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Verschärftes Infektionsschutzgesetz

Ausgangssperre, Homeoffice, Schulen: Was die Bundes-Notbremse für die Menschen bedeutet

Trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken hat der Bundestag das verschärfte Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger, die Schulen, die Geschäfte, den Kultur- und Freizeitbereich sowie für Unternehmen?

Ein Stop-Piktogramm an einer Rolltreppe leuchtet am späten Abend nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in der Innenstadt. Wegen stark steigender Corona-Infektionszahlen verhängt die Region Hannover vom 01. bis zum 12. April nächtliche Ausgangssperren. +++ dpa-Bildfunk +++
Ausgangssperre ab 22 Uhr: In Landkreisen oder Städten mit einer Inzidenz von über 100 gilt nach dem verschärften Infektionsschutzgesetz ein nächtliches Ausgehverbot. Das hat der Bundestag so beschlossen. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

100 wird nach dem Willen der Bundesregierung künftig die alles entscheidende Zahl. Liegt die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen bezogen auf 100.000 Menschen in einem Landkreis oder in einer kreisfreien Stadt stabil unter dieser Marke, ändert sich an den derzeit geltenden Regeln nichts.

Dann kann jedes Land entscheiden, welche Einschränkungen oder Freiheiten gelten. Überschreitet die Inzidenz allerdings an drei aufeinanderfolgen Tagen die Marke von 100, greift künftig automatisch ab dem übernächsten Tag eine bundeseinheitliche Notbremse.

Diese hat für die Bürger wie für die Wirtschaft massive Konsequenzen und steht nicht zur Disposition. Unser Redaktionsmitglied Martin Ferber beantwortet die wichtigsten Fragen.

Entmachtet der Bund damit die Länder?

Im Prinzip ja. Der Infektionsschutz ist grundsätzlich Ländersache. Zwar verständigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentinnen und –präsidenten der 16 Länder in der Vergangenheit auf ein einheitliches Vorgehen im Kampf gegen das Coronavirus, doch beim Erlass der jeweiligen Corona-Verordnungen wichen die Länder zum Teil von den Verabredungen ab, erließen eigene Regeln oder erklärten ihr Land zur „Modellregion“. Derartige Alleingänge sind in Zukunft nicht mehr möglich.

Bundes-Notbremse: Was die Corona-Regeln für Baden-Württemberg bedeuten

Was bedeutet das für die erst am vergangenen Samstag erlassene aktuelle Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg, die zum Teil über die nunmehr beschlossenen Regelungen des Bundes hinausgeht?

Die Landesregierung hat sich beim Erlass der Coronaverordnung am Gesetzentwurf der Bundesregierung orientiert. Die Änderungen, die die Koalitionsfraktionen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch vorgenommen haben, konnten dabei nicht mehr berücksichtigt werden. Wie ein Sprecher des Staatsministeriums gegenüber den BNN sagte, werde die Landesregierung am Donnerstag entscheiden, ob die Regelungen des Bundes eins zu eins übernommen werden. Eine bundeseinheitliche Regelung sei sinnvoll, auch mit Blick auf die „Gerichtsfestigkeit“.

Was kommt auf die Bürgerinnen und Bürger konkret zu?

Um die weitere Verbreitung des Virus einzudämmen, wird eine nächtliche Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr eingeführt. In Baden-Württemberg tritt sie noch um 21 Uhr in Kraft, das könnte sich ändern. Bis 24 Uhr dürfen Einzelpersonen allerdings noch spazieren gehen oder joggen. Ausnahmen sind nur in „begründeten“ Fällen möglich, beispielsweise wegen beruflicher oder dienstlicher Tätigkeiten, eines medizinischen Notfalls, der Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen, der Begleitung von Sterbenden oder zur Versorgung von Haustieren. Zudem dürfen sich nach dem Willen der Bundesregierung die Angehörigen eines Haushalts nur noch mit einem einzigen weiteren Menschen treffen, maximal dürfen fünf Personen zusammenkommen, wobei Kinder unter 14 Jahren nicht mitgerechnet werden.

Gibt es explizite Regelungen für Beerdigungen?

Ja. War im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehen, dass bei einer Inzidenz ab 100 nur noch 15 Personen für Trauerfeiern zusammenkommen dürfen, wurde diese Zahl auf 30 verdoppelt. In Baden-Württemberg gelten noch 15, auch das dürfte sich ändern.

Was ist mit Schulen?

