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Welche Rolle spielt Frankreich?

Der teuerste Produzent gibt den Ausschlag: So wird an der Strombörse der aktuelle Preis festgelegt

Jeden Tag um 12 Uhr mittags werden an der Leipziger Strombörse die aktuellen Strompreise für den nächsten Tag ermittelt. Das ist ein kompliziertes Unterfangen. Es geht um Angebot und Nachfrage. Und derzeit spielt auch noch Frankreich eine besondere Rolle.

Zur blauen Stunde spiegelt sich das Kernkraftwerk Neckarwestheim im Neckar. Derzeit sind in Deutschland noch drei Atomkraftwerke am Netz, darunter ist auch Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. CDU-Chef Merz hat die Bundesregierung aufgefordert, umgehend neue Brennstäbe für die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland zu beschaffen. +++ dpa-Bildfunk +++
Teurer Strom: Obwohl Atomkraftwerke wie der Reaktor Neckarwestheim am Neckar billigen Strom produzieren, erreichen die Preise an der Strombörse immer neue Rekordwerte. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Seit Monaten kennt der Strompreis nur eine Richtung – er steigt unaufhaltsam. Mussten an der Strombörse EEX („European Power Exchange“) in Leipzig vor einem Jahr gerade einmal rund 50 Euro pro Megawattstunde (MWh) für den kurzfristigen Bezug bezahlt werden, waren es Mitte August mehr als zehn Mal so viel – 565 Euro pro MWh.

Das sind umgerechnet 56,5 Cent pro Kilowattstunde. Am Freitag knackte der Spotmarkt erstmals in seiner Geschichte sogar die Marke von 700 Euro. Und ein Ende der Kostenexplosion ist nicht in Sicht.

Unser Redaktionsmitglied Martin Ferber beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Strompreis.

Wie entsteht der Strompreis an der Strombörse?

Statt mit Aktien wird an der Börse mit Strommengen gehandelt. Auf der Seite der Anbieter melden die Stromerzeuger jeden Tag, wie viel Strom sie voraussichtlich am nächsten Tag produzieren. Diesem Angebot steht die Nachfrage von Kunden gegenüber, die sich jenseits von langfristig abgeschlossenen Lieferverträgen, die sie in der Regel direkt mit einem Versorger abgeschlossen haben, kurzfristig mit weiterem Strom eindecken müssen. Um 12 Uhr mittags werden die Bücher geschlossen und die Preise für den kommenden Tag festgelegt.

Nach welchen Kriterien geschieht dies?

Seit der Liberalisierung des Strommarktes gelten die Prinzipien von Angebot und Nachfrage. Gibt es mehr Strom als benötigt wird, sinken die Preise. So gab es schon Zeiten, da war es für Stromerzeuger rentabler, die eigenen Kraftwerke abzuschalten und stattdessen den billigen Strom einzukaufen. Ist dagegen die Nachfrage größer als das Angebot, steigen sie. Den Ausschlag gibt dabei der jeweils teuerste Stromproduzent.

Warum ausgerechnet der Teuerste?

Das hängt mit den unterschiedlichen Arten der Stromerzeugung zusammen. Der vergleichsweise billige Strom aus den längst abgeschriebenen Atomkraftwerken sowie der teurere Strom aus Kohlekraftwerken deckt die Grundlast. Er steht verlässlich rund um die Uhr zur Verfügung. Hinzu kommt der Ökostrom aus Wind, Sonne und Biomasse. Dieser ist zwar mit reinen Produktionskosten von vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde sehr günstig, aber die zur Verfügung stehenden Strommengen schwanken sowohl im Tagesverlauf wie im Jahresverlauf erheblich. Wenn nun am Markt Strom fehlt, müssen die teuersten Kraftwerke zur Deckung der Spitzenlast zugeschaltet werden. Dies sind in der Regel Gaskraftwerke. Da in den vergangenen Monaten die Preise für Erdgas explodiert sind, ist der Strom aus Gas ebenfalls extrem teuer geworden. Das spiegeln die Preise an der Strombörse wider.

