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Meinung

von Alexei Makartsev

Analyse

Ukrainische Offensive im Trippelschritt

Die Rückeroberung der von Russland besetzten ukrainischen Gebiete kommt nur langsam voran. Das sollte keinen überraschen: Kiew kann sich keine andere Strategie leisten.

Die strategisch wichtige Kertsch-Brücke zur annektierten Halbinsel Krim wurde durch einen ukrainischen Angriff erneut beschädigt.
Zum zweiten Mal seit dem vergangenen Herbst haben es die ukrainischen Streitkräfte geschafft, die strategisch wichtige Kertsch-Brücke zu beschädigen. Sie sichert die Versorgung der durch Russland annektierten Halbinsel Krim. Foto: Crimea24TV /AFP

Die Zahl wirkt auf den ersten Blick ernüchternd. 210 bis maximal 250 Quadratkilometer ihres Territoriums sollen die Streitkräfte der Ukraine seit dem Beginn der Sommeroffensive vor etwa sechs Wochen zurückerobert haben. Wenn man dies in Relation zu 100.000 Quadratkilometern der durch Russland okkupierten Gebiete (einschließlich der Halbinsel Krim) setzt: Ist das wenig oder viel?

Das kommt darauf an. Angesichts der hohen Erwartungen an die mithilfe von westlicher Waffentechnik gesteigerte ukrainische Schlagkraft werden die Fortschritte auf den Schlachtfeldern in der europäischen Öffentlichkeit als langsam und mühsam wahrgenommen. Dagegen sind Militärexperten von der Offensive im Trippelschritt nicht überrascht; sie halten sie für ganz normal.

Selenskyjs Versprechen bleiben unerfüllt

Das Stimmungsbild im angegriffenen Land schwankt offenbar zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Das für Präsident Wolodymyr Selenskyj „entscheidende Jahr“ 2023 im Verteidigungskrieg hat bislang keine große Wende gebracht. Manche Versprechen der Führung in Kiew bleiben unerfüllt. Da kam die Nachricht von dem erfolgreichen Angriff auf die strategisch wichtige russische Kertsch-Brücke zur annektierten Halbinsel Krim gerade richtig, um die Kampfmoral der ukrainischen Truppen zu steigern.

Dass der Geheimdienst SBU zum zweiten Mal binnen acht Monaten das Lieblingsprojekt von Wladimir Putin beschädigt hat, ist in mehrfacher Hinsicht alarmierend für den Kremlchef. Die mehrere Milliarden Euro teure, von Putin persönlich eingeweihte Brücke, hat für Moskau einen hohen symbolischen Wert. Die Ukraine zeigt mit derlei Attacken, dass der Aggressor verletzbar ist.

Sie setzt andererseits die russische Bevölkerung auf der Krim unter Druck, die in Angst leben muss, dass ein Fluchtweg im Fall eines ukrainischen Großangriffs auf das besetzte Gebiet abgeschnitten wird. Schließlich geht es darum, gegnerische Transportwege für Nahrung, Waffen und Treibstoff zu unterbrechen. Zwar kann die Krim auch über die okkupierten Gebiete im Süden des Landes versorgt werden, doch die dortigen Routen werden von den Ukrainern ebenfalls angegriffen.

Angriffe zielen auf gegnerische Logistik ab

Die Attacke auf die Brücke verdeutlicht die bisherige Strategie der Gegenoffensive, die sich darauf fokussiert, russische Militärlogistik zu stören, Waffendepots zu zerstören und die Artillerie hinter den stark befestigten Verteidigungslinien auszuschalten. Die zweite große Herausforderung ist die Räumung der russischen Minenfelder.

Es ist nachvollziehbar, dass die ukrainische Führung größere Vorstöße mit westlicher Panzertechnik im Osten und Süden hinauszögert, bis die Bedingungen dafür günstiger werden. Die Angreifer würden sonst zu hohe Verluste erleiden. Anders als Putin könnte Selenskyj nicht endlos Soldaten rekrutieren und mobilisieren. Darum kommt die Rückeroberung nur langsam voran. Die ukrainischen Verbündeten sollten sich mit Geduld wappnen.

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