Stimmung sei allgemein sehr angespannt. „Das kann Biden so schnell nicht lösen.“
Am Donnerstagabend, 24 Stunden nach den schlimmen Vorfällen in den USA, wollten sich die Harthills nochmal an den Rechner setzen. Eine Mail an ihre Tochter und ihren Sohn in den USA schreiben. Was darin stehen wird? „Keep up the spirit, don’t lose hope“, sagt Barbara Harthill.