Das heißt, auch billiger Strom wird teuer verkauft?

Ja. Die Profiteure dieser Entwicklung sind die Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken, die mit der immer größer werdenden Kluft zwischen billiger Produktion und teurem Verkauf hohe Gewinne erzielen. Im gleichen Maße profitieren auch die Betreiber von Windparks und Großsolaranlagen von dieser Entwicklung. Dagegen sind für die Besitzer von Solardächern die Vergütungssätze gesetzlich festgeschrieben. Ein rascher Ausbau der Erneuerbaren Energien könnte daher kostendämpfend wirken, da weder Kosten für teure Kraftwerksanlagen noch für die Emissionszertifikate für den CO2-Ausstoß entstehen.

Was bedeutet das für die Stromkunden? Steigt der Strompreis im gleichen Maß?

Nein. Denn nur ein Teil des Stromes wird tagesaktuell an der Börse gehandelt (Spotmarkt). Der größere Teil hingegen ist durch feste, langfristige Lieferverträge zwischen den Produzenten und den Kunden gebunden (Terminmarkt). Wenn allerdings diese Verträge auslaufen, werden sie zu den aktuellen Konditionen verlängert. Zudem haben Versorger derzeit das Problem, dass ihre Produktionskosten - wie auch die Einkaufspreise an der Börse für kurzfristig zusätzlich benötigte Mengen - deutlich höher sind als ihre Verkaufspreise. Daher erhöhen die Grundversorger derzeit reihenweise die Preise und die damit verbundenen Abschlagszahlungen.

Der Strompreis setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Wie hoch sind diese?

Auf den reinen Strompreis kommen noch Steuern, Abgaben und die Gewinnspannen der Versorger hinzu. Diese liegen nach Berechnungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im Schnitt bei 19 Cent pro Kilowattstunde. Eine kleine Entlastung für die Kunden gab es im Juli, da die EEG-Umlage abgeschafft wurde.

Der Strommarkt ist international. Profitiert Deutschland vom billigen Strom, der in anderen Ländern produziert wird?

Nein. Deutschland ist Netto-Stromexporteur, da es mehr Strom erzeugt als es verbraucht. Das hängt vor allem mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien zusammen. Der Einfuhr von ausländischem Strom in einem Volumen von 39,6 Terrawattstunden stand 2021 ein Export von 57,0 Terrawattstunden gegenüber. Hauptabnehmer sind Österreich und die Schweiz, seit Monaten fließen aber auch enorme Mengen nach Frankreich.

Ist das ein Problem für Deutschland?

Ja. Weil Frankreich, das zwei Drittel seines Strombedarfs mit Atomkraft deckt und zu den Stromexporteuren gehört, derzeit nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, muss es in großem Umfang Strom im Ausland kaufen. Die stark gestiegene Nachfrage treibt ebenfalls die Preise an den Strombörsen in die Höhe. Hintergrund sind Probleme in den französischen Atomkraftwerken. Derzeit sind wegen regulärer Wartungsarbeiten, aber auch wegen gravierender Korrosionsschäden in den Notkühlsystemen der Alt-Meiler sowie wegen der langanhaltenden Hitze und dem niedrigen Wasserstand in den Flüssen mehr als die Hälfte der französischen Atomkraftwerke abgeschaltet. Den fehlenden Strom muss Frankreich bei seinen Nachbarn kaufen – und heizt damit die Preisexplosion weiter an. Für den ohnehin hochverschuldeten staatlichen Atomkonzern EDF ist dies ein gewaltiges Problem. Er muss im Ausland Rekordpreise zahlen, darf diese Kosten aber wegen des bestehenden gesetzlichen Preisdeckels nicht an seine Kunden weitergeben. EDF fordert daher vom Staat eine Erstattung der Kosten in Höhe von bislang acht Milliarden Euro.

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