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Kommen Fahrverbote zurück?

Autofreie Sonntage in der Ölkrise: 1973 waren Fußgänger auf den Autobahnen unterwegs

Ende 1973 drehten die Scheichs den Ölhahn zu, die Folge war ein starker Anstieg der Spritpreise. Die damalige Bundesregierung verhängte ein Fahrverbot an vier Sonntagen. Kommt es nun wegen des Kriegs in der Ukraine erneut dazu?

ARCHIV - Blick auf eine leere Autobahn bei Frankfurt am Main (Archivfoto vom 25.11.1973). Wegen der Ölkrise wurde damals zum ersten Mal ein sonntägliches Fahrverbot verhängt. Nun hat die Bundestagsfraktion der Grünen von der Bundesregierung die schnelle Einführung autofreier Wochenenden verlangt. - nur s/w - (zu dpa-Gespräch "Bundestagsgrüne verlangen von Bundesregierung autofreies Wochenende" vom 27.02.2007) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Nach dem Vorbild der vier autofreien Sonntage im November und Dezember 1973 wird wegen des Kriegs in der Ukraine über Fahrverbote diskutiert. Foto: Archivfoto dpa

Es war gespenstisch. Die Bilder, die abends in der „Tagesschau“ liefen, waren geradezu apokalyptisch, markierten jedenfalls eine Zeitenwende: Leere Autobahnen, keine Autos weit und breit, dazu Polizisten, die an den Auffahrten standen und die wenigen Fahrer, die unterwegs waren, kontrollierten.

Mancherorts eroberten sich Fußgänger oder Rad- und Rollschuhfahrer die leeren Straßen zurück. Und dazu Bilder von düster wirkenden Scheichs aus fernen Ländern in ihren wallenden weißen Gewändern, die schuld an der ganzen Misere waren.

November 1973: Auf dem Höhepunkt der sogenannten Ölkrise verhängte die damalige sozialliberale Bundesregierung mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister Walter Scheel (FDP) an der Spitze drastische Maßnahmen. Das „Energiesicherungsgesetz“ vom 9. November 1973 ermächtigte die Regierung, zeitweilig Energie zu rationieren, Höchstpreise für Öl, Benzin oder Diesel festzulegen und die Benutzung von Motorfahrzeugen aller Art nach Zeit, Ort, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis einzuschränken.

Die unmittelbare Folge war ein generelles Autofahrverbot an vier aufeinanderfolgenden autofreien Sonntagen, beginnend mit dem 25. November, sowie ein für sechs Monate geltendes Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf allen anderen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften.

Am 24. November richtete Bundeskanzler Brandt einen eindringlichen Appell an die Bürgerinnen und Bürger: „Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den folgenden Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgängerzone verwandeln. Die Energiekrise kann auch zu einer Chance werden. Wir lernen in diesen Wochen, dass wir auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind.“

49 Jahre später wird als Folge des Überfalls russischer Truppen auf die Ukraine und der starken Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gas- und Ölimporten erneut über ein Fahrverbot an Sonntagen und über Tempolimits diskutiert. So könnten nach Ansicht der baden-württembergischen Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) autofreie Sonntage einen Beitrag dazu leisten, den Spritverbrauch zu drosseln und die Abhängigkeit von russischer Energie zu reduzieren.

Für Menschen, die auf das Auto dringend angewiesen seien, könne es wie damals Sonderregelungen geben. Darüber hinaus würde ein Verzicht aufs Autofahren die Umwelt schonen und wäre „vor allem aber auch ein starkes Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Abhängigkeit von arabischem Öl und der Jom-Kippur-Krieg

Es sind die gleichen Argumente wie 1973. Damals ging es darum, sich aus der Abhängigkeit von arabischem Öl zu lösen und wegen einer massiven Erhöhung der Rohölpreise Energie zu sparen, sowie Alternativen zu entwickeln.

Bis zu Beginn der 1970er Jahre war Öl im Überfluss vorhanden und entsprechend billig, vor allem im Nahen und Mittleren Osten gab es scheinbar unendliche Ölvorkommen, die mit vergleichsweise niedrigen Kosten gefördert werden konnten. Die Organisation der Erdöl fördernden und exportierenden Staaten OPEC galt als zerstritten und somit politisch wie wirtschaftlich unbedeutend.

Das änderte sich schlagartig mit dem Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973. Um die westlichen Länder, die Israel unterstützten, unter Druck zu setzen, beschlossen neun arabische Mitgliedsstaaten der OPEC, die Fördermenge Monat für Monat um etwa fünf Prozent zu kürzen und die Exporte an einzelne Staaten wie die USA oder die Niederlande komplett einzustellen.

Darauf stieg der Ölpreis von rund drei US-Dollar auf über fünf Dollar – ein Anstieg um mehr als zwei Drittel. 1974 sollte der Ölpreis gar auf über zwölf Dollar explodieren – im Vergleich zu heute, wo für das Fass Rohöl um die 110 bis 120 Dollar bezahlt werden müssen, geradezu ein Klacks.

Doch die Folgen waren enorm. Wegen der Verknappung schnellten die Benzinpreise in die Höhe – von durchschnittlich 62,3 Pfennig (31 Cent) für den Liter Normal und 64,2 Pfennig (32 Cent) für den Liter Diesel im Jahr 1972 auf über 70 Pfennig (35 Cent), 1974 sogar auf weit über 80 Pfennig (40 Cent) pro Liter. Vor Tankstellen bildeten sich lange Schlangen, der Sprit wurde nur noch rationiert abgegeben, die Angst vor einem kalten Winter nahm zu.

Ein Schock für das Wirtschaftswunderland

Der Spuk war rasch vorbei. Schon an Weihnachten drehten die Scheichs den Ölhahn wieder auf. Der Einspareffekt der autofreien Sonntage war gering. Und doch war die Ölkrise des Jahres 1973 ein Schock für das Wirtschaftswunderland Deutschland, eine tiefe Zäsur mit weitreichenden Folgen: Die Preise stiegen stark und blieben hoch, die Ära der Vollbeschäftigung ging zu Ende.

Eine Pleitewelle führte zu einem massiven Anstieg von Kurzarbeit und Entlassungen, die Arbeitslosenzahlen erreichten Rekordhöhen, die Verschuldung des Staates nahm zu, die Regierung rief zum Energiesparen auf.

Allerdings hatte der hohe Ölpreis auch zur Folge, dass sich nun die Erschließung neuer Ölvorkommen rentierte, beispielsweise in der Nordsee. Der Hunger der westlichen Welt nach Öl und Gas blieb trotz der Krise und des Bewusstseins der Endlichkeit der fossilen Ressourcen unverändert hoch – an die Stelle alter Abhängigkeiten traten lediglich neue.

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