Präsenzunterricht ist möglich, wenn entsprechende Schutz- und Hygienekonzepte eingehalten sowie die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte zweimal pro Woche getestet werden. Überschreitet die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinander folgenden Tagen den Wert von 100, ist nur noch Wechselunterricht zulässig. Und ab dem Schwellenwert von 165 ist ab dem übernächsten Tag der Präsenzunterricht vollständig verboten. Diese Regelungen gelten auch für Hochschulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Bildungsstätten. Eine Notbetreuung kann allerdings eingerichtet werden. In der ursprünglichen Fassung sollte die Schließung der Schulen erst ab einer Inzidenz von 200 erfolgen.

Bundes-Notbremse: Was für den Handel und die Gastronomie gilt

Müssen die Geschäfte schließen?

Im Prinzip ja, aber nicht ganz so strikt wie es im ursprünglichen Entwurf vorgesehen war. Bei einer Inzidenz zwischen 100 und 150 ist weiterhin ein Einkaufen mit Terminvereinbarung und negativem Coronatest möglich (Click&Meet). Ab einer Inzidenz von 150 dürfen dann nur noch Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte sowie beispielsweise Getränkemärkte, Apotheken, Drogerien, Reformhäuser oder Tankstellen sowie Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte und Gartenmärkte, die „Waren des täglichen Bedarfs“ anbieten, öffnen. Für sie gelten allerdings die bereits bekannten Zugangsbeschränkungen von einem Kunden pro 20 Quadratmeter Ladenfläche bis 800 Quadratmeter beziehungsweise pro 40 Quadratmeter bei über 800 Quadratmetern. Auch bei den Buchhandlungen geht Baden-Württemberg bisher einen anderen Weg, sie zählen nicht zu den Geschäften des täglichen Bedarfs.

Ist Click&Collect weiterhin erlaubt?

Ja. Entgegen der ursprünglichen Fassung ist die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften auch dann möglich, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinander folgenden Tagen den Wert von 150 überschritten hat. Nötig ist eine vorherige Terminbuchung für einen fest begrenzten Zeitraum. Der Kunde muss zudem einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden ist. Und der Betreiber des Geschäfts muss die Kontaktdaten des Kunden, unter anderem den Namen sowie entweder Telefonnummer, Mail-Adresse oder Anschrift und den exakten Zeitraum der Abholung erheben.

Bleiben die Restaurants geschlossen?

Auch Cafés, Bars, Gaststätten, Restaurants und Betriebskantinen sind von der Schließung betroffen. Erlaubt ist lediglich die „Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken“, wobei diese „nicht vor Ort verzehrt werden dürfen“.

Sport, Kultur und Freizeit: Was ab einer Inzidenz von 100 wichtig ist

Darf man im eigenen Land Urlaub machen?

Nein. Auch Urlaubsreisen und Übernachtungen „zu touristischen Zwecken“ sind untersagt.

Was gilt für Freizeit- und Kultureinrichtungen?

Auch Schwimmbäder, Thermen, Saunen, Solarien, Fitnesscenter, Kinos, Museen, Gedenkstätten oder Clubs sind von den Schließungen betroffen. Das gilt auch für Seilbahnen, die Fluss- und Seenschifffahrt sowie für Spielbanken, Diskotheken oder Bordelle. Die Außenbereiche von Zoos und botanischen Gärten dürfen öffnen, allerdings gelten auch hier die üblichen Schutz- und Hygienekonzepte, zudem müssen die Besucher beim Eintritt das Ergebnis eines aktuellen Coronatests vorlegen.

Ist Sport erlaubt?

Verboten wird auch der Freizeitsport. Erlaubt ist lediglich „die Ausübung von Individualsportarten, die allein, zu zweit oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands“ ausgeübt werden. Einzige Ausnahme: Kinder unter 14 Jahren sollen „in Gruppen von höchstens fünf Kindern“ gemeinsam Sport treiben dürfen. Der Profisport kann weiterhin ohne Zuschauer stattfinden.

Welche Regeln gelten am Arbeitsplatz?

Arbeitgeber werden aufgefordert, den Beschäftigten Homeoffice anzubieten, „wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“. Die Beschäftigten haben dieses Angebot grundsätzlich anzunehmen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Betrieb arbeiten, müssen die Arbeitgeber auf eigene Kosten zwei Coronatests pro Woche anbieten und dies auch dokumentieren. Eine Testpflicht für die Mitarbeiter ist das aber nicht.

Verschärftes Infektionsgesetz: Wie geht es jetzt weiter?

Was passiert, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz wieder unter 100 sinkt?

In diesem Fall treten am übernächsten Tag alle aufgeführten Einschränkungen außer Kraft und es gelten wieder die Bestimmungen der Corona-Verordnung des jeweiligen Bundeslandes.

Ist das Gesetz befristet?

Ja, es gilt nur so lange, wie der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt – „längstens jedoch bis zum Ablauf des 30. Juni 2021“.

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