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Kontroverse Debatte unter Juristen

Verfassungsrichter als Ersatzgesetzgeber? Ex-CDU-Minister Rupert Scholz kritisiert das Klimaschutzurteil des Karlsruher Gerichts

Großen Jubel löste der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im vergangenen Jahr aus. Die Karlsruher Richterinnen und Richter definierten dabei das Prinzip der Generationengerechtigkeit neu. Doch damit sind sie nach Ansicht des früheren CDU-Ministers und Verfassungsrechtlers Rupert Scholz zu weit gegangen.

Die Sonne geht zwischen Windrädern und einer Hochspannungsleitung in der Region Hannover auf. Die EU-Kommission plant einen «Pakt für erneuerbare Energien», um die Gasnutzung zu reduzieren und den Ausbau von Solarenergie, Wind- und Wasserkraft anzukurbeln. +++ dpa-Bildfunk +++
Klimaschutz als Frage der Generationengerchtigkeit: Das Karlsruher Urteil wird unter Juristen kontrovers diskutiert. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Darf eine Generation auf Kosten der nächsten leben? Ist es hinzunehmen, dass eine Generation die zur Verfügung stehenden Ressourcen derart intensiv ausbeutet, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder und Enkel zu nehmen?

Nein, sagt das Bundesverfassungsgericht. In einem spektakulären Beschluss zu den Klimaschutzgesetzen der damaligen Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) haben die Karlsruher Hüter und Interpreten des Grundgesetzes im vergangenen Jahr den Begriff der Generationengerechtigkeit völlig neu ausgelegt.

Ein Budget für jede Generation

Jeder Generation stehe nur ein begrenztes Budget an Ressourcen zur Verfügung. Daher sei es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn Lasten in die Zukunft verschoben werden.

Denn damit würden die Freiheitsrechte der nächsten Generation massiv eingeschränkt, sie müssten die Versäumnisse ihrer Eltern ausbaden. Der Klimaschutz müsse daher schon jetzt konsequent angegangen und der Ausstoß von Treibhausgasen mit einem Bündel von Maßnahmen begrenzt werden, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Das Fehlen einer mündlichen Verhandlung hat mich überrascht.
Rupert Scholz, CDU-Politiker und Verfassungsrechtler

Damit aber haben die Richter in den roten Roben aus Sicht des Verfassungsrechtlers und früheren CDU-Abgeordneten Rupert Scholz ihre Kompetenzen überschritten. Diese Entscheidung sei „äußerst angreifbar“, sagte der frühere Berliner Justizsenator (1981 bis 1988) und Bundesverteidigungsminister unter Helmut Kohl (1988 bis 1989) beim „Konstanzer Symposium“ des baden-württembergischen Justizministeriums am Donnerstag.

So habe das Gericht die Verfassungsbeschwerden gegen die Klimaschutzgesetze angenommen und den Ausstoß der Treibhausgase als ursächlich für die Erderwärmung angesehen, aber es „in fahrlässiger Weise unterlassen, den Sachverhalt als solchen zu überprüfen“, so Scholz.

Der Senat berufe sich in seinem Beschluss auf die Erkenntnisse der Wissenschaft, ohne auf die kritischen Stimmen einzugehen, die es in der Wissenschaft ebenfalls gebe. Zudem kritisierte der 84-jährige Jurist vor den Spitzenvertretern der Justiz in Baden-Württemberg das gesamte Procedere. „Das Fehlen einer mündlichen Verhandlung hat mich überrascht.“

Die Politik hat keinen Spielraum mehr

Dem Gericht warf Scholz vor, in Sachen Klimaschutz seine bisherige selbstauferlegte Beschränkung aufgegeben zu haben. Indem es seine eigenen Prognosen für den Zeitraum nach 2030 dem Gesetzgeber vorgeschrieben habe, sei es „der Versuchung erlegen, faktisch zum Ersatzgesetzgeber zu werden“.

Die Politik habe praktisch keinen Entscheidungsspielraum mehr. „Das Ganze eröffnet den Weg für neue Verfassungsbeschwerden“, prophezeite Scholz, da es das Gericht unterlassen habe, die möglichen Freiheitseinschränkungen in der Zukunft zu definieren. Am Ende könnte die Popularklage stehen. „Das aber ist nicht der Sinn des Grundgesetzes.“

Dass die Entscheidung des Gerichts von der Politik wie der Gesellschaft mit Jubel aufgenommen wurde, löste bei Scholz Befremden aus. „Bejubelte Verfassungsgerichtsentscheidungen sind meist suspekte Entscheidungen.“

Große Zurückhaltung geübt

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, verwies hingegen darauf, dass das Gericht „große Zurückhaltung“ gegenüber dem Gesetzgeber geübt habe. Im Grundsatz seien die Verfassungsbeschwerden gegen die Klimaschutzgesetze abgelehnt worden, das Ziel Klimaneutralität bis zum Jahr 2050, könne aus Sicht des Gerichts erreicht werden.

Aber bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit habe man eine „ungleiche Verteilung der Lasten“ erkannt. Bis 2030 würden bereits „signifikante Teile des CO2-Budgets“, die bis 2050 zur Verfügung stünden, verbraucht, so dass danach „geradezu drakonische Maßnahmen“ und „erhebliche Eingriffe“ nötig seien, um die Beschlüsse des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Dies stelle einen Eingriff in die „verteilungsfähige Freiheitsmenge“ dar.

„Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle das Gesetz für verfassungswidrig erklärt.“ Die nähere Ausgestaltung des Reduktionspfades nach 2030 habe man allerdings dem Gesetzgeber überlassen. Und dieser habe bereits reagiert und eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes verabschiedet – mit Verschärfungen bis 2030, konkreten Maßnahmen nach 2030 und regelmäßigen Überprüfungen der erreichten Ziele.

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