Berlin/Stuttgart. Streit in der Regierung, Unklarheit für Millionen von Autofahrern – und viel Arbeit für Kommunen: Das Hickhack um Sanktionen für Raser weitet sich immer mehr aus. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will eine schnelle Lösung mit den Ländern. Sein Plan: Zwei neue und verschärfte Regeln über Fahrverbote bei zu schnellem Fahren, die wegen eines Rechtsfehlers vorerst außer Vollzug gesetzt wurden, sollen zurückgenommen werden. Dagegen gibt es Widerstand.
Scheuer sagte am Freitag bei einem Termin in Wachenroth in Bayern: „Ich habe einen Fahrplan, aber das reicht nicht, weil ich die Länder dazu brauche. Ich habe ein faires Angebot gemacht.“ Er wolle zum einen den Formfehler richtigstellen, zum anderen aber zugleich die „Verhältnismäßigkeit“ herstellen.
Formfehler in der Verordnung macht sie nichtig
In der Sache geht es darum, dass seit Ende April ein Monat Führerschein-Entzug droht, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell – dies hatte der Bundesrat in die StVO-Novelle hineingebracht. Zuvor lagen die Grenzen bei Überschreitungen von 31 km/h im Ort und 41 km/h außerhalb. Wegen eines Formfehlers in der Verordnung wurden die neuen Regeln aber von den Ländern vorerst außer Vollzug gesetzt.
Konkret wurde das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes verletzt – dadurch sind die neuen Regeln für Fahrverbote aus Sicht von Juristen nichtig. In der neuen StVO geht es eigentlich vor allem um Verbesserungen für Radfahrer.
„Raserei ist Todesursache Nummer eins auf unseren Straßen”
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich für die im neuen Bußgeldkatalog festgeschriebenen schärferen Raser-Regeln aus – genau das will Scheuer nicht. „Raserei ist Todesursache Nummer eins auf unseren Straßen. Wir sollten uns dem Wohle unserer Bevölkerung verpflichten und nicht dem einiger lauter Lobbyisten“, sagte Pistorius. Die entstandene Rechtsunsicherheit solle durch das Bundesverkehrsministerium beseitigt werden – indem die fehlerhaften Vorschriften zur Änderung der Katalogverordnung in unveränderter Form mit Behebung des Rechtsfehlers erneut erlassen würden. Scheuer sagt dazu: „Jetzt gilt wieder der alte Bußgeldkatalog und wenn es kein Verhandlungsergebnis gibt, gilt der alte Bußgeldkatalog weiterhin, aber eben ohne die von mir gewünschten Verbesserungen zum Beispiel für die Radfahrer.“
Auf Kritik waren Scheuers Pläne auch bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gestoßen. Sie hatte von einer „Verkehrtwende“ des Ministers bei der Bestrafung von Temposündern gesprochen. Unverhältnismäßig hohe Geschwindigkeiten seien das Unfallrisiko Nummer 1.
Minister beruft sich auf Corona-bedingte Schwierigkeiten
Wie es zu dem Fehler in der neuen StVO kam ist unklar. Das Justizressort stellte jedoch fest, die Endprüfung habe wegen der Fristsetzung „nicht in der gewohnten Tiefe“ erfolgen können. Scheuer sagte dazu: „In Corona-Zeiten gab es oft ultra verkürzte Fristen. Jetzt geht es um Lösungen und nicht um Rückblick.“
Zur Zahl der Bußgeldbescheide gibt es noch kein Gesamtbild. Wer in Bayern nach dem neuen Bußgeldkatalog seinen Führerschein verloren hat, bekommt ihn jedenfalls zurück. „Sofern das Fahrverbot schon angetreten wurde, werden das Polizeiverwaltungsamt, das Polizeipräsidium Mittelfranken und das Polizeipräsidium München die dort verwahrten Führerscheine umgehend zurückschicken“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er appellierte an die anderen Bundesländer, die Neuregelungen nicht zu blockieren.
In Baden-Württemberg hat man jedoch wenig Verständnis für solche Forderungen. In den vergangenen Tagen beklagte das Stuttgarter Verkehrsministerium im Gespräch mit den BNN, infolge der Verordnungspanne „rechtlich in der Luft zu hängen“ und forderte von Scheuer schnelle Lösungsvorschläge für das Problem. Nach BNN-Informationen werden Vertreter von Bund und Ländern an diesem Montag in einer Videokonferenz darüber beraten.
Mehr als 5.000 Verfahren sind in der Schwebe
Der Konflikt um den neuen Bußgeldkatalog macht den Behörden unterdessen sehr viel Arbeit. Auf Anfrage unserer Zeitung teilte das Ressort von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Freitag mit, dass in der für alle Autobahnen des Landes zuständigen Zentralen Bußgeldstelle beim Regierungspräsidium Karlsruhe in den Monaten Mai und Juni insgesamt 5.040 Verfahren eingegangen sind, die nach neuen Regeln einen Fahrverbot nach sich ziehen müssten, weil die zulässige Geschwindigkeit um mehr als 26 km/h überschritten wurde.
Nach Darstellung des Ministeriums sollen diese Verfahren bis zur Klärung des Streits pausiert werden. Insgesamt seien im Land im Mai und Juni etwa 70.000 Fälle hinzugekommen, die nach der neuen (und vorerst ausgesetzten) StVO behandelt werden müssten, hieß es in Stuttgart.