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Regierung lockert Regelungen

Geimpfte dürfen bald ohne Corona-Test zum Einkaufen oder in den Zoo

Das Bundeskabinett hat bundeseinheitliche Regelungen für Geimpfte und Genesene auf den Weg gebracht. Doch die Lockerungen sind umstritten. Es gibt auch Gegenargumente.

ARCHIV - 12.01.2021, Sachsen-Anhalt, Halle (Saale): Eine Pflegerin wird im Universitätsklinikum in Halle/Saale (UKH) gegen das Coronavirus geimpft. Kinderärzte und der FDP-Familienpolitiker Aggelidis fordern eine frühere Corona-Impfung für Eltern. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Lockerungen für Geimpfte: Ab Samstag sollen möglicherweise bereits wieder mehr Freiheiten für bereits Immunisierte gelten. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Schon ab Samstag können möglicherweise bereits Geimpfte oder Genesene ohne negativen Corona-Test zum Einkaufen, zum Friseur oder in den Zoo gehen. Zudem gilt die nächtliche Ausgangssperre für sie nicht mehr. Und bei der Einreise aus Risikogebieten entfällt die Quarantänepflicht.

Noch in dieser Woche wollen Bundestag und Bundesrat einer entsprechenden Verordnung zustimmen, die das Corona-Kabinett am Montag auf Vorschlag von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) verabschiedet hat. Doch die Thematik ist umstritten.

Wir beleuchten verschiedene Aspekte.

Grundrechte

Artikel 19, Absatz 2 des Grundgesetzes legt unmissverständlich fest: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Als Folge der Corona-Pandemie hat die Große Koalition den Rechtsbegriff der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ am 28. März 2020 in das Infektionsschutzgesetz eingeführt, um Eingriffe in die Grundrechte zu begründen.

Eine derartige Lage liege vor, wenn die Bundesregierung eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat“. Befristet sind die aktuellen Grundrechtseinschränkungen durch die sogenannte Bundes-Notbremse bis zum 30. Juni.

Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken.
Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts

Verfassungsrechtler wie der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, oder Ex-Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio halten eine Einschränkung der Grundrechte für Geimpfte für unzulässig. „Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken“, sagt Papier. Das Argument der Rechtsexperten: Die Gewährung der Grundrechte sei kein Privileg, vielmehr seien diese grundgesetzlich garantiert.

Schutz der Bevölkerung

Die Befürworter der Maßnahmen verweisen darauf, dass die Einschränkungen der Grundrechte nötig sind, um damit das Recht bislang gesunder und nicht-infizierter Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2, Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes zu garantieren. Dieses Grundrecht wiege schwerer als beispielsweise die Einschränkung des Versammlungsverbots oder des Rechts auf Freizügigkeit.

So hat das Bundesverfassungsgericht bislang bei allen Entscheidungen im Zusammenhang mit den Corona-Verordnungen in einer Folgenabwägung dem Schutz der Bevölkerung vor einer schwer kontrollierbaren Weiterverbreitung des Coronavirus das höhere Gewicht im Vergleich zu den Grundrechtseinschränkungen eingeräumt. Und auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof lehnte eine Beschwerde gegen die nächtliche Ausgangssperre mit der Begründung ab, im Rahmen einer Folgenabwägung seien die damit verbundenen Einschränkungen wegen des überragenden Schutzzweckes der Gesundheit und des Rechts der Gesamtbevölkerung auf körperliche Unversehrtheit hinzunehmen.

Chancengleichheit

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind derzeit erst acht Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, 28 Prozent der Deutschen haben zumindest eine Impfung erhalten. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung müssen noch auf einen Impftermin warten. Und das kann noch bis zum Sommer dauern.

Mit Blick darauf fordert der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil in einem Interview mit dem ZDF, dass auch alle Nicht-Geimpfte eine Perspektive bräuchten, zumal noch immer nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stehe. Ihm gehe es nicht darum, geimpften Menschen ihre Rechte vorzuenthalten, sondern für Chancengleichheit zu sorgen.

Wenn im Sommer „die eine Hälfte der Gesellschaft vieles darf und die andere nicht“, sei das schwierig. Denn die Nicht-Geimpften würden mit Recht sagen, dass sie „nichts falsch gemacht“ hätten, sondern nur noch nicht mit der Impfung dran gewesen seien. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft.

„Aus ethischer und gesellschaftlicher Perspektive sind es die Ausnahmen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum, die – solange sich noch nicht alle Menschen impfen lassen können – das Potenzial einer gesellschaftlichen Spaltung mitbringen, vor allem mit Blick auf die jüngere Generation und Familien.“

Verbreitung von Mutationen

Sind vollständig Geimpfte tatsächlich vollständig immun – oder können sie möglicherweise doch noch das Virus beziehungsweise neue Mutationen übertragen? In einem in der FAZ am Montag veröffentlichten Beitrag warnen die Göttinger Physikerin Viola Priesemann, der Bonner Volkswirt Martin Hellwig und der Brüsseler Ökonom Guntram Wolff vor einer Verbreitung von Corona-Mutanten durch Geimpfte.

Ob die Impfstoffe gegen die südafrikanische, brasilianische und indische Variante wirken, sei noch unklar, zudem gebe es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Impfstoffen. „Eine Ungleichbehandlung von Geimpften, je nachdem ob sie Biontech/Pfizer oder Astrazeneca bekommen haben, wäre kaum durchsetzbar“, schreiben sie. Und auch wenn sie selber nicht erkranken, könnten sie Überträger sein. Sollten Geimpfte wieder unbegrenzt reisen dürfen, bestehe die Gefahr, dass man den Varianten „Tür und Tor“ öffne. Dann könnten „drastische Beschränkungen des Lebens wieder erforderlich sein“.

Impfpflicht

Eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht – und wird es nach Aussagen der Bundesregierung auch nicht geben. Kritiker der Impfkampagne warnen allerdings ebenfalls vor einer Spaltung der Gesellschaft, wenn Geimpfte mehr Rechte als Nicht-Geimpfte hätte.

So spricht die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alice Weidel, von der Einführung einer Impfpflicht „durch die Hintertür“. Sie fordert stattdessen, „alle Grundrechtseinschränkungen unverzüglich für alle Bürger aufzuheben“.

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