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Karlsbader Bio-Landwirt klagt

"Schredderküken" der Rinderzucht? Kälber kaum vermarktbar

Sie sind die Schredderküken der Rinderzucht. Bullenkälber der Milchkuhrassen sind für den Bauern praktisch wertlos. Im Verkauf bringen sie weniger ein als ein Meerschweinchen. Mehr Metzger und der Einsatz einer Spermienzentrifuge könnten den Landwirten helfen.

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Pech gehabt: Männliche Kälber der auf Milchproduktion spezialisierten Rassen sind für Landwirte ein Verlustgeschäft. Foto: Weisenburger
Bullenkälber der Milchkuhrassen sind für den Bauern praktisch wertlos. Im Verkauf bringen sie weniger ein als ein Meerschweinchen. Mehr Metzger und der Einsatz einer Spermienzentrifuge könnten den Landwirten helfen.

Die Welt ist verrückt: Für 20 Euro bekommt man ein ganzes Kalb, während man im Zoohandel schnell mehr als 40 Euro für ein Meerschweinchen bezahlt.

Für den Preis eines kleinen Päckchens Nager-Leckerli zur Belohnung des Goldhamsters kann man einem wenige Wochen alten Kälbchen fünf Tage lang den Aufpreis vom milchähnlichen Pflanzenfett zur echten Muttermilch finanzieren.

Bullenkälber der Milchvieh-Rassen sind praktisch wertlos

Extrem ist dabei nicht unbedingt der Preis für Meerschweinchen und fürs Hamsterfutter, sondern die Summe, die ein Landwirt für ein Kalb erzielen kann – und zwar extrem niedrig.

Aus kaufmännischer Sicht sind vor allem die männlichen Kälber der Milchrassen so gut wie wertlos. Sie sind so was wie die Schredderküken der Rinderzucht.

In der Hühnerzucht werden die männlichen Küken der auf die Eierproduktion spezialisierten Rassen noch immer massenhaft getötet, weil sich ihre Aufzucht finanziell nicht lohnt.

„In der Rinderzucht sind die schwarzbunten Bullenkälber das Problem“, weiß Richard Riester, Chef der Abteilung Agrarmärkte bei der Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft in Schwäbisch Gmünd. Die Gründe sind vielfältig und kompliziert.

Sie geben keine Milch und liefern zu wenig Fleisch

Doch am Anfang steht stets das Pech der kleinen Bullen, in eine auf Milch spezialisierte Familie hineingeboren zu sein. „Die Milchrassen können bei der Mast einfach nicht mithalten. Sie nehmen nicht schnell genug zu“, so Riester.

Und für eine Karriere als Milchkuh steht das Bullenkalb naturgemäß nicht zur Verfügung.

Weibliche Kälber werden aufgezogen - männliche Kälber geben wir ab
Thomas Knodel, Milchbauer aus Karlsbad-Langensteinbach

Die Situation ist schwierig, nicht nur für die Kälber, sondern auch für die Landwirte. „Ich zahle 30 Euro für den Samen und der Landwirt kostet nochmal 15. Ich bin bei der Geburt dabei, kümmere mich 14 Tage um das Tier und gebe es dann mit Verlust ab.“

Thomas Knodel hält auf seinem Biohof in Karlsbad-Langensteinbach 80 Milchkühe. Damit seine Tiere Milch geben, müssen sie jedes Jahr ein Kalb haben. Die weiblichen Kälbchen zieht er auf, von den Bullenkälbern muss er sich nach 14 Tagen trennen, für 20 Euro. „Und das zu einem Preis, der nicht kostendeckend ist“, so Knodel.

Rinderhalter sind Mangelware

Ein großes Problem ist, dass es kaum noch Landwirte gibt, die Rinder halten. Damit ist der Austausch auf kurzem Wege praktisch nicht mehr möglich.

„Im Landkreis Karlsruhe habe ich als Milchbauer keine Kollegen und auch in der Tiermast geht hier nichts.“ Als das noch anders war, konnte Knodel seine überzähligen Bullenkälber in die Nachbarschaft verkaufen. Dort wurden sie ein halbes Jahr gefüttert, geschlachtet und dann als Kalbfleisch verkauft.

Heute muss sich Knodel an den Viehhandel wenden und seine Tiere werden bis nach Holland und Spanien verschickt.

Seit dem Clenbuterol-Skandal in den 80er-Jahren, als Großmäster dabei erwischt wurden, wie sie die Aufzucht ihrer Kälber mit unerlaubten Hormongaben forcierten, ist die Kälbermast in Süddeutschland so gut wie ausgestorben.

Jedes Jahr 80.000 Bullenkälber die keiner will

„Und seit dem Ausbruch der Blauzungenkrankheit ist auch der Export sehr schwierig“, sagt Agrarexperte Riester.

Er empfiehlt Milchkuhhaltern auf den dramatischen Einbruch bei den Kälberpreisen zu reagieren. Allein in Baden-Württemberg, so Riester, kämen jedes Jahr rund 80.000 Bullenkälber zur Welt, die keiner wolle und keiner brauche.

Milchkuh
Eine Milchkuh streckt ihren Kopf zur Kamera. Foto: Roland Weihrauch/Archivbild

Mit einigen Tricks könne man diese Zahl deutlich reduzieren. „Sie können die Zeit zwischen den Schwangerschaften auf bis zu drei Monate verlängern. Dann geht die Milchleistung zwar zurück, aber das ist auch für die Kuh schonender.“

Eine andere Möglichkeit wäre, Fleischrassen in die Milchkuh-Herde einzukreuzen. „Wenn ich eine Schwarzbunte Milchkuh mit einem Bullen einer Fleischrasse wie den Weißblauen Belgiern belege, dann bringen die weiblichen Nachfahren zwar 1.000 Liter weniger Milch pro Jahr, die Bullenkälber aber 200 Euro mehr im Verkauf.

Sperma-Zentrifuge kann helfen

Erfolgversprechend ist nach Ansicht des Marktexperten auch der Einsatz von zentrifugiertem Sperma. In hochmodernen Anlagen, so Riester, könne männliches von weiblichem Sperma getrennt werden.

„Mit der derzeit erreichbaren Zuverlässigkeit könnte man so 90 Prozent der ungewollten Bullenkälber vermeiden.“

Milchbauer Knodel kann sich noch eine andere Lösung des Dilemmas vorstellen. Würde die Europäische Union die Auflagen für Metzger lockern, könne man regionaler vermarkten und deutlich höhere Preise erzielen.

Keine Nachfrage für Biofleisch

Immer höhere Anforderungen an Metzgereien und Schlachthöfe haben dazu geführt, dass der Weg zum Schlachter immer weiter wurde. An die Verbraucher appelliert er, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. „Für Biofleisch gibt es so gut wie keine Nachfrage“, so Knodel.

Auch, weil er seine Biokälber in den konventionellen Bereich abgeben muss, legt er am Ende deutlich drauf.

Wenn die Landwirte nicht so knapp kalkulieren müssten, dann sei es vielleicht auch möglich, die ungewollten Bullenkälber aufzuziehen. „Das ist noch ein weiter Weg“, so Knodel. „Aber ich glaube, es findet langsam ein Umdenken statt. Und das ist positiv.“

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