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Memet Kilic droht Berufsverbot

Anklage gegen Rechtsanwalt: Erdogans langer Arm greift bis nach Baden

Die Türkei ist eine Bananenrepublik und ihr Präsident ein Volksverräter. Das darf man alles ungestraft sagen - in Deutschland. Dennoch steht der Heidelberger Rechtsanwalt Memet Kilic wegen eben dieser Aussagen vor dem beruflichen Aus.

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Opposition aus dem Keller: Memet Kilic produziert in seinem Kellerstudio regelmäßig Erdogan-kritische Interviews fürs Internet. Jetzt ist er wegen Beleidigung des Präsidenten angeklagt. Foto: pr

„Die Türkei verhält sich wie eine Bananenrepublik.“ Wohl dem, der das ungestraft sagen darf. Hier in Deutschland ist diese Aussage vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt.

Böses fürchten musste bislang nur, wer so was öffentlich sagt und sich anschließend in der Türkei blicken lässt. Dass der lange Arm von Präsident Recep Tayyip Erdogan inzwischen sogar bis nach Nordbaden reicht, muss jetzt der Heidelberger Rechtsanwalt Memet Kilic schmerzhaft feststellen.

Bananenrepublik Türkei

Kilic, der von 2009 bis 2013 für die Grünen im Bundestag saß, brachte vor zwei Jahren in einem Interview mit der Online-Zeitung ABC Gazetesi den Staat am Bosporus in Zusammenhang mit der Südfrucht und muss seither um seine berufliche Existenz am Neckar bangen.

Am 17. Dezember um 9.45 Uhr verhandelt ein Gericht in Ankara in der Sache Erdogan, Präsident der Republik Türkei, gegen Memet Kilic, Anwalt aus Heidelberg. Die Anklage: Beleidigung des Präsidenten.

Auf Präsidenten-Beleidigung stehen fünf Jahre Haft

Für den Juristen, der 1990 nach Deutschland kam und inzwischen neben der türkischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat, steht viel auf dem Spiel. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren und der Entzug seiner Zulassung als Rechtsanwalt – auch in Deutschland.

Ums türkische Gefängnis könnte er sich drücken, wenn er im Falle einer Verurteilung die alte Heimat meidet. Doch seine berufliche Existenz als Rechtsanwalt für türkisches, europäisches und Völkerrecht in Heidelberg fußt auf seiner Zulassung als Anwalt in der Türkei.

"Was Erdogan meiner Heimat antut, macht mich traurig"

Wird ihm infolge einer Verurteilung die türkische Anwaltszulassung entzogen, dann wird auch die Zugehörigkeit zur Rechtsanwaltskammer Karlsruhe widerrufen.

In dem Interview bezeichnete Kilic Erdogan ziemlich offen als Vaterlandsverräter. Er kritisiert, dass die Türkei den Islamischen Staat in Syrien mit Waffenlieferungen unterstützt habe.

„Was Erdogan meiner Heimat antut, macht mich traurig. Wer meine Heimat in diese Situation gebracht hat, den sehe ich als Vaterlandsverräter“, so Kilic in dem Beitrag.

Erdogan teilt selbst gerne aus

Spätestens darin sieht Staatsanwalt Avni Rifat Baysal eine Beleidigung des Staatspräsidenten. „Die hohe Kränkungsbereitschaft des Islamisten ist mir bekannt“, kontert „Avukat“ Kilic.

Erdogan selbst überziehe Menschen, die anderer Meinung seien als er selbst, regelmäßig mit übelsten Beschimpfungen. „Oppositionelle nennt er Blutsauger und Vaterlandsverräter“, so Kilic.

Die Zerstörung eines unbequemen Kritikers

„Aber wenn er schimpft, dann tut er das stets als Vorsitzender der Regierungspartei AKP. Doch wenn die Opposition kontert, dann ist er plötzlich der Staatspräsident und die Kritik gilt als Präsidentenbeleidigung.“

Doch in der Anklage sieht Kilic weniger eine Reaktion auf das umstrittene Interview, als den Versuch, ihn als unbequemen Kritiker zu zerstören.

„Die Islamisten gehen immer gleich vor. Erst versuchen sie ihre Gegner zu kaufen. Wenn das nicht gelingt, wollen sie sie einschüchtern und wirtschaftlich ruinieren. Bleibt auch das ohne Erfolg, versuchen sie sie physisch zu vernichten“, so Kilic.

Kilic produziert oppositionelle Videos fürs Internet

Der Anwalt will sich den Mund nicht verbieten lassen und produziert im Keller seines Wohnhauses weiter Videos fürs Internet, in denen er gegen Erdogan argumentiert.

„Insbesondere wegen der IS-Verwicklung reagiert Erdogan sehr sensibel. Er hat höllische Angst, dass er sich eines Tages vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag landen könnte.“

Türkei: Eine Waschmaschine für Schwarzgeld

Schweigen will Kilic auch nicht über seine Vorwürfe, Erdogan habe die Türkei inzwischen zu einer großen Waschmaschine für Schwarzgeld gemacht. Seit 2008 verlängere er regelmäßig sein Vermögensfriedensgesetz, mit dem Geld oder Gold aus Drogen- oder Waffengeschäften völlig legal in die Türkei gebracht werden könne und dort nur zu einem Prozent besteuert würde.

Kilic mutmaßt, dass ihm die türkische Regierung eine Falle stellen wollte. Offiziell wurde er erst kürzlich über die Anklage informiert. Die wurde aber bereits 2017 erhoben.

Vertreten vom Yücel-Anwalt

„Man hat wohl gehofft, ich würde irgendwann in die Türkei reisen und dann hätte man mich festgenommen.“ Doch Freunde hätten ihn informiert. Kilic meidet seither sein Herkunftsland. Selbst zur Beerdigung seiner Mutter sei er nicht in die Türkei gefahren.

Vor Gericht lässt er sich von Veysel Ok vertreten, dem Anwalt, der auch den Welt-Journalisten Denis Yücel verteidigte. „Herr Ok hat mir geraten, nicht zum Prozess vor dem Schwurgericht nach Ankara zu kommen. Bislang liegt dort nur ein Haftbefehl vor, für den Fall, dass ich nicht erscheine. Aber sobald ich dort bin, wird das vielleicht ganz schnell geändert.“

"Türkei ist kein normales demokratisches Regime"

Urlaub macht er inzwischen nur noch in Frankreich. Einmal war er noch auf Kreta, um der Heimat möglichst nahe zu sein. „Aber Erdogan hat inzwischen alle Institutionen für sich instrumentalisiert. Ich kann nur hoffen, dass Interpol das mittlerweile durchschaut hat und türkische Haftbefehle nicht mehr ungeprüft ausführt.“

Überhaupt, so Kilic, müssten Deutschland und Europa endlich erkennen, dass man es bei der heutigen Türkei nicht mit einem normalen demokratischen Regime zu tun habe. Noch immer scheue sich das Auswärtige Amt, eine Reisewarnung auszusprechen.

50 Deutsche in türkischer Haft

„Schon ein kritischer Facebook-Eintrag oder der Like für einen kritischen Facebook-Eintrag, kann bei der Einreise zu Problemen führen. Ich rate jedem, der nicht unbedingt dort hin reisen muss, die Türkei zu meiden.“

Mindestens 50 Deutsche säßen mittlerweile aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen. Kilic will nicht der 51. werden.